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Isrisrrsik kann mit dem Bezug aus den „Sächsischen Erzähler" be» gönnen meiden. Bestellungen nehmen fortwährend unsere Zeitungsbolcn in Stadt und Land, sowie die Ge- ictMsslelle entgegen. Tönies nahm einen kurzen Urlaub, als sein Schiss gerade mit Dockarbeiten in Neuyork lag, und die beiden trafen sich in einem kleinen Boardinghouse in Philadelphia. Friedel brach te ihr Kind mit. Sie beschlossen, Friedel und das Kind soll ten mit Tönies nach Neuyork reisen. Dort wollte Friedel ihre Scheidung, Peter ihre Rückwanderung regeln. In Hamburg sollte sich alles Weitere finden. Man war schon im Begriff, aufzubrechen, als O'Neil dazukaml Es gab eine böse Szene, der Ire war betrunken, durch das Fenster scholl der Lärm einer Streikunruhe. Friedels rechtmäßiger Mann verlangte, sie habe bei ihm zu bleiben, er drohte mit der Po lizei. Es war nicht abzusehen, wie das Zusammentreffen in dem billigen, nüchternen Hotelzimmer enden würde. Schon im Begriff, sich auf Tönies zu stürzen, stockte plötzlich O'Neil und sank in sich zusammen. Von der Fenster bank klingelten ein paar Glasscherben auf den Fußboden. Und O'Neil war tot! Herzschuß durch eine verirrte Kugel, die einzige, die bei den unbedeutenden Straßenunruhcn überhaupt abgegeben worden war! Tönies hatte Nerven genug, sich geschickt zu verhalten. Der herbeigcrufcnen Polizei sagte er, O'Neil sei ein Freund von ihm gewesen, man habe sich getroffen, um ein Wieder sehen zu feiern. Da die Todesursache einwandfrei feststand, hinderte niemand die beiden Deutschen, mit dem Kinde ab zureisen. Friedel brauchte nur wenige Tage, um ihre Rück wanderung zu erwirken. Als das deutsche Schiff das Dock zur Rückfahrt nach Hamburg verließ, waren Friedel und ihr Kind an Bord. Tönies mietete sie in Hamburg ein. Zwei Monate später heirateten die beiden. Es fragt sich jetzt, was man van dem Zufall zu halten hat, der jene Kugel lenkte und einen immerhin schwierigen Schicksalsknotcn löste, dein sich unsere beiden Landsleute ge genübersahen. Nur scheinbar nämlich ist es in diesem Falle das einfachste, an eine Fügung zu glauben und alles für eine Hilfe des Himmels zu halten, der sich eben auch einmal einer fahrlässigen Tötung bedient, um eine Entwicklung sprunghaft zu fördern. Es gibt aber einen tollen Begleitum stand, der einer solchen Erklärung nach meinem Empfinden im Wege steht. Dieser Begleitumstand betrifft jenen törich ten Mann, der den Schuß abgab! Wenn dieser aufgeregte und unvorsichtige Bursche nämlich wirklich nur das unbe deutende Werkzeug der Fügung gewesen wäre, so hätte er notwendigerweise unerkannt bleiben müssen. In vielen tau send Fällen bleiben auch solche Jungens, die mitten aus einer randalierenden Menge, abends in der Dämmerung, einen Schuß in die Luft abgcbcn, um ihrer klassenkämpfcri- scheu Wut Ausdruck zu geben, unerkannt. Dieser hier aber blieb es nicht. Weil die Richter außer ihm niemanden hat ten, an dem sie in dieser Streikangclcgcnhcit ein Excmpel statuieren konnten, gingen sie ausfallend energisch mit ihm ins Zeug. Der Junge bekam zwei Jahre Sing-Sing. Ich denke, daß dieses Nachspiel mit entscheidend ist für die Beurteilung des Zufalls, um den es sich handelte. Aber ich möchte auch diesmal Ihrer eigenen lirteilsbildung in kei ner Weise im Wege stehen. (Schluß folgt.) kannte. Leider stellten sich einer Heirat in der damaligen Zeit außerordentliche Schwierigkeiten entgegen, die vor allem in der Aussichtslosigkeit bestanden, eine Ingenieur stellung für Peter Tönies zu bekommen. Das Paar war- tete seit Jahren, die Hoffnung sank immer mehr, da» Ver löbnis wurde langsam von der Mutlosigkeit untergraben. Als ein bekanntes Berliner Modenhaus Fräul. Kardenbach einen Auftrag anbot, für die Firma nach Amerika zu gehen, um dort die modischen Geschmacksentwicklungen zu verfol gens damit sich die Exportabteilung jenes Berliner Hauses möglichst schnell und in innigem Kontakt mit einer eigenen Beobachterin danach richten könne, nahm sie diesen Auftrag au. Der Abschied von ihrem zurückbleibenden Verlobten war zwar schmerzlich, stand aber unter dem Schatten einer notwendigen und vielleicht auch endgültigen Trennung. i Wirklich war ein Briefwechsel zwischen den beiden nicht imstande, das Verhältnis aufrechtzuerhalten. Peter Tönies, jener stellungslose Ingenieur, konnte nichts Erfreu liches berichten, Fräulein Kardenbach dagegen war mit ihrer Stellung in der 'Neuen Welt sehr'zufrieden. Außer der gro ßen räumlichen Entfernung klaffte zwischen den beiden re- , gelrecht eine soziale Kluft. Sie schickten sich die Ringe zurück. Von Elfriedes Bruder hörte Tönies bald darauf, Frie del habe sich in Amerika mit einem jungen Iren, Montage leiter in einer Automobilfabrik, verheiratet. Er gestattete sich in der Folgezeit nur selten, mehr über ihr Ergehen und den Inhalt ihrer Briefe zu erfragen, hörte aber aus Friedels Bruder, der in dieser Zeit sein Freund wurde, heraus, Frie- , dels Ehe könne so sehr glücklich nicht sein. So lagen die Din ge, als Tönies in einer einzigen Woche zwei entscheidende > Briefe erhielt. Der erste bat ihm eine Stellung als Jnge- nieurassistent einer deutschen Reederei an, deren Schiffe zwi schen Hamburg und Neuyork liefen. Der zweite Brief war von niemandem anders als von Friedel O'Neil und glich einem Hilfeschrei, mit dem sie sich in größter Not an ihren früheren Verlobten wandte. Sie schrieb, O'Neils Jähzorn, seine Trunksucht und seine durch den Verlust der Stellung unerträglich gewordene Rücksichtslosigkeit machten ihr das Leben zur Hölle. Sie erwartete ein Kind und blicke, zumal ihre eigene Arbeit immer geringeren Lohn abwerfe, mit trü ben Gedanken in die Zukunft. Peter Tönies beantwortete diesen Brief von Hamburg aus, von wo er seins erste Reise als Schiffsingenieur antrat. Er fand nicht sehr viel Worte in diesem Bries, aber er schick te von seinem Heueroorschuh an Friedel, soviel er entbehren konnte. Friedel war so in Not, daß sie das Geld annahm. Sie schrieb, es bliebe ihr nicht viel anderes übrig, als seine Hand zu ergreifen und sie sei froh, daß es nicht irgendeine beliebige, sondern Peters Hand sei, die sie vor dem Schlimm sten bewahre. Fast zwei volle Jahre lang blieben die Ver hältnisse so. Friedel ertrug drüben wirtschaftliche und seelische Not, Tönies schrieb und schickte Geld. Im September vorigen Jahres aber entdeckte O'Neils die Zusammenhänge und be anspruchte einen Teil des Geldes, das dieser deutsche Narr jeden Monat schickte, für sich! Die Macht -es Zufalls. Merkwürdige Fügungen -es Alltags und die Frage nach ihrem Sinn, -tach wirklichen Begebenheiten dargestellt von han » w örner. (Fortsetzung.) selbst noch nicht erfahren habe, wie es um sie stehe, vielmehr von der Bestrahlung einen Segen erhoffe und gar noch glaube, es sei ein leichtes, ihr zur Gesundheit zu verhelfen, , müsse eine kleine, gewiß entschuldbare Komödie gespielt . werden. Die Frau solle zum Schein bestrahlt werden, aber > es sei nicht nötig, den Strom einzuschalten. Der Arzt hängte den Hörer ein. In diesem Augenblick brachte die Pflegerin > die Patientin. Es war — Annegretes Mutter! Ich möchte mich bei der Schilderung der Begebenheit zwischen Annegrete und ihrer Mutter in jenem Röntgen- l räum auf gewisse Aeußerlichkeiten befchränken. Die innere Spannung in dieser Begegnung war so stark, daß sie gewiß auch keiner Ausdeutung bedarf. Mag sich jeder selbst den Zustand ausmalen, in dem Annegrete, die etwas leichtsin nige Annegrete, vor ihrer Mutter stand, sie mit abgeschirm tem Apparat bestrahlte, ihre Reden anhörte und ihre Glückwünsche empfing, daß sie durch diese Vertretung viel leicht in eine später feste Stellung hineinrutschen könne. Die Mutter erzählt« Im übrigen, jener junge Arzt habe sie un tersucht und dann hierhin überwiesen. Sie müsse schon sagen, daß dieser junge Arzt ein sehr gefälliger Mensch sei und ein Mann, den sie gar zum Schwiegersohn nehmen möchte, wenn Annegrete sein Gefallen erregen könnte. An negrete hörte zu. Sie brach erst zusammen, als ihre Mutter wieder ge- aangen war. Jener ihr noch unbekannte Arzt erschien, Annegrete wurde ihm vorgestellt, es dauerte einen Augen blick, ehe er den Zusammenhang begriff. Dann gab es Ent schuldigungen, denen keinerlei Schuld zugrunde lag, gab herzliches Bedauern, das nach Lage der Dinge nicht trösten konnte. Annegrete tat ihren kurzen Dienst zu Ende, Dann rief sie zu Hause an und sagte, sie werde irgendwohin spa- zierengehcn, sagte eben irgend etwas, um mit sich allein zu sein. Es war bereits Abend, als sie wieder in die Stadt kam, sie suchte Gert und hörte, daß er bei mir sei. So kam sie dann zu uns. Wir haben ihr an diesem Abend ebensowenig Helsen können, wie wir es im Verlaufe der drei Jahre tun konn ten, die Annegretes Mutter dann noch lebt«. Ihr gesundes Herz,ihr ungebrochener Egoismus, die Zähigkeit, mit der sie am Leben hing und ewig überzeugt blieb, daß sie wieder gesund werden würde, waren noch die geringste Qual für Annegret«, als eben der Umstand, daß sie um ihren Zustand wußte und natürlich die Zuversicht ihrer Mutter äußerlich teilen mußte. Annegrete bekam kurz danach die Stellung jener Röntgenassistentin, die sie damals für zwei Stunden vertreten hatte, denn diese Dame heiratete überraschend jenen jungen Arzt, bei dem Annegretes Mutter an dem ver hängnisvollen Vormittag gewesen war. Das merkwürdige Zusammentreffen damals mag auch die beiden Aerzte mit bewogen haben, ihr die Stellung zu geben, obwohl sie natürlich Annegrete in Wirklichkeit gar nicht verpflichtet waren. Diese Stellung konnte gewiß sehr wichtig für Anne grets werden, sie hatte jetzt Arbeit und eine wirtschaftliche Basis für ihre drohende elternlose Zukunft, aber sie brachte es auch mit sich, daß sie ihre Mutter noch sehr oft zum Schein bestrahlen mußte! Die Mutter sprach nämlich aus drücklich den Wunsch aus, von ihrer eigenen Tochter behan delt zu werden. Man konnte nichts gegen diesen Wünsch tun. Selbst kurz vor ihrem Tode hat Annegretes Mutter noch von ihrer Tochter die Bestätigung ihrer Hoffnung, daß sie einmal wieder ganz gesund werden würde, erfragt und erhalten. Sie fragte eben so, daß Annegrete ihr als Rönt genassistentin, die es doch wissen werde, zureden mußte, es gebe in Wirklichkeit zwar selten eine langwierigere, aberbe- timmt keine weniger gefährliche Krankheit als diese chro nische Gewebeentzündung, an der sie litte. Ja, die Mutter begann sogar, sich von der rein medizinischen Seite für ihren Fall zu interessieren, Annegrete mußte ihre Lehrbücher brin gen und den scharfen Verstand der Sterbenden immer wie der in die Irre führen. Als die Frau endlich unter entsetzlichen Bcgleiterschei- mngen starb, war Annegrete «in vollkommen gebrochener, erlisch ausgepumpter Mensch, dessen innere Widerstands kraft für alle Zeiten erlahmt schien. Sie war ein leicht- cbiges Kerlchen gewesen, man kann der Ansicht sein, daß ie eine strenge Lebensschule gebrauchte, um zu einem gewissen Ernst zu finden, aber ich glaube doch, daß sic weni ger unter der.Lehrrute des Lebens gelitten hat als unter der brutalen Folterlust eines Zufalls. Aber ich möchte mich auch in diesem Falle einer Bewertung enthalten und jedem Leser freistellen, welch« Sinngebung er den so verschieden artigen Erscheinungsformen des Zufalls angedcihcn lassen will. IV. Eine Kugel von irgendwoher. Unter den vielen Strcikunruhen, von denen die Ver einigten Staaten im Laufe der depressiven Wirtschaftsent wicklung der letzten vier Jahre betroffen worden sind, waren die Krawalltage in Philadelphia diejenigen, von denen sich eigentlich am wenigsten zu reden lohnt. Es gab, es ivar im Oktober vorigen Jahres, nur drei Verletzte, die Gummi- söckc der Polizisten hinterließen keine Keime in ihren Platz wunden, und diese Wunden heilten schnell. Außerdem traf eine verirrte Kugel einen Unbeteiligten. Diese Kugel wurde von einem aufgeregten Demonstranten ziellos in die Lust gc- chickt, sie durchschlug das Doppelfenster eines kleinen Hotel zimmers in einer an sich ganz ruhigen Nebenstraße und tö tete dort einen Mann, einen Iren namens O'Neil. Ich hätte diesen Namen, unter dem ich mir auch heute noch nicht viel anderes vorstellen kann als einen mittelmäßigen, wenig kultivierten, etwas jähzornigen und alles in allem unbedeu tenden Mann, nie erfahren, hätte ich nicht vor einiger Zeit . rn Hannover den Bruder seiner ehemaligen Frau kennen gelernt. Diese Frau ist also eine Deutsche. Sie hieß mit ihrem Mädchennamen Friedel Kardcnbach und übte den Beruf einer Modistin aus, ehe sie nach Ame rika auswanderte. Das geschah im Sommer 1928 und hatte einen immerhin erwähnenswerten Grund. Friedel mar mit pinem jungen Ingenieur verlobt, den sic von Jnaend aus III. Der Zufall als Foltermeister. Von allen Einzelfällen, über die ich zu berichten habe, wollte mir lange Zeit der nun folgende als derjenige erschei nen, bei dem die Macht namens Zufall ihre grausamst« Maske aufietzte und sich jeder sinnvollen Zielsetzung völlig begab. Ich bin mir auch heute noch nicht klar darüber, wo man mit den gewohnten Begriffen auskommt, wenn man in dem qualvollen Erlebnis einer meiner Bekannten, der jetzi gen Frau eines Berufsfreundes, .so etwas wie einen Sinn entdecken will. Jedenfalls hat der Zufall, der sie zwang, drei volle Jahre ein böses Geheimnis mit sich herumzutra gen, im Grund« niemandem genutzt, sondern jene Frau diese ganze lange Zeit über nur in Mitleid erregendem Maße ge foltert. - Freilich ist Annegrete vor diesen entsetzlichen drei Jah ren das gewesen, was man ein „leichtsinniges Haus" nennt, und freilich hat sich ihr Wesen innerhalb dieser Zeit in kaum vorstellbarer Weise zum Ernst gewandelt. Aber ich kann mich nicht entschließen, diese Wandlung als den Sinn jenes vernichtenden Zufalls anzusprechen. Und noch weniger möchte ich irgend jemand raten, diesen Sinn für sich in die ser Richtung zu suchen. Auch diesmal maq ihn jeder auf seine Weise begreifen. - Annegrete hatte «ine Ausbildung als Röntgenlaboran tin hinter sich und kam mit jener Leichtfertigkeit, mit der halbfertia« Mediziner bisweilen über seelische Dinge zu ur teilen pflegen, in meine Heimatstadt zurück. Schon damals war ihre Mutter leidend, aber man ahnte noch nichts Ernst liches. Annegrete konnte ihre Jugend unbeschwert leben, jedenfalls hinderten die gesundheitlichen Beschwerden ihrer Mutter sie nicht daran. Sie ließ sich auch sonst wenig davon abhalten, recht viel Betrieb um ihr reizendes Persönchen zu machen, und in diesen Betrieb wurde mein Kollege, Gert hieß er, hinelngezogen. Er sprach mir oft von Annegrete, und ich hörte deutlich aus ihm heraus, daß er sie sehr gerne hatte. Nur ihre Leichtlebigkeit war schuld daran, daß er sich davor scheute, sie sich als seine Frau vorzushellen. Gerade an dem Abend, an dem das Entsetzliche geschah, war Gert bei mir, und wir sprachen davon, ob man es wagen dürfe, ein ganz unausgegorenes, etwas' leichtlebiges Mädchen zu heiraten, oder ob man gut daran täte, es erst austoben zu lassen, wie der schöne Ausdruck ja läutet. Ich kann mich erinnern, daß ich es an diesem Abend für durch aus möglich hielt, eine überschäumende Frau in der Ehe ausreifen zu lassen, aber ich sagte Gert offen, daß ich in ihm nicht den überlegenen Mann sehe, solch ein wildes Pferdchen an ein Gespann zu gewöhnen und ihm einige Unarten auch mal mithprterHand abzugewöhnen. Und plötzlich stand Anne grete im Zimmer! Meine Wirtin hatte ihr geöffnet, sie trat ein, ohne anzuklopfen,, sie stand in Hut und Mantel und war ihrer selbst offensichtlich nicht mehr Herr. Aber sie weinte erst, nachdem sie ihr Erlebnis ganz klar und mit fester Stimme erzählt hatte. >> . i Annegrete war zu jener Zeit noch ohne Stellung. Sie hatte sich im Krankenhaus und bei verschiedenen Privat ärzten vorgestellt, aber es brauchte damals gerade niemand eine Röntgenassistentin. Am Morgen nun war zweierlei geschehen. Zunächst hatte Annegretes Mutter über eine ner vöse Unruhe geklagt und davon gesprochen, daß sie einen Arzt aussuchen wolle, dessen Namen sie auch nannte.' Es war ein junger, sehr tüchtiger Arzt, der vorerst Noch ohne jede Hilfe praktizierte. Gegen elf Uhr ging Annegretes Mut ter aus dem Hause, um diösen Arzt aufzusuchen. Um ein halb zwölf Uhr wurde Annegrete telephonisch angerufen. Am Apparat war die Röntgenassistentin zweier Aerzte, die ihre Praxis zusammen ausübten. In dem Hause- in dem sie wohnten, sah cs so aus, daß jeder der beiden Doktoren je ein Wartezimmer und einen Konsultationsraum hatte* Gemeinsam für beide arbeitete die Röntgenassistentin in einem eigenen Raum. Es war wohl so, daß die beiden Herren sich in die Auslagen für dieses Röntgenlabor teilten, wie sie sich überhaupt in gewissen technischen Dingen zusam mengefunden hatten. So erledigte zum Beispiel einer der Herren die Bankabrechnungen, die Steuerfragen, alles Kauf männische für den anderen mit, dem zweiten standen Per- sonalfragen zu, die Frage, wer etwa als Röntgenassistentin zu engagieren sei, die Frage, wann die gemeinsame Pflege rin Urlaub haben solle, die Frage nach dem Lohn des Chauf feurs und was cs an solchen Regelungen noch sonst geben konnte. Der Wunsch, den die Röntgenassistentin dieser bei den Aerzte Annegrets am Telephon vorlegte, war kurz der: Annegrete möge für zwei Stunden ihre Vertretung über nehmen. Sic habe ein Telegramm erhalten, daß ihre Schwester sie auf der Durchreise begrüßen möchte, in zwan zig Minuten liefe der Zug ein, in zwei Stunden der andere, mit dem die Schwester weiterfahren müsse. Annegrete sagte zu und lief eilig los. Ihre Kollegin stand schon fertig, um sofort zum Bahnhof zu gehen, wenn sic ankämc, und fand nur Zeit, ihre Vertreterin jenem einen Arzt vorzustellen, der diese Angelegenheit sowieso erledigte und den die Rönt genassistentin auch um ihren zweistündigen Urlaub gebeten hatte. Annegrete wurde sehr freundlich empfangen, man sprach davon, daß sic auch die große Fcrienvertretung der Laborantin bekommen könne, und der Arzt ging mit ihr in das Zimmer seines Kollegen, um sie dort vorzustellen. Im Vorzimmer aber erklärte die Pflegerin, cs sei gerade je mand im Konsultationsraum, und die Vorstellung wurde daraufhin verschoben. Annegrete ging in den Röntgcnraum. Der Arzt er klärte ihr die Schaltungen und ließ sie dann allein, da er gerufen wurde. Kurz darauf klingelte im Röntgenraum das Haustelephon. Annegrete hob den Hörer ab. Es sprach der Arzt, den sie noch nicht kennengelcrnt hatte! Die ser Herr wußte auch nichts von der Vertretung im Röntgen labor, Annegrets hatte im Verlauf des Gesprächs keine Ge legenheit, selbst zu Wort zu kommen, denn der Arzt erteilte eine wichtige Anweisung. Er sagte, cs werde jetzt eine Frau in den Röntgenraum kommen, die bestrahlt werden solle. Diese Frau sei aber so hoffnungslos krebskrank, daß cs an sich ganz zwecklos sei, sie zu bestrahlen. Nur weil die Dame