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Drei Gesänge mit Begleitung des Orchesters von Eugen d’Albert, gesungen von Frau Plaschke-v. d. Osten. a) Wie wir die Natur erleben. Stimmungsbild. Mir scheint, die Natur hat Kindesantlitz, dess’ große lachende Augen dem wiegenden Heranziehen der Dämmerung entgegenstaunen. Die aber trägt den Abend auf weichen Armen mit sich und schreitet, warm nach lauem Sommertag, nacktfüßig, eine kaum erblühte Jungfrau, langsam über die grünen Wiesen vor. Ein einzig kleines, zages Lüftchen flüchtet in all’ der tiefen Ruhe noch am Wald rand entlang. Die alten Eichenriesen treiben Scherz mit ihm und werfen es sich hin und her und wieder zu, lächeln dann gutmütig, als es entschlüpft, recken sich gähnend und gemächlich kraftbewußt und senken schließlich tagesmatt die Blätter. Dann wagen auch die niedrigen Gesträuche und ganz zuletzt die kleinen schwatzenden Halme einzuschlafen, und im Gedanken an den frischen Morgentau liegt friedlicher Genuß auf allem Antlitz. — Da brechen noch verspätet ein paar Kinder mit beerenblauen Händen durch’s Gebüsch. Kicherndes Lachen, Jauchzen und Geschrei! Ein Haschen und Strampeln mit festen, nackten Beinen durch das hohe Gras. — — Schon sind sie fort, — so froh und leicht wie im Erinnern des gereiften Mannes die eig’ne Kinderzeit wohl gleichso schwand. — — Und nun ist wieder Ruhe. Nun liegt über Allem das Abgeschlossenhaben mit Vergangenem und jenes gold’ne Träumen der Erwartung eines sonnigen, klaren, neuen Morgens. — Ich aber zieh’ dich nah an mich heran. So gehen wir beide einen ruhigen Schritt. — Der war wohl niederreißend einst und wild und stürmte achtlos über blumige Gefilde. Er raubte uns den Atem, um all’ warme, sonnige Luft genießend einzutrinken. — — Erst jetzt scheint diese Sonne für uns zwei. Erst als die Zeit uns tief die Nacken beugte, entdeckten wir, erlebten wir im Herzen des Morgens jauchzendes, des Mittags sinnendes, des Abends sattbefriedigtes Gesicht. — Wir gehen einen ruhigen Schritt und sehen auch so, warm vertraut einander angeschmiegt, ohne ein Frösteln unserer Nacht entgegen. Fritz Rassow. b) Wiegenlied. Vor der Türe schläft der Baum, Durch den Garten zieht ein Traum. Langsam schwimmt der Mondeskahn, Und im Schlafe kräht der Hahn. Schlaf, mein Wölfchen, schlaf. Schlaf, mein Wulf. In später Stund’ Küss’ ich deinen roten Mund. Streck dein kleines dickes Bein, Steht noch nicht auf Weg und Stein, Schlaf, mein Wölfchen, schlaf. Schlaf, mein Wulf. Es kommt die Zeit, Regen rauscht, es stürmt und schneit. Lebst in atemloser Hast, Hättest gerne Schlaf und Rast. Schlaf, mein Wölfchen, schlaf. Vor der Türe schläft der Baum, Durch den Garten zieht ein Traum. Langsam schwimmt der Mondeskahn, Und im Schlafe kräht der Hahn. Schlaf, mein Wölfchen, schlaf. Detlev von Liliencron.