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Der Sächsische Erzähler sss—-SSM-SSS4M-—WSSSSWSff^S-S-—^——! Flüchtling in Rußland. Abenteuer zwischen Wo tga und Petersburg, von Schiffsofflzier G. Hiurichs. Schtzsi« au, -em Duukel. I« näher wir -er Stadt kamen, desto finsterer erschien sie uns. Bald nahte auch das Verhängnis. Nachdem wir anderthalb Stunden getrieben waren, passierten wir einen im Bau befindlichen Brückenbogen. Nichts sehen und nichts ahnend, Härten wir uns plötzlich von der Brück« anae- schrien: „Halt! Ihr setd Flüchtlinge! Hütet oder ich schieße!" Ich rief zurück,' daß wir FiMrleute seien und ließ das Boot weiter treiben. Kutz darauf krachte «in Schutz, der einen halben Meter neben "dem Boot ins . Walser schlug. Ein zweiter Schutz fvtgte kurz darauf und traf Köpke, -er unter einer Persenning im'Böyt versteckt lag, in den Leib. Köpke schrie vor SchmeÄ wie! efn WähnsinrckS« und sprang auf, um sich aus dem Boot zu stürzen. Mit Müh« gelang «s mir, ihn zu halten und das Doot an Land zu steuem. Im selben Augenblick waren schon russische Soldaten zu Stelle, di« nur mit Unterzeug bekleidet waren, und nahmen uns in Empfang. Mir standen die Haar« zu Berge. Aus war es mit un seren Plänen. Ueber zwei Jahre lang war «s mir gelun gen, der Soldateska und der Polizei zu entschlüpfen. Jetzt Men alles zu End« und unser Schicksal besiegelt zu sein. Den verwundeten Köpke packten zwei Soldaten unter un aufhörlichem Schreien an Händen und Füßen und schlepp ten ihn in eine Baracken Schuld und ich wurden der Poli zei übergeben. Bald saßen wir in einer finsteren, feuchten Zelle. Der ganze Vorgang hätte kaum eine Stunde ge dauert. Ich wär wie vor den Kopf geschlagen. Kaum einen klaren Schänken fasten konnte ich Doch die rauhe Wirklich keit lieh sich nicht wegwischen: Die Schänken an die deut sche Heimat hatten mich bisher immer aufrecht gehalten. Jetzt brachten sie mich zur Verzweiflung. > Noch im Laufe des Pormittägs wurden wir dem Po- lizeigtzwaltigen vortzeführt und verhört. Er entpuppte sich bald als deutschfreundlich und sprach auch ganz gut deutsch^ Unsere Aussagen stimmten aber nicht mit denen überein, die er .von der Sarapolbr Polizei hätte. Außerdem erklärte er ups, daß wir in Sarapol von drei Gebrüdern, die Deutsch rüsten waren, verraten worden seien. Unsere Ausreden Hal? fen nichts mehr. Als wir dann auch noch unser« richtigen Namen hörten, bekannten wir Farbe. Mit verschmitztem Lachen brachten uns die Polizisten wieder in die Zell«. Einige Stunden später hörten wir auch schon unser Urteil: Drei Monate Turm wegen Spionageverdacht und Flucht versuch. Bon dem Boot wurde merkwürdigerweise über haupt nichts erwähnt. Unseren Proviant haben wir auch nicht wieder gesehen. Am folgenden Morgen, nachdem uns alle Gegenstände, die zum Selbstmord verwandt werden konnten, abgenom men waren, würden wjr in Las Untersuchungsgefängnis geführt und zusammen mit einem Chinesen, Jascha, der rus- sischer Untertan wär, in einen mäßig großen Raum ge sperrt. Don Jascha erfuhren wir, daß er irgendwo in einem Nest an -er Wolga 300 Rubel gestohlen hatte, und daß er schön drei Monate in diesem Loch, wo all« Arten und alle Größen von Ungeziefer vertreten waren, saß. Am folgen den Morgen bekämen wir je zwei Pfund Schwarzbrot, das erste seit anderthalb Tagen, dazu kaltes Wasser. Dies war unsere Kost für drei Monate. Im Turm soll es bester ge wesen sein, hörten wir später von anderen Leidensgenosten. Dort habe es sogar warmes Essen gegeben. In unserer Lage gab es jedoch keine Aussicht auf Besserung. Stumof- sinniges Brüten und der immer von neuem peinigende Ge danke „Was mag in der Heimat los sein" brachten uns bald um Len Verstand. Wäre -er Chinese nicht gewesen, dann, weiß der Himmel, wären wir wohl zugrunde gegangen. Er aber überwand oft di« Langeweile und verschaffte uns auf gerissene Art kleine Vorteile. Er konnte ein so erbarmungs würdiges Gesicht schneiden und verstand sich so aufs Bitten, daß neueingelieferte Rusten ihm häufig ein Stück Brot oder etwas Tabak durchs Gitter reichen, was er dann redlich mit uns teilte. Während wir den Tabak zum Kauen benutz ten, um den Durst zu überwinden, brach ihn -er Chinese in Stücke und verschluckt« sie wie Bonbons. Von unserem Kameraden Köpke konnten wir- nichts erfahren. Iwan und sein Aleischkopf. Iwan, der Aufseher, war eine treue Seele. Nur schien sein Pflichtgefühl , allzu grpß, es erwuchs ihm wohl aus der U MW Mdev U VeMnrarMWIklkn I8U ti« fehl In der Berliner I Volksbühne em Horst- I Wessel - Platz v.ranstalk.r M werden: DiewekiberSbml» W Tänzerin nTanzschSpferln L ' Mary Wigman mit ihrer Grupp« beim „Tolenkanz". Mittwoch, de« 12. Dezember 1SS4 Akenntms, daß wir jede nur mögliche Gelegenheit zur Flucht benutzen würden. Da er ein leidenschaftlicher Kar tenspiele! war, saß er meijtens in dem Untersuchunaszim-. m«r, wo di« noch nicht Verurteilten wartete« und spielte „Siebzehn und vier". Er bekam immer Geld, auch wenn er verlor. Gab es mal wegen des Bezahlen« Krach, dann verbot er das Spielen und sperrte die ganze Gesellschaft «in. Dor unserer Tür zog er dann die gewonnenen Rubelschein« aus dem Stiefelschaft, kniff ein Auge zu und freute sich sei- nes Raubes. Ein Gefangener, der wegen Brudermords zwölf Jahre bekommen hatte und an den Füßen Fesseln trug, bracht« Iwan kettenklirrend jeden Mittag eine Schussel voll zusammengekochtem Essen. Die Schüssel stellt« er immer auf ein pultähnliches Gestell neben unserer Zellentür. Der Duft stieg uns stets gewaltig in die Nase und lockt« uns, die Speise zu stehlen. Dabei kam uns wieder der Chinese gut zustatten. Eines Mittags, als unser Wärter wieder beim Karten spielen saß und die Ketten klirrten, war unser Plan reif. Der Suppentopf stand auf dem Pult, wieder zog der Dust in un sere Nasen, die Lüft war rein. Da duckte ich mich nieder, der Chinese stieg auf meinen Rücken und ließ sich hochheben. Dann zwängte er seine schmalen Schultern . zwischen die Eisenstabe hindurch und erreichte mit einer Hand den Sup pentopf. Alles, was darin Lick war, Kartoffeln, Fleisch, Nu deln und Reis, fischte er mit der Hand heraus und ließ es in Schuldt's Händen landen. Der Kamerad tanzte bei -er Entgegennahme des brühend heißen Essens von einem Bein auf das andere. Dem Chinesen machte das merkwürdiger, weise gar nichts; er spürte, di« Hitze nicht. Ebenso wenig schien er von der Kälte zu merken. Er bestand, auch fast nur aus Haut und Knochen. Dennoch war er ein guter Kerl. Diese Quelle floß uns lange. Cs mußt« aber stets schnell gehen. Geteilt wurde dann alles, so gut es ging.. Häufig geschah es nun, daß Iwan vorgeblich mit seinem Holzlöffel, den er immer im Stiefelschaft trug, in der Schüssel fischte. Dann.schimpfte er. auf den russischen Staat und schüttete den Inhalt in das Wasserloch auf dem Hofe. Jaschas Bitten, es ihm zu geben, hatten keinen Erfolg. Er goß das Esten lie ber weg, sein Pflichtgefühl ließ es nicht anders zu. Ein mal in der Woche , durften wir uns auch draußen waschen, dann sog ich begierig die frische Luft ein. Das Vergnügen wurde uns aber immer nur einzeln und unter Iwans' Auf sicht zuteil. Seife gab es nicht. Der Schmutz kroch einem fast buchstäblich nach innen. Schuldt und ich waren von der Gefängnisluft so aufgedun sen, daß wir wohl ein Loch von einem Zentimeter Tiefe in von Rücken der Hand drücken konnten, es wär dann fast noch stündonlang darin zu sehen. Nach und nach hatten sich unsere Nebenzellen mit Wodjakenweibern gefüllt; sie brann ten «inen Schyaps, den sie Cumuschka nannten. Fast alle Ersten davon triefende, entzündet« Augen bekommen. Jascha, -er nun. schon einige Brocken deutsch sprechen konnte, rief einmal vor Uebermut: „Iwan, Du Schweinebraten, komm einmal her!" Zufällig kontrollierte in diesem Augen blick ein Offizier, der auch deutsch verstand, und entzog Ja scha dafür einen Tag sein Brot. Dieser aber hielt sich da für schadlos, indem er die Finger tiefer in Iwans Suppe steckte. Wir haben an der unverwüstlichen, fröhlichen Na tur dieses Schlitzäugigen viel Kurzweil gehabt. Von dem kontrollierenden Offizier erhielten wir die Nachricht, daß der arme Köpke schon am nächsten Tage verstorben und mit einem österreichischen Soldaten zusammen bestätigt worden sei. , , > Fußmarsch durch Rußland. Als wir nach einem Vierteljahr nach Sarapol zurück gebracht wurden, saß Jascha schon insgesamt acht Monate bei Wasser und Brot und den aus Iwans Topf aefischten Bissen. Es tat uns eigentlich leid, daß er nun keine Mög lichkeit mehr hatte, seine Finger in -en Suppentopf zu sta ken, denn ohne Hilfe konnte er nicht durchs Gitter reichem Den Weg nach. Sarapol mußten wir zu Fuß machen. Der die Aufficht führende Polizist marschierte mit, denn er hatte sein Pferd verkauft, damit seine Familie etwas zu esstzn bekam. Zur Strafe dafür sollte er an die Front geschickt werden. Durch unfern Transport wurde er jedoch zunächst Mch SW WU MW. Das künstlerische Erbe Wilhelm Furtwänglers. Die Berufung Les-Direktors der Wiener Staatsoper, des Professors Clemens Krauß auf den Posten des Operndirek- tors der Berliner. Staatsoper ist kein künstlerisches Novum <M sich; deny Kraüß vertäuscht.lediglich einen , gleich gearte ten Posten. Hinzu kopnnt,. daß er bereits in Deutschland fünf Jähre Intendant gewesen ist. / Seine künstlerische Geltung vollends ist unbestritten, Clemens Krauß gilt heute als der erste Dirigent,Oesf>erveichs. / ... In seiner künstlerischen Laufbayn haben die staatliche- Grenzen zwischen Deutschland und Oesterreich kein« Rolle ge- spielt. Gewiß, ist Men seine Vaterstadt, in -er er am 31. März 1893 geboren wurde. Unter seinen Voreltern befinden sich mehrere BühnenMitglieder. Seine Mutter Clementine wgr dramatische Sängerin und zuletzt Spielleiterin an der Wiener Volkspper. Ein« Großtante Gabriele gehörte zum Solopersonal der Stoßen Over in Paris. Schon mit neun Jahren kam Clemens Krauß als Sängerknab« in die Hof? kapelle, seine Musikstudien betrieb und vollendete er am Wiener Konservatorium. Mit neunzehn Jahren begann seine Ditigententätigkeit .als.Chordir^ktor am Brünner Stadtthea ter. 1913/14 war er bereits zweiter Kapellmeister am Deut schen Theater in Riga. Nun verleate er seine Tätigkeit nach Deutschland. Als erster Kapellmeister wirkt« er 1915/16 in Nürnberg, und von 1916—1921 am Stadttheater in Stettin. Zwei Jahre wär er dänn als Opernleiter und Dirigent der Sinfonie-Konzerte itz Gräz tätig. 1983 dirigierte er bereits neben Richärd Strauß ünd Fronz Schalk an , der Wiener Staatsoper und in den Tonkünstlerkonzerten. Gleichzeitig erhielt er den Profefförtit«l als Leiter der Kapellmeisterkläste an der Staatsakademie für Musik. Schon nach einem JaHöe hatte sich sein künstlerischer Rus derart gefestigt, daß er von der Stadt Frankfurt «. M- als Intendant des Opernhauses und als Dirigent der Museums ¬ konzerte berufen wurde. Er nahm den Ruf unter der Be dingung an, daß er die Leitung der Wiener Tonkünstlerkon zerte und der Kapellmeistexyasse beibeholten durste. Die fünf Jahre seiner Frankfurter Tätigkeit brächten reis« Früchte. Der „Sommer der Musik" 1927 machte seinen Na men über ganz Europa bekännt. Er erhielt Einladungen zu Rundreisen nach Spanien und Sowjet-Rußland, bei denen er deutsche Musik in vorbildlicher Weis« propagierte. Es kann nicht wundernehmen, daß die Wiener ihren in zwischen so berühmt gewordenen Landsmann im Jahve 1929 sich zurückholten. Außer dem Posten des Overndirektors an der Staatsoper leitete er die Konzerte der Wiener Philhar moniker, die er auch auf deren Konzertreisen begleitete. Be sonders, innig verbunden ist er mit Richard Strauß, für des sen Musikschaffen er überall mit größter Begeisterunaein- getreten ist. Er wurde deshalb auch berufen, bei der Well uraufführung der „ArabÄla" in Dresden das jüngste Kind der Strauß'schen Muse aus der Bühnentaufe zu heben. In der Oper bevorzugt er Mozart und Richard Wagner, im Konzertsaal Beethoven, Brahms und Bruckner. Doch ist er in keiner Beziehung einseitig, er hat sogar «ine merkwürdige Begabung, junge Talent« in Komposition und Solistenkunst ausfindig zu machen. Selbstschöpferisch hat er sich außer Ge- legenheitekompositionen für einen kleineren Kreis bewußt nicht betätigt, sein ganzes Können und seine ganze Kraft ge hören dem Stabwatterämt, zu dessen größten Vertretern ge genwärtig Clemens Krauß unbestritten gehört. In Berlin harren seiner nach dem Ausscheiden Wilhelm Furtwänglers keine besonderen Aufgaben der Reorganisa tion oder sonstigen Neuformung. Es ist nicht so, wie dies sonst zumeist der Fall zu sein pflegt, daß mit der Berufung eines neuen Mannes eine neue künstlerische Epoche beginnt oder anfangen soll. Furtwängler hinterlaßt seinem Nachfol ger ein musikalisches Erbe in einer Vollendung, daß gerade der beste Mann gut genug ist, seinen Stab zu übernehmen. Anderseits besteht bei Clemens Krauß am wenigsten die Ge- fahr einer Verschleuderung dieses Erbes. Seine reichen Er fahrungen als Opern- und Konzertdlrigent werden seiner neuen Stellung zweifellos zugute kommen, auch wenn die Personalunion in den leitenden Posten der Staatsoper und des Berliner Philharmonischen Orchesters wieder gelöst wer den sollte. Auch dann bleibt für Clemens Krauß ein so gro ßer Aufgabenkreis bestehen, daß es ihm bei seiner reichen Begabung eine wahrhaft künstlerische und schöpferische Freude sein wird, ihn lückenlos auszufüllen. Stürmische Austritte in -er Wiener Staatsoper. Eine größere Anzahl von Inden festgenommen. DNB. Wien, 11. Dezember. Zn der wiener Staatsoper kam es am Dienstagabend zu außerordentlich stürmischen Auftritten, die sogar die Heranziehung größerer polizeiab- teilungen und zahlreiche Verhaftungen notwendig machten: Der an die Berliner Staatsoper berufene wiener Operndirektor Clemens Krauß dirigierte die Over „Falstaff" von Verdi. 2n dem Augenbuck, al» er den Zuschauerraum betrat, brach ein Teil der Stehparterrbesucher in stürmische, demonstrative Hochrufe au», die von zahlreichen im Hause anweseadeu Inden mit Zahlen und pfeifen beantwortet wurden: Iedoch gingen diese Demonstrationen rasch vorüber. Sie erneuerten sich jedoch, als nach der großen Bause Cle mens Krauß sich wleder anschickte, das Dingentenpult zu betreten, «in minutenlanger Kampf zwischen den Hoch rufern und den pfuischreiern sowie von Leutra, die auf Schlüsseln pfiffen, fehle «in. Bald war an diesem Kampf da» ganze Haus beteiligt. Auf den Galerien und im par terre tobte ein wüste» Durcheinander. Zum ersten Male seit Bestehen der Staatsoper mußten Polizeiabteilungen mit dem Gummiknüppel eiaschreiteu; Im Stchparterre wurden zahlreiche Verhaftungen voraeuommen. wie sich spül« herausstelltk, waren alle Personen, die festgenommen wer- den mußlea, Juden. Schließlich gewannen die Kochrufer die Oberhand und konnlen die pfuirufer zum verstummen bringen. Erst mit einer viertelstündigen Verspätung konnte Clemens Krauß mit dem zweiten Len -er Oper beginnen.