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Erneut In diplomatischer Mission 59 erstere Arbeit, die von Humboldt in der damals geplanten Form niemals veröffentlicht worden ist, heißt es in diesem Brief wie folgt: . Ich bin dahin gelangt, über die Neigung der Schichten gegen den Hori zont und über die Schichtenfolge ein allgemeines System zu fixieren. Es ist eine überraschende Erscheinung, die bisher der Beobachtung unserer Natur forscher entgangen ist, zu sehen, daß vom Leuchtturm im Golf von Genua an bis an das Baltische Meer die blätterigen Fölsen den gleichen Neigungs winkel zum Meridian haben. Die Richtung der Gebirgsketten scheint darauf keinerlei Einfluß zu haben, sondern entscheidend ist nur das Alter der Formation, wenn eine Schicht nach Norden oder Süden zu geneigt ist und wenn das Ganze den allgemeinen Gesetzen der Anziehungskraft und der Drehung des Erdballs entspricht. Noch im Laufe dieses Sommers wird mein Werk über die Struktur der Erde in Mitteleuropa erscheinen, und ich werde mich dann reichlich belohnt wissen für so viele ermüdende Fußtouren, wenn dieser Versuch, die Gesetze der Geognosie festzulegen, die Zustim mung Eurer Exzellenz verdienen würde. Augenblicklich beschäftige ich mich mit einem viel feineren, von der Mineralogie ganz verschiedenen Gegen stand. Ich lege eben die letzte Hand an meine physiologische Arbeit: Be trachtungen über die Reizbarkeit der tierischen Muskelfaser . . 90 Nachdem Humboldt seine amtliche Tätigkeit von der Mitte des Februar bis zur Mitte des April einige Wochen hindurch hatte unterbrechen müssen, um gemeinsam mit dem damals in Jena lebenden Bruder Wilhelm die zu Berlin hoffnungslos am Brustkrebs darniederliegende Mutter zu besuchen, sah er sich auch, als er wieder nach Bayreuth zurückgekehrt war, mehrere Wochen hindurch an jeder Art von dienstlicher oder wissen schaftlicher Tätigkeit dadurch behindert, daß ihn ein Nessel- und Schleim fieber ans Bett fesselte. Nur kurze Zeit war es ihm, nachdem er hiervon wieder genesen war, vergönnt, sich dem Abschluß seiner Arbeit über die gereizte Muskel- und Nervenfaser sowie der Fortsetzung der bereits im Vorjahr begonnenen Studien über die dem Bergmann so gefährlichen unterirdischen Gasarten und die technischen Schutzmittel gegen sie 91 zu widmen. Denn schon im Juli hatte er sich einer ihm von Berlin aus zu gewiesenen politisch-diplomatischen Aufgabe zu unterziehen, die ihn bis Ende August in Anspruch nahm: Als nämlich die Franzosen in Württem berg eingefallen waren und zu befürchten war, daß sie auch die Frän kischen Fürstentümer und die an diese unmittelbar nach Westen zu an grenzenden Fürstlich-Hohenlohischen Länder bedrängen könnten, sollte Humboldt sie von deren Neutralität überzeugen. Er führte seine Mission mit glücklichem Erfolg durch, wobei es ihm gut zustatten kam, daß der 90 Das Buch erschien 1797 in 2 Teilen bei Rottmann zu Berlin und Posen unter dem Titel „Versuche über die gereizte Muskelfaser, nebst Vermutungen über den chemischen Prozeß des Lebens in der Tier- und Pflanzenwelt“. Teilveröffentlichungen zu dem Thema hatte Humboldt (nach Br. II, S. 490 f.) bereits am 26. 6. 1795 in Grens Neuem Journal der Physik (II, 115—129 und 471—473) sowie in Crells Chemischen Annalen (II, 3) veröffentlicht, wie auch gerade um die Zeit des vorliegenden Briefes ein im Dezember 1795 von ihm an den Göttinger Naturforscher Joh. Fr. Blumenbach (1752—1840) gerichteter Brief über seine dies bezüglichen Versuche in Grens Neuem Journal der Physik (III, S. 165—184) veröffentlicht wurde. Über weitere einschlägige Veröffentlichungen in dieser und der folgenden Zeit siehe Näheres in der bibliographischen Übersicht von J. Löwenberg bei Br. II, S. 490 f. 91 In Betracht kommt hier besonders die 1795 in Crells Chemischen Annalen (II, S. 108) veröffentlichte Arbeit: „Über die Grubenwetter und die Verbreitung des Kohlenstoffs in geognostischer Hinsicht. Ein Brief an Lampadius.“ Über weitere einschlägige Veröffent lichungen in den Jahren 1796—1799 siehe Br. II, S. 490 ff.