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Freitag, 2. November 1S06. MM ^M°nl°ii! Nr. SS. Erster Jahrgang. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge SccaMiverNichcr Scsoklcur: Frist A rubel-. Für -ic Inserate ecraulwerttich: 71rlhnr Auplcr l>ci-c in Auc init der wöchentlichen Unterl>alttnig5>beilnge: Illustriertes SoiNltagsblutt. Sprcci>ii»u-o -cr Sr-ukiieu uril Knsuabme Sri douuiuac nochmittasts rc>n 4—'> Uhr. — Cclcgromm-A-rcisc: Tagcblott link. — Fcrusprcchcr 202. Für lnircrlniiAl >i»stksa»k>tc INomiskriple knnii Gewähr »ich! geleistet werden. Druck nnd Uerlng Gcl> rü - cr Sen« h n e r «Jul>.: s>,,nl Scitthiier) in llne. Srzuus preis: Durch unsere rieten frei ins Iums uieuallich t>n ps..,. Sei der Geschäftsstelle aluzehott monatlich 4« Hist. m>- wdcheutlich 10 s>sst — Sk> der Post bestellt nnd selbst abgestolt viertcljabrlicb 1.50 Ulk — Durch den Slicsträgcr frei ins Saus oiertctjäbrlich ,.Y2 Ulk - chiuzelue Nummer >c> Psg — Deutscher postzciluua-- katalog — Lrschelut täglich in den Miltagrstundcu. >nit Ausuahme von Soun- und Feiertagen. llnualiine rou Anzeigen bis spätestens <plz Uhr vormittags. Für Ausnahme von grds;ercn Anzeigen an bestimmten Stellen kau» Nur daun gebürgt werden, wenn sie am Tage vorher bei uns ciugchen. I u ler«i ousp re i s : Die slebengespaltenc Korpuszeile oder deren Aaum »> psg., Acklamcn 2L psg Sei grdßcren Aufträgen entsprechender Rabatt. Diese rr»tn»«»ev »»»»fotzt <» -eit«»» Taö Wichtigste vom Tage. Eine lauge offiziöse A u s l >1 s s u n g iu der Nordd. Allg. Zlg. über die Licllnng dci Regierung zum polnischen Schnl- streik desliiiigt Nil», das; die Regierung mit ihrer Polenpolitik ans ganz falschem Wege ist Erzb e r zog L 1 l 0 v 0 n O e il e r r e i ch, der Schwager Roitig Friedrich Angnns von Lachsen, in am Donnerstag nach mittag g e n 0 1 d c n? Das Diszivlinarvcrsabren gegen Pntikamnier, der emgiltig ans dem Rcichsdiensl anSscheidcn tvird, verlänii im Lande/- ''legen die Fleischnoi beschlossen bei der Regierung vorstellig zu werden die Liadtverordncten Kollegien von Dresden, K a i s e r l a u 1 e r n nnd H ana n. In E r z > r n n 1 Tulio« ist cs nnedcr zu e r n st e n R nhc - st 0 r u n g e n gekommen. Der K 0 ngrcß der französischen L 0 ; i a l i st c n - parlei Hai gestern seinen Ansang genommen. Er beschäftigte sich mit dem Verhalle» der Partei dem neue n M inisterin m gegenüber* * Näheres siehe unten. Kaiser, Bülow und Pod. „Es ist etwas los, nur weih man noch nicht recht was", könnte man nach einem bekannten Wort sagen. Alle Anzeichen deuteten in diesen letzten Wochen darauf hin, daß hoch oben die Wasser bewegt und erregt waren, und man brachte diese Bewe gung und Erregung in einen engen Zusammenhang mit der Pod- vielslitrise. die ja in ihrem Ursprung und in ihrem Verlaus be- . 'aiinl ijt A >s nach dem Austauchen des Falles Tippelskirch alle WVrll die Forderung nach dem Rücktritt des preutzischen Landwirtjch>.?ilsminislcrs stellte, da verlautbarte bereits, daß Fürs! Bül 0 w ,> l b e r von der Notwendigkeit dieses Rücktrittes überzeugt sei, und oe.Uiziös bat kein Sterbenswörtchen verlautet vom Gegenteil Man liew> die vielen Kombinationen von einem Kamps zwischen dem Kanzle.- nnd dem preußischen Landwirt- schastsminister undemcniiert n ">e'< lünausgchen, und dieses offiziöse Schweigen lieferte de uß etwas nicht in Ord nung war. Dann war Herr 0. Podbielski zum Kaiser geladen, und als er wieder in Urlaub ging, da jubelten seine Freunde — man war der festen Ucbcrzeugung, daß der Uebesiegliche auch vom Fürsten Bülow nicht bezwungen werden konnte und deshalb zum höheren Nutz und Frommen aller ostelbischen Funker noch lange sich seines ministeriellen Daseins erfreuen würde. Nun kommt, wovon wir schon Mitteilung gaben, die be stimmt lautende Nachricht, daß Bülow Uber den wackeren Pod ge siegt hat, daß der Minister in wenigen Tagen sein Bündel schnü ren muß. Und großes Gejammer schallt aus dem hyperagrarischen Blätterwald. Man nimmt diese Meldung sehr ernst, und der wieder gesund gewordene Herr v. Podbielski wird wahrschein lich sehr rasch einen politischen Rücksall erleben. Auch Herr Studt, der preußische Kultusminister, soll an einem chro nischen politischen Schnupfen leiden, doch ist das im Hinblick aus die gewichtige Persönlichkeit des agrarischen Kämpen Pod ziem lich nebensächlicher Natur. Denn ob Herr Studt geht, das ist für Preußen ziemlich, für das übrige Deutschland absolut gleich gültig. Aber wenn Herr von Podbielski geht, dann bedeutet das, daß vielleicht der dicke agrarische Faden nicht in der alten Stärke weitergesponnen wird, und daß die konsumierende Be völkerung im deutschen Reich — nicht nur in Preußen — er- lcichtertaufatmen darf. Es hat aber verhältnismäßig lange gedauert, bis Fürst Bülow den Sieg über den Teilhaber der Firma Tippelskirch da vongetragen hat. Stritt ihm dieser doch einst sogar sein RUck- trittsgesuch ab. Man begreift es jetzt, daß kundige Theabancr seit ein paar Wochen von einer Kanzlerkrise sprachen, be greift cs, daß man sich schon mit der Person dessüns 1 en Kanz lers befaßte. Es hat einen Kamps gegeben, und die Möglichkeit war vielleicht recht nahe, daß Bülow dem wackeren Pod ge opfert wurde. Der Kaiser, der in solchen Dingen durchaus sein eigener Ratgeber ist, hätte — so hieß es — nichts in der ge schäftlichen Tüchtigkeit seines Ministers gesehen, was ihn hätte aus der kaiserlichen Gunst verdrängen können. Welch ein Unglück aber daraus entstanden wäre, wenn man den Fürsten Bülow gehen ließ und den wackeren Pod bleiben, das brauchen wir nicht erst genauer auszumalen. Ging er, und bliebe Podbielski, dann lag die Gefahr nahe, daß die Zollmauern noch um einige Etagen höher gebaut würden, als sie ohnehin schon sind. Das ginge uns bei der jetzigen Teuerung der Lebensmittel ge rade noch ab! Doch, es ist glücklicherweise anders gekommen, Bülow bleibt und Pod muß gehen. Man hat dem deutschen Reichskanzler, dem vierten seines Zeichens, manchmal bittere Worte der Kritik widmen müssen, aber wenn man es recht bedenkt — von all den Männern, die man bereits als seine Nachfolger genannt hat, gefällt uns keiner so gut, wie Fürst Bülow, der, wenn auch kein unentwegter Politiker, so doch ein guter Steuermann ist, der vor dem Wind zu lavieren weiß. Und gerade das ist sehr nötig in unseren in Bezug aus die auswärtige Politik so bewegten Tagen. Wir sreuen uns aus zwei Gründen des Sieges des Kanzlers, der sich hossentlich bestätigt. Einmal, weil der Mann jetzt am Ruder bleibt, den wir im gegenwärtigen Augenblick nicht ohne Gefahr missen können, und zum andern, weil die überagrarische Richtung in der Reichspolitik durch das Ausscheiden des Herrn von Podbielski einen schweren Schlag erleidet, von dem sie sich so rasch nicht wird erholen können. Mag preußischer Land- wirtschastsministcr werden, wer immer, der Mann wird nicht so rasch das kaiserliche Vertrauen in dem Maße besitzen, wie es sein Vorgänger trotz allem besessen hat, und darum wird die nur - agrarische Richtung abgelöst werden von einer Richtung, die auch der großen Mehrzahl des deutschen Volkes ihr Recht läßt. Fürst Bülow, der bei den Ueberagrariern in Ungnade gefallene Kanz ler, wird aus Erfahrung nun wohl auch klug geworden sein — die Einsicht, daß in dieser Weise nicht meitergewirtschaftet wer den kann, ist dem Kanzler wohl im Lause des letzten Jahres selber gekommen. Man darf den Kanzler beglückwünschen, daß er sich zu be haupten vermochte, daß er das kaiserliche Vertrauen, wenn auch vielleicht nicht im alten Maß, aber immer noch genügend be sitzt. Wenn der Kanzler sich aber in Zukunst seine Ratgeber, deren er auch nicht entraten kann, in jenen Reihen suchen wollte, in denen Graf Posadowsky sich aufhält, und wenn er vor allem nicht mehr ins agrarische Schlepptau nehmen läßt, dann hat man allen Anlaß, mit dieser Wendung der Dinge zufrieden zu sein. Hossentlich schlägt der Wind nicht bis morgen oder übermorgen wieder um! Politische Tagesschon. Aue, 2. November >906. Bismarck und das allgemeine Wahlrecht. - Die Veröffentlichung der Hohenlohen'schcn Tagebücher hat neuerdings zu einer lebhaften Diskussion über die Frage geführt, welche unmittelbaren Grunde den Anstoß zu Bismarcks Entlassung gegeben haben. Dabei rückte denn auch Professor Hans Delbrück mit der Enthüllung heraus, der Altreichskanzler hätte die Aufheb ung des allgemeinen ReichStagSwahlrechleS durch einen kleinen Staatsstreich geplant, und da Kaiser Wilhelm diesem Vorhaben nicht znslimmen konnte, mußte Bismarck au: dem Amte scheiden. Wir wiiscn nicht, ans welchem Finger sich Professor Delbrück diesen vorzeitigen Aprilscherz gesogen hat, aber einen tragikomischen Ein druck macht es, daß ein Teil der Presse dieses Schwindelgeschichl- chcn crn st nimmt. Einem Bismarck, der wie kein zweiter in der Geschichte zu lesen verstand, die Torheit zuzutranen, das Werk, das er so mühsam geschossen hatte, wieder zu zerstören nnd das neue deutsche Reich aus neuer Versassnngsgrundlagc frisch aufzu bauen heißt denn doch, von der Größe dieses Mannes keine Ah nung zu haben. Eine solche Expcrimentalpolitik wäre viel eher von dem modernen Zickzackkurse zu erwarten. Bismarck hatte klar erkannt, welchen ungeheuren Fehler die deutschen Fürste» begangen hatten, als sie nach den Freiheitskriegen ein rcaktiviiärcs Regime etablierten, anstatt in ihren Ländern eine freiheitliche Verfassung einzusühren, nnd dieser Erkenntnis verdankt das deutsche Volk das allgemeine, gleiche und direkte Reichstagswahlrccht. Allerdings be deutet das Sozialistengesetz Bismarcks eine reaktionäre Maß nahme, aber sie mar ans der Not der Zeit hcrausgcborcu, nnd die Historie bietet uns manches Beispiel, daß selbst Republiken wiederholt gezwungen waren, eine weitere engere Beschneidung der bürgerlichen Freibeiten vorzunchmeu. Es sei nur an die Nieder werfung der Pariser Kommune erinnert. Aber einem Staatsmann von dem Rechtsgcfühlc eines Bismarck einen solchen Verfassungs bruch zn impniieren, daß bringt wahrlich nur ein verbohrter deutscher Professor fertig! Näkncrtz In allen Gauen des llngartand-.^ herrschte, wovon wir unter telegraphischen Mitteilungen unser werten Leser in Kenntnis ietzten, in diesen Tagen Feiertags» j,„mung. Eine hundertjährige Lebu'cichl der Nation ging in Ers »llung. Durch einen Beschluß des Königs ermöglicht, wurde die Asche des Frciheitshel- d e n F r a e.z R u k >>< zy I I. un » seiner getreuen Exilgcnossen, die ja» zwei Fahrhui > in n.emder Erde geruht, in die Hei mat zurückgebracht N.,k,,czi) l. und der Gräfin Helene Zrinyi geboren, veil einige Monate alt, seinen Vater und wurde von seiner deren zweitem Gatten, dem be ¬ rühmten Kuruczensübrer Emerich Thököly in der Munkücser Festung erzogen. Nach der Einnahme der Festung durch die Kai serlichen ließ ihn der Hof nach Wien bringen und durch den Kardinal Kollonich erziehen. Im Alter von 17 Jahren (1693) wurde er für großjährig erklärt und einige Jahre später heiratete er Charlotte Amalie, die Tochter des Fürsten Karl von Hessen- Rheinfels. Die Erziehung des Kardinals hatte in Rüköezy die glühende Liebe zur Freiheit und zum Vaterlande nicht zu ertöten vermocht und unausgesetzt war sein reger Geist mit Plänen er füllt, die Macht der Kaiserlichen, die schwer aus Ungarn ruhte, zu brechen. Durch die Besiegung der Türken im Jahre 1686 glaubten die Habsburger sich berechtigt, Ungarn die blutig er kämpften Rechte zu nehmen und es als Provinz einverlcibcn zu können. Im Jahre 1760 erschien ein Abgesandter Ludwigs XIV. bei Rüköczy und bot ihm ein Bündnis zur Wiedcreroberung des Ziebenbiirgischen Fürstentums an. Durch Verrat erfuhr der Wie ner Hof von diesem Bündnis und Rüköczy kam als Gefangener nach Wiener Neustadt, von wo er jedoch nach einigen Monaten entkam und nach Polen entfloh, wo er sich entschloß, mit Hilfe des französischen Königs und des ungarischen Heerführers Grasen Nikolaus Vcresi-nyi in Ungarn die Insurrektion zu ent fachen. 1703 zog Rüköczy unter dem Jubel seiner Landsleute in Munkücs ein, und nun entbrannte in Ungarn ein erbitterter Frcihcitskamps, welcher das Land in zwei Lager, in das der Kaiserlichen, derLabantze n, und das der Anhänger Rüköczys, der Kupuczcn, spaltete und acht Jahre lang den blutigen Greueln des Krieges preisgab. Ansangs war das Schlachtungliick Rüköczy hold. Der von seinen Kriegern vergötetrte Rüköczy wurde zum FUrsten von Siebenbürgen und Ungarn gewählt und der Reichstag zu Onöd sprach am 14. Juni 1707 die Ent thronung des Hauses Habsburg aus. Doch bald kehrte sich das Glück von Rukoczys Fahnen. Die Uebcrmacht des Gegners und Verrat vernichteten die Sicgcshossnungcn Rüköczys, der gezwungen war, im Februar >71 l seine Heimat für immer zu verlassen. Auf Betreiben Oesterreichs mußte er den Hos des ini uoteit, wo er im freiwilligen Exis lebte, verlassen und fand dann in R od ost 0 in der Türkei, wohin sich seine Getreuen schoy früher geflüchtet hatten, ein Asyl und starb dort 1785. Seine Asche wurde in der Krypta der Galattaer St. Benoitkirche beige setzt. An seiner Seite ruhten seine Mutter, Gräfin Helene Zrinyi, sein im Jahre 1738 in Lernavoda gestorbener Sohn, Prinz Joses Rüköczy, und die Gemahlin des tapferen Kuruczensührers Grafen Nikolaus Vcresönyi. In Rodosta waren die übrigen Exilgenossen Rüköczys, Graf Nikolaus Bercsönyi, Feldmarschall Gras Anton Esterhüzy von Galant« und der getreue Obersthosmeister Niko laus Sibrik von Szarvaskend begraben. Emerich Thölkölyis Ge beine ruhten in Jsmid. Die Ueberreste all der hier Genannten werden nunmehr in die Heimat zurückgebracht. Während Rüköczy im Exil umherirrte, vollzog sich die Ver söhnung zwischen dem König und der ungarischen Nation, und der Reichstag von 1714—15 brachte ein den Fürsten Rüköczy und seine Getreuen dissamierendesEesetz, das sie als F e i n d e i h r e s Königs und des Vaterlandes und als Hochverräter und Umstürzler verdammte und für vogelfrei erklärte. Fast zwei Jahrhunderte ruhten die Gebeine Rüköczys in fremder Erde und es war stets ein sehnlicher Wunsch der ungari schen Nation, die Asche der gefeierten Freiheitshelden in der Heimat begraben zu dürfen. In einem Handschreiben vom 20. April 1904 hatte Kaiser und König Franz Joseph dem da maligen Ministerpräsidenten Grafen Stefan Tisza kundge geben, daß er der Bitterkeit der srüheren Epochen vergessen wolle und die Heimbringung der Asche Rüköczys und seiner Getreuen gestatte. Der Jubel der Nation ob dieser Entschließung ver stummte jedoch bald infolge der chronischen politischen Krise, die täglich an Schärfe zunahm, und die Heimbringung der Aschen un terblieb. Dem Regime Wekerle war es vorbehalten, das aus- zusührcn, was der Initiative des Grafen Stefan Tisza entsprun gen war. Am 23. Oktober dieses Jahres nahm das ungarische Abgeordnetenhaus die !<>x irüköc/.vnn an, die den Rüköczy und seine Genossen diffamierenden 8 2 des Eesetzartikels XIckX: 1715 aushebt und die Heimbringung der Asche anordnet. Für die 1 Kosten der Heimbringung und ein zu errichtendes Denkmal wur den 55 000 Kronen votiert. Bemerkenswert ist nach der Frks. Ztg. der 8 4 des Gesetzes, wonach die Verfügungen des Gesetzes keine privatrechtlichen Folgen haben. Die Güter Rüköczys wurden nämlich anläßlich seiner Aechtung konfisziert und zum großen Teil an die kaisertreuen Mitglieder der ungarischen Aristokratie verteilt. Viele Magnaten, die für die l«>x Itüliöo- LMna gestimmt haben und beim Festzug hinter dem Sarge des Fürsten cinhergeschritten sind, haben ihren Besitz zum Teil der Aechtung Rüköczys zu verdanken.