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Mittwoch, Z4. Ottober 1S0«. Nr. 4«. vrfter Jahrgang. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge T'er.vuwenücher 7le>>akici>r» Fr > y 71 r >» b e I d. ,Hu die Juscr.Uc »'ei.vi»!verlli.h: 711berI ,»s >i ch s e 1 beide i>: 7>»»e. fffit der wörbeutlichen 'lifterdalltfffgsbeüaae: ^i.lu'triertes ^oifift^g^bl^li. :plechmm!>e der 7ledoklic>>» »>it 7Iusnab!»>e der ^eüniage »achmiilaa- r-e» stkr. ^l'Ik>)r.i»i>n>7i!>l>!s»': Tagebloll 7Ine. — z'erusprechrr 2i»2. ,H1r >»ii'er!.vi>>» evvreiaiidle IN.imisltipie bvm Ge»>abr >i!,I>> .»eleii'iel »'erden. :,ni> !.'c>I.»>) : eb i !i der 7' e>» I b tt e i ^»b.: Pili:! izeiilhiier» in 71ue. Bezugspreis: sturch nufere Beten frei ins Lums monatlich 5» Pf^. 7tei der GeübrifisucNe abgebolt nionatliU' «o Pf,), und wSchentlich »u jdsg. — 7^ei der siost bestellt .nid selbst abgehott oicrteljabrli.1' , 5,u INr — Onr.b den Briefträger frei ins Baus »uerteljäbrlich > N2 !Ut - Einzelne rlmiuner io Hfg — 7 etlicher postzeiiuug-. tatalog — Lrscheiut täglich in den INittagssnnidcn. mit 2lnsuakme von ^omi nud .Hiertageu. 7l»uabinc »>ou elnzeigcu Ins spätestens <)',., IIi'i »oruuttags. Hir Aufuabme non g>o,je.eu 7!nze»gen an bestimmten - stellen kann nur -an» gebiirgt morden, wenn sic nm Tage vorder bei uns cingchcn. In se r I i o u sp re i s : Die siebengespaltenc storpnszeile oder deren Nanin io Hsg, Ueklamen 25 Pia 7>ei grästcren 7lnfträge» entspreä'ender iiabatt Dies« rr»»nrn»ev »rnrfntzt s» Seite» Das Wichtigste vom Tage. -.'im D v n n eVsI a g diese» Woche soll in M ü n ch e n eine Z n s >i in ni e n k u n s i dei beiden ältesten Löh n r des >! ö n i g o von Lachsen inii der (tz » äsi n M vnIi g n o s o er- iolgen. * Die Lag,' in 7N a r o k l o wirb als sehr ernst ge schildert. * England bat durch L ck» a s s n n g e i n e r b e son deren ,H r i in a l c> s l v 11»' eine nenr Ltärkung seiner 7>?i nrinr erreicht. * Vor dein s ch w i n d e 1 h n s l e n und n r n j b n r e n Treiben der Lerienlo s g e iell > chnfi e n ivird nencidiugs euer- g i s ch g c io n r n I. * Ter bekannte Lvvrismann Ui o r Von V e n neI, Bescher dec- R e io ')> o r t - H nraid , ttclst gegennstirlig i>n Milielvnnttc einer Lkandalasiä r e, »veil er in seine Heilung s »h n in - l o »e n I n s e »nie u '.'1 u > n n b n» e gcn'nbrle/ Ter >iai»ertcpnsie»ic Hirsili wnrbe n>egcn Vclänignng '.'trbeii-öwilliger ni ;wei Molinien (tzcsängnis vcniileili/' * ^Näheres siehe unten. Prolog. Das Interesse an dem gelungenen Räubcrhauptniann von Köpenick beginnt nachzulasscn, und die Blätter haben wieder Platz für ernstere Dinge. Mit der vorgeschrittenen Jahreszeit beginnt das politische Leben hcstiger zu pulsieren, und je näher die schöne P a r I a in e n t s z e i t rückt, desto leidenschaftlicher wird der Ton in der Oessentlichkcit, desto schärfer und ausgepräg ter zeigen sich die Partcig e g c n s ä tz e. Schon haben die ver- ichiedenen »rotzen und kleinen Parteien, mit denen unser deutsches Vaterland zum Ueberslutz reichlich gesegnet ist, ihre „Tage" abge balten und schöne Resolutionen und Beschlüsse gefaßt. Freilich ist cs nicht überall so glimpslich abgcgangen, wie bei den Frei- konservative», die auch jetzt wieder ein Herz und eine Lcelc in den Kamps ziehen — wenn ihnen in Wirklichkeit auch nicht so einmütig zu Sinne sein mag. Aus.dem M annhcimer Parteitag, in Goslar und anderwärts sind die Gegensätze in nerhalb der Parteien schroff aus einandcrgeplatzt, aber man hat sie glücklich zu überkleistern verstanden und zieht nun allenthalben wohlbewassnet und mit schneidiger Wehr in den politischen Kamps. Der Aufmarsch der Parteien ist freilich nicht so lebhaft, wie zu Zeiten, da cs noch an den Wählern liegt, das Parteiverhältnis festzulegen. Es ist ja nichts zu gewinnen drautzen im Lande, und wie im Reichstag der Karren lausen wird, du lieber Himmel, darüber ist man längst im Klaren. Ein Kitzchen reaktionär, ein bitzchen pseudosortschrittlich — preisend mit viel schönen Reden zieht man den behäbigen Trott weiter in dem sreudigen Bewutzt- sein, jetzt wenigstens für die gehabte Mühe ein paar tausend Mark in die dürftige Rentiertasche stecken zu können. Wer vom kommenden Winter politische Grotztaten erwartet, der wird sich sehr verrechnen, denn zu solchen ist die Zeit längst vorbei und wir sind sie seit langem nicht mehr gewöhnt. Freilich, wenn der Reichstag Zusammentritt, wird ein grotzcs Streiten anheben. Sicher sorgen die Oppositionsparteien dafür, datz die F l e i s ch n o t a n g e l e g e n h e i t sofort zur Sprache gebracht wird, und der Kamps zwischen Agrariern und Nichtagrariern wird in der bekannten Weise toben. Dieser Punkt ist ja nur noch der einzige, über den man sich im Reichstag noch ein wenig auszuregen vermag. Alles andere ist recht nebensäch lich geworden, und man findet es kaum der Mühe wert, sich zu erhitzen. Rur wenn die ostelbischen Junker auf die Hühneraugen getreten werden, wird cs laut in der grotzeu Reichsstube. Denn hier handelt cs sich um Interessen, und aus Interessen ist unsere Politik zugeschnitten. Das Parteileben tritt immer mehr in den Hintergrund, und die Parteiideale sind zumeist tot oder vergessen. Wer erinnert sich noch der Zeiten, da die politischen Gebilde mit wehenden Fahnen, mit Ueberzeugung und Mut in den Kamps zogen! Das waren andere Zeiten — heute ist es frostig und kalt geworden in der Welt, und nur eines vermag die Menschen noch zu erwärmen, das Interesse. Wer die inncrpolitischen Geschehnisse der letzten zehn Jahre genau verfolgt hat und wessen Herz nicht durch die Parteien Hatz und Gunst verwirrt ist. der wird mit uns zu der Ueberzeugung gelangt sein, datz die Parteipolitik arg verblatzt ist — kaum mehr ein Schatten dessen, was sic einst war. Wir jammern na türlich keineswegs dem Partcifanatismus nach, der übrigens noch nicht ausgestorben ist. Aber cs war doch schöner, Ueberzeugungen zu hören, während die führenden Geister von heute nur mehr kühle Rechenmeister sind. Die Politik ist heute kalt wie eine Hundeschnauze, und es gibt im deutschen Reich Ketzer, die nicht einmal den Reichstag ernst nehmen. Da werden Beschlüsse gejatzt, die man schon lange vorher in- und auswendig kennt, da wird hinter den Kulissen gearbeitet, gehandelt und geschachert, und nicht die Ueberzeugung, sondern der nackte Utilitätsstand- punkt ist für die Beschlüsse der Parteien matzgebend. Da tanzen in der »rotzen Reichsstube die Marionetten, und die Drahtzieher lassen ein bitzchen Musik dazu machen — das ist unsere innere Politik! Wir machen daraus niemandem einen Borwurs. Die Welt ist nun heute einmal so, datz sie nur Interessen kennt und die Gewissen in den Hintergrund drängt. Unsere grotze Zeit ist eben vorüber, und was uns einst himmelhoch jauchzen lietz, des deut schen Reiches wiedererstandene Grütze und Herrlichkeit — es ist arg verblatzt. Ja, wenn der Abgeordnete Büsing recht gehabt Hütte, als er im Reichstag mit Emphase davon sprach, datz wir alle noch die Siegesglocken vom Jahre l87l klingen hörten! Aber das ist nicht der Fall, und nutzendem: unsere Träume von einst sind nur zum Teil in Erfüllung gegangen. Kewitz hat sich das Reich aufwärts entwickelt und hat den Weltmarkt erobert. Aber was die inneren Wirtschastsverhältnisse anbelangt — wohl ist viel sür die unteren Volksschichten getan worden, aber leider auch viel gegen sie. Heute sind die Verhältnisse derart ver fahren, datz sich kaum ein Ausweg sehen läht. Wir sind mit Steuern verankert, datz uns die Augen tropfen, unsere Le bensrnittel sind verteuert, datz bei den unteren Schich ten das Sattessen zu den Seltenheiten gehört. Wo sollen unter diesen Verhältnissen die Ideale noch Platz haben? Die Politik von heute ist eine Magenpolitik, und ihre Vertreter sind eben auch nicht mit dem Herzen, sondern mit dem Ak a gen interessiert. Daraus resultiert der Verfall, und dar aus resultiert das Gefühl der unendlichen Verdrossenheit und Verzagtheit, das sich allenthalben breit macht. Wir hassen ja auf bessere Zeiten, aber ob wir sie noch erleben, das ist eine an dere Frage. Die kommende Parlamentszeit bringt sie uns ganz sicher nicht! Politische Tagesschau. Aue, 24. Oktober I!' B. Der Kaiser und der Flottenverein. Gelegentlich der Tagung des schlesischen Provinzverbandes des Deutschen Flottenvereins in Breslau am Freitag der vorigen Woche wurde vom Vorsitzenden des Verbandes, dem Herzog von Ratibor, folgendes Telegram m an den Kaiser gesandt: „Der Provinzialverband des Deutschen Flottenvereins für Schlesien gedenkt mit ehrfurchtsvollem Dank bei seiner heutigen Jahres versammlung der der Provinz durch Benennung des Linienschiffes „Schlesien" mit ihrem Namen allerhöchst erwiesenen Gnade. Euerer Kaiserlichen und Königlichen Akajestät dürfen wir aus voller Ueberzeugung allerunteriänigst versichern, datz cs unser ernstes Bestreben sein wird, den aus schleunige Beschaffung einer mächtigen, leistungsfähigen deutschen Flotte gerichteten Bestre bungen Euerer Majestät auch in unserer Provinz Verständnis und tatkräftige Unterstützung zu sichern." — Daraus ging die folgende A ntwort des Kaisers bei dem Herzog von Ratibor ein: „Dem Provinzialausschutz des Deutschen Flottenvcreins für die Provinz Schlesien danke ich bestens für den freundlichen Huldigungsgrutz anlählich seiner Jahresversammlung. Ich habe mich über die Opferwilligkeit und die tatkräftigen Vestre- Tierschutz, Man findet oft Tierschutz und Menschenschutz einander gegen- übcrgestcllt, als sei das eine mehr berechtigt, das andere we nig e r. oder als schädige der Tierschutz den Menschenschutz. Die Wahrheit aber ist, datz in einer vollkommenen menschlichen Gesellschaft für beides gesorgt sein »nützte. Würden die Fort schritte der Wissenschaft und Kunst, der Gewerbe und Technik, der öffentlichen Einrichtungen, die Verfeinerungen des Lebens noch so sehr zunehmen, daneben aber müsste man täglich sehen, wie z. B. die treuen, fleissigen Pferde, selbst im elendsten Zustande, aus das grausamste gepeitscht stnd überanstrengt werden lalle sonstigen Schändlichkeit».'»» gegen Tiere sollen der Kürze halber unerwähnt bleiben), so wäre man von der Hunianitä« noch mei lenweit entfernt, und wirklich edle Menschen könnten nicht glück lich sein. Tierschutz neben dem Menschenschutz besagt indes keineswegs, datz der Schutz in der Rechtsordnung sür beide gleich sein müsse. So gibt cs nicht und kann es nie geben ein Klagerecht des Tie res, weil dieses kein Träger von Rechten, d. h. keine Persönlichkeit ist. Selbst die weitgehendsten Tierfreunde denken nicht daran, für das Tier z. B. ein Klagerccht wegen ihm angetaner Beleidi gung oder Verleumdung zn verlangen. Die Tiere sind lebende Wesen mit Gefühl und oft auch mit erheblichen, ja manchmal be wundernswerten Eeisteseigenschasten begabt; sie stehen aber tiefer als der Mensch; sie haben cs beispielsweise zu keiner Kultur, keiner Wissenschaft gebracht. Besitzen nun die Tiere keine eigenen Rechte gegen die Menschen, so besitzen die Menschen wie derum auch keine Pflichten die Tiere gegen die Tiere l?j Kein edler Mensch kann es mit seinem Gewissen vereinbaren, lebende fühlende Wesen so zu behandeln, als lebten und fühlten sie nicht. Das ist der Kernpunkt. Nur die herzlosen Menschen dürfen sich aus den kalten Rechtsstandpunkt versteifen und sagen, datz die Tiere uns zum beliebigen Gebrauch und Verbrauch in die Hand gegeben seien. Der edle Mensch aber kann lediglich den weisesten Gebrauch und Verbrauch des Tieres als Menschenrecht gelten lassen und er wird, unbceinslutzt von juristischen und philosophi schen Klügeleien, den Tieren aus seinem warmen Gemüt heraus ein ungeschriebenes Recht auf Rücksicht, ein Echutzrecht. bereit willig zugestchen. Geht, wie es der Fall ist, durch die menschliche Gesittung der Zug der Auswärtsentwickelung nach dem erkannten Besseren, so sollte es selbstverständlich sein, datz der Abglanz davon auch auf das Los der Tiere in der Zivilisation wohltätig zurückwirkt. Dies ist leider bis jetzt nur vereinzelt geschehen. Erster Haupthindc- rungsgrund war der. datz es immer Menschen gab. die vor den Uebertreibungen des Tierschutzes, vor dem Ticrkultus warn ten, gerade als ob wir schon in einem Zeitalter lebten, in dem die Tiere allgemein verzärtelt werden, llnd ein zweiter Hauptbe- hinderungsgrund war der, datz man immer den Tierschutz in gar stigen Gegensatz zum Menschenschutz stellte, gerade als ob cs ein Unrecht sei, für die Wohlfahrt der Tiere zu sorgen, so lange noch Menschen im Elend dahinlebcn. Aus diesen Gründen ist der Tier schutz bisher stets das vernachlässigte Aschenbrödel gewesen, ob wohl die Warner diese unglückliche Wirkung ihrer Kritiken viel leicht gar nicht beabsichtigt hatten. Wo sieht man eigentlich heute, datz zu viel sür die Tiere getan wird? Man gehe doch aus die Bauplätze, Abrisse, Schutt abladeplätze etc. und schaue sich dort die Schinderei der Pferde mit an. Alan prüfe, wie ost die Wagen, die einem begegnen, sichtlich nur mit Mühe fortgeschleppt werden können, namentlich die Steinwagen, die Rollwagen. Man beobachte, wie ost das Ge schirr den Pferden blutige Stellen gerieben hat, und aus diese Wunden das Lederzeug und die furchtbare Last ununterbrochen drücken. Man sehe, wie unzählig ost die Fuhrknechte wahre Teufel sind, und denke sich nun das Los der armen Tiere in der Gewalt solcher Unmenschen Tag für Tag. Das betrifft nur eine einzige Klasse der Tiere. Aber ist es beim Ochsenzug noch bei hundert anderen Gelegenheiten anders? Tausendfach treffen wir dasselbe Bild der furchtbarsten Roheit gegen die wehrlosen Tiere. Wie kann es da richtig sein, datz man, wenn vom Tierschutz gere det wird, statt die Mitwelt feurig zur Hilfe auszurusen, die See len der Zeitgenossen abkühlt, indem man die zahllosen Greuel unerwähnt läht, aber von einer llcbcrtreibung der Tierliebe warnt? Es wäre freilich wider die Wahrheit, würden wir leugnen, datz cs auch in Deutschland Ticrnarren gibt, die ihr Tier so lieb haben, datz sie mit ihm einen förmlichen Kultus treiben; ebenso, datz es Tierlicbhaber gibt, die dabei für ihre Mitmenschen wenig Teilnahme übrig behalten. Diese Personen bilden jedoch, den Allzuviclen gegenüber, die ihre Tiere roh behandeln, schonungs los überanstrengen, gröblich vernachlässigen und grausam töten, eine fabelhaft seltene Ausnahme. Gilt es auf allen Gebieten als ungerecht, einzeln vorkommcnde Mitzstände zu verallgemeinern und die Ausnahme zur Regel zu machen, warum bauscht man die so spärlich gesäten Sonderlinge der Tierfreundschaft zu Repräsen tanten des iTcrschutzes aus? Mitunter haben übrigens derartige „Schrullen" in den traurigen Lebenserfahrungen und in der ver einsamten Lebenslage der betreffenden Sonderlinge einen ern steren Hintergrund. Auch wäre es für die Menschheit kaum besser, wenn solche harmlosen Steckenpferde durch andere Leidenschaften, etwa durch Trunk und Spiel, ersetzt würden. Jedenfalls darf man sich durch das vereinzelt anzutressende Uebermatz von Tier liebe nicht den Blick dafür trüben lassen, datz das Grundstück un serer Zeit weit eher das Untermah von Tierliebe ist. Nach jeder Richtung wird die Menschheit einst^besser fort kommen, sobald man sich abgcwöhnt haben wird, zwischen Tier- und Menschenschutz einen Gegensatz aufgerichtet zu denken. Das Eoethesche Wort: „Wir dienen immer der Menschheit, wenn wir der Menschlichkeit dienen", dies allein ist wahr. Ueberall ertönt heute der Ruf, dah uns gemütswarme Menschen so sehr fehlen. Und dennoch tut man nichts, um die zahllosen Tierschindereien zu beseitigen, d. h. diese unermeßlichen Quellen der Herzensver härtung für Millionen von Menschen zu verstopfen. Wie töricht!