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Auerthal-Zeitung : 02.12.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id173565485X-189812023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id173565485X-18981202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-173565485X-18981202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Bemerkung
- Druckfehler: Titelseite enth. falsche Ausgabennummer
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Auerthal-Zeitung
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-12
- Tag 1898-12-02
-
Monat
1898-12
-
Jahr
1898
- Titel
- Auerthal-Zeitung : 02.12.1898
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«r (Fischer) aber in Freiheit ist. wolle er das Seinige dazu thun, um diesen ehemaligen Ein jährigen der deutschen Armee, den man jeden- falls längst tot geglaubt, aus der unverant wortlichen Hast zu befreien. Fischer hat bei dem Beztrkskommando in LandSberg a. W. Anzeige davon gemacht. Blankenburg. Ein junges, kräftiges Dienst mädchen erblindete über Nacht vollständig; sie legte sich wohl und gesund zu Bett und als sie am anderen Morgen erwachte, fehlte ihr das Augenlicht. Die Aermste ist sofort in die Halber städter Augenklinik geschafft worden. Biberach. Eine Million Deckelschnecken kauften dieser Tm,e zwei Pariser Händler in dem schwäbischen Alpdorfe Guteustein auf. Das Tausend dieser Weinbergschnecken wurde mit 4 Mk. 50 Pfg. bezahlt, eine willkommene Ein nahmequelle für die arme Gemeinde, wo dieser Industriezweig der Zucht und Mästung der Weichtiere seit Jahrzenten in Blüte steht. Eine weitere Spezialität wird in Gutenftein fabriziert: die Latwerge aus Wachholderbeeren. Die Früchte des Junipern» vommnni» werden waggonweise auS Italien bezogen, wenn der Ertrag auf der schwäbischen Alp nicht ausreicht, mit Zucker zu einem breiartigen Gemisch gekocht und dieses findet in Süddeutschland, hauptsächlich aber nach der Schweiz großen Absatz. Ehingen. Vor einigen Tagen wurde von «inem Hundehändler ein Hund in einer Kiste verpackt in Ehingen aufgegeben, um nach Frei burg befördert zu werden. Unterwegs wurde ein Bündel Feldhasen in denselben Packwagen eingeladen und in der Nähe der Hundekiste ge legt. Diese Gelegenheit benutzte der Hund, um sich einmal auch an Wildpret satt -» essen. Mit großer Anstrengung erbrach er die Kiste und machte sich über das Wildpret her. Als die Hasen an ihrem Bestimmungsort ausgeladen werden sollten, hatte der Hund einen Hasen ganz und einen halb aufgefressen. Der Hund zeigte sich noch sehr renitent, als ihm der Rest seiner Mahlzeit abgenommen wurde. Da der Empfänger die Annahme des Hundes verwei gerte, so hat der Absender die ungenügende Verpackung seines Hundes teuer zu bezahlen. Wien. Eine merkwürdige Blüte hat die rührige Ansichtspostkarten - Industrie in Wien gezeitigt. An der schönen blauen Donau werden Postkarten mit dem Bilde des Dr. Pöch, der bekanntlich seinen pestkranken Freund, Dr. Miller, aufopfernd pflegte, massenhaft verkauft. Auch Ansichtskarten mit den Bildnissen des Dr. Müller und der Wärterin Alberüne Pecha wurden in den Handel gebracht. Graz. Während der Bezirksgerichtsverhand lung gegen den Advokaten Dr. Heinrich Seidl wegen Unterschlagung von Klienten-Depots wurde der Angeklagte plötzlich tobsüchtig und begann zu schreien und um sich zu schlagen, so daß die Verhandlung abgebrochen werden mußte. Doktor Seidl wurde in die psychiatrische Abteilung der städtischen Klinik übergeführt. Paris. Ungeheure Sensation erregt die Verhaftung der Frau Bianchini, der Gattin des berühmten Dekorationsmalers der Großen Oper, unter dem Verdacht der Vergiftung ihres Gatten. Bianchini liegt todkrank danieder. Es steht wieder einmal ein gewaltiger Skandal bevor. Schaffhausen. Die Erfolge, welche man in den Ver. Staaten und Kanada durch die Nutzbarmachung des Niagara für die Elektrizitäts erzeugung erzielt hat, haben in den Schweizer Rheinkantonen Pläne zur besseren Ausnutzung des Rheinfalles im Interesse der Industrie und der Beleuchtung entstehen lassen. Die Vor arbeiten find bereits beendet. Man hat ge funden, daß mittels 20 Turminen (jede zu 800 Pferdestärken) sich aus dem Rheinfall noch 16000 Pferdekräfte für Arbeitszwecke gewinnen lassen. Davon sollen allein 2000 Pferdeträfte der Aluminiumherstellung dienen. Die Schweizer Aluminiumerzeugung, die heute an sich schon ziemlich beträchtlich ist, soll dadurch befähigt werden, stärker als bisher in den Wettbewerb mit der amerikanischen zu treten. Ein weiterer größerer Bruchteil der gewonnenen elektrischen Kraft wird als Antriebmittel auf d-r Bahn Frisch—Aarau verwandt werden. Der Rest an Elektrizität steht dann benachbarten Ortschaften mit ihren Industrien für Kraft- und Ltchtftrom zur Verfügung, und eS bleibt noch hinreichend elektrische Kraft zur Belebung und Gründung neuer Industrien übrig. London. We die Wochenschrift ,Lancet' ankündigt, ist der Prinz von Wales nun völlig von seinem Bruch der Kniescheibe, den er sich vor einigen Monaten durch einen Fall auf der Terrasse im Landsitz des Barons Leopold von Rothschild zuzog, genesen. Die Heilung kann als dauernd betrachtet werden. Charleston. Die norwegische Bark „Saftt" ist während eines heftigen Orkans in den Ge wässern von Bahia gesunken. Bon fünfzehn Matrosen konnten nur fünf sich retten, die anderen wurden von Haifischen verschlungen. Mailand. In Livorno wurde auf offener Straße der Polizeisergeant Strazzifri durch einen .Dolchstich in die Kehle ermordet. Amsterdam. Im vorigen Jahre hat ein mysteriöser Attentäter die niederländische Haupt stadt unsicher gemacht. Der Verbrecher ging in der Weise vor, daß er stets um dieselbe Zeit zwischen 5 und 7 Uhr abends Dienstmädchen, die er in einer einsamen Straße traf, hinterrücks überfiel und mit einem schneidigen Instrument in der Schultergegend verwundete. Die Opfer dieses geheimmsvollen Verbrechers, der un mittelbar nach der That die Flucht ergriff, ohne jemals den Versuch zu unternehmen, sein Opfer zu berauben oder M vergewaltigen, belaufen sich auf ungefähr ein Dutzend, von denen zwei ihre» Wunden erlegen find. Zuletzt wurde auf diese Weise die Dienstmagd Katharine Ramus am 27. November 1897 gefährlich verletzt, so daß sie heute noch nicht von ihren Wunden geheilt ist. Trotz eifrigen Nachsorschens gelang es nicht, den Frauenmörder aufzufinden, und es schien, daß derselbe Holland verlassen oder seiner Mord manie entsagt habe, da seit Jahresfrist kein Attentat sich mehr ereignete. Nunmehr hat das mysteriöse Individuum seine verbrecherische Thätigkeit wieder ausgenommen und an einem einzigen Abend und in derselben Straße, der Nikolaas Witsenkade, zwei Dienstmädchen, namens Margarete Marinus und Katharina Heilo in der geschilderten Weise angefallen. Die Erstgenannte ist nur leicht, das andere Opfer schwer ver wundet. Margarete Marinus hat den Mörder überhaupt nicht gesehen, die Katharina Heilo dagegen erblickte den Attentäter, als derselbe die Flucht ergriff und in eine Seitengasse lief. Sie erklärt, sie würde ihn sofort erkennen, wenn er ihr vorgeführl würde. Aber darin liegt eben die Schwierigkeit. Die niederländische Polizei hat bisher nicht einmal eine sichere Personalbe schreibung des Vielgesuchten zustande gebracht. Unter den Ainsterdamer Dienstmädchen herrscht begreiflicherweise großer Schrecken, und sie wagen es nicht, in den Abendstunden die Straße zu betteten. GerichtshaUe. M.-Gladbach. Ein hiesiger Photograph hatte an Sonntagen während des Gottesdienstes die Schaufenster seines Geschäftes nicht verhängt und war deshalb in Strafe genommen worden. Ans seinen Einspruch erkannte das Schöffengericht auf Freisprechung. In der Urteilsbegründung wurde auSgeführt, daß Schaugegcnstände auch während des sonntäglichen Gottesdienstes ausgestellt bleiben dursten, sofern sie nicht zum Verkaufe bestimmt sind. Wetzlar. Das Schwurgericht zu Limburg ver urteilte den Bergmann Best zu 3 Jahr Zuchthaus. Best hatte auf die Schienen der Berlin-Metzer Bahn zwischen Gießen und Wetzlar in der Nacht vier schwere Steine und eine eiserne Schwelle gelegt. Der Angeklagte gab die That zu, erklärte aber nicht, ge wußt zu Haven, wie er dazu gekommen fei. Er fei angetrunken von, Wetzlarer Kriegerfest gekommen. Auszüge aus de« Mrmoire« dr« Fürste« Kismarck. Zahlreiche Blätter bringen Proben aus den „Gedanken und Erinnerungen des Fürsten Bis marck", von denen die bnden ersten Bände in der Cottaschen Buchhandlung erscheinen, während es noch zweifelhaft ist, ob der dritte Band, der ausschließlich die Zeit Kaiser Wilhelms II. be handelt, überhaupt das Licht der Welt erblicken wird. Ein Abschnitt beschäftigt sich mit dem KonfltktSminifterium und enthält außerordentlich interessante, fast durchweg sehr scharfe Charakter zeichnungen der einzelnen Minister. Bodel- schwingh, Jtzenplitz und «Selchow werden als ganz unfähig und unzureichend bezeichnet, Müyler habe seine guten Seiten gehabt, habe aber unter dem Einfluß seiner Frau gestanden, die nur mit äußerster Mühe zu bewegen war, ihren Gatten zu verlassen, wenn Bismarck in dienstlichen Dingen mit ihn« reden wollte. Auch Graf Lippe und der Minister v. Jagow werden als wenig sympathische Persönlichkeiten geschil dert, wogegen Graf Friedrich Eulenburg' trotz „des Mangels an Pflichtgefühl und Arbeitsam keit" als em zu Zeiten der Arbeitslust tüchtiger Gehilfe und feiner Kopf bezeichnet wird. Glänzend ist das Urteil, das Bismarck über Noon fällt: er allein sei sich voll der Bedeu tung der Lage bewußt und in Treue, Tapferkeit und Leistungsfähigkeit unerreicht gewesen, durch Zwischenträgereien sei in den letzten Jahren eine gewisse Entfremdung einaetteten, weil er, Bis marck, geglaubt habe, daß Roon den gegen ihn gerichteten Angriffen nicht immer mit derselben Entschiedenheit entgegengetreten sei, die er, Bis marck, in einem Roon betreffenden Fall beobachtet haben würde. Ein Kapitel „Rückblick auf die preußische Politik" besitzt, wenn es sich auch mtt heute vergangenen Zeiten beschäftigt, doch mehr als histonsches Interesse. Es ist eine bedeutende Studie aus einen: Guß, die nur als Ganzes gewertet werden kann und sich der auszüglichen Wiedergabe so gut wie entzieht. Das „tolle Jahr" behandelt ein besonderer Abschnitt. Die Bauern von Schönhausen und Umgegend ver trieben zunächst unter eifriger Beteiligung der Weiber städtische Deputierte und zeigten große Lust, zur Befreiung des Königs nach Berlm zu gehen. Nur der nächste Nachbar Bismarcks sympathisierte mit der Berliner Bevölkerung und wollte den Abmarsch der Bauem verhindern. Bismarck erwiderte: „Sie kennen mich als einen ruhigen Mann, aber wenn Sie das thun, so schieße ich Sie nieder." „Das werden Sie nicht," meinte er. „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort darauf," versetzte Bismarck, „und Sie wissen, daß ich das halte, also lassen Sie das." Bismarck fuhr zunächst allein nach Potsdam, wo er am Bahnhof Herrn v. Bodelschwingh sah, der bis zum 19. Minister des Innern ge wesen war. Es war ihm offenbar unerwünscht, im Gespräch mit dem „Reaktionär" gesehen zu werden ; er erwiderte die Begrüßung mit den Worten: „Sprechen Sie nicht mit mtt." „Die Bauern bei uns stehen auf!" erwiderte ich. „Für den König?" „Ja." „Dieser Seil tänzer," sagte er, die Hände auf die thränenden Augen drückend. General v. Prittwitz, der in Berlin kommandiert hatte, sagte zu Bismarck: „Schicken Sie uns keine Bauern, wir brauchen sie nicht, haben Soldaten genug ; schicken Sie uns lieber Kartoffeln und Korn, vielleicht auch Geld, denn ich weiß nicht, ob für die Verpfle gung und Löhnung der Truppen ausreichend gesorgt werden wrrd. Wenn Zuzug käme, würde ich aus Berlin den Befehl erhalten und ausführen müssen, denselben zurückzuschlagen." „So holen Sie den König heraus!" sagte Bis marck. Er erwiderte: „Das würde keine große Schwierigkeit haben; ich bin stark genug, Berlin zu nehmen, aber dann haben nur wieder Gefecht; was können wir thun, nachdem der König uns befohlen hat, die Rolle des Besiegten anzunehmen? Ohne Befehl kann ich nicht angreifen." Da der König unfrei war, kam Bismarck auf den Gedanken, einen der Prinzen zum Handeln zu bewegen, er erhielt schließlich wenigstens einen Brief des Prinzen Karl, der ihm den Weg zum Könige ebnen wollte. Er fuhr nach Berlin. Vom Vereinigten Landtage her vielen Leuten von Ansehen bekannt, hatte er für ratsam gehalten, seinen Bart abzuscheren und einen breiten Hut mit bunter Kokarde auszusetzen. Wegen der gehofften Audienz war er im Frack. Am Aus gange des Bahnhofes war eine Schüssel mit einer Aufforderung zu Spenden für die Barri kadenkämpfer aufgestellt, daneben ein baum langer Bürgerwehrmann mit der Muskete auf der Schulter. Ein Vetter Bismarcks, mit dem er beim Aussteigen zusammengetroffen war, zog die Börse. „Du wirst doch für die Mörder nichts geben," sagte Bismarck, und auf eine» warnenden Blick, den er ihm zuwarf, „und dich vor dem Kuhfuß nicht fürchten?" Bismarck hatte in dem Posten schon den ihm befreundeten Kammergerichtsrat Meier erkannt, der sich auf den „Kuhfuß" zomig umwandte und dann aus rief: „I Jotte doch, BiSmarck! Wie sehen Sie aus! Schöne Schweinerei hier!" Es gelang Bismarck nicht, zum Könige vorzudringen, er eittwickelte deshalb seine Gedanken in einem Briefe an den König. Der König antwortete nicht, hat ihm aber später gesagt, er habe den auf schlechtem Papier schlecht geschriebenen Brief als das erste Zeichen von Sympathie, das er damals erhalten, sorgfältig aufbewahrt. Bis marck besprach nun in Potsdam mtt den beiden Generalen Möllendorf und Prittwitz nochmals die Möglichkeit selbständigen Handeln. „Wie sollen wir das anfangen?" sagte Prittwitz. Bismarck klimperte auf dem geöffneten Klavier» neben dem er saß, den Jnfanteriemarsch zum Angriff. Möllendorf fiel ihm in Thränen und vor Wundschmerzen steif um den Hals und rief: „Wenn Sie uns das besorgen könnten!" „Kann ich nicht," erwiderte Bismarck, „aber wenn Sie es ohne Befehl thun, was kann Ihnen dann geschehen? Das Land wird Ihnen danken und der König schließlich auch." Pritt witz : „Können Sie mir Gewißheit schaffen, ob Wrangel und Hedemann mitgehen werden? Wir können Ar Insubordination nicht noch Zwist in die Armee bringen." Bismarck ver sprach, das zu ermitteln, selbst nach Magdeburg zu gehen und einen Vertrauten nach Stettin zu schicken, um die beiden kommandierenden Generale zu sondieren. Von Stettin kam der Bescheid des Generals v. Wrangel: „Was Pritlwitz Hut, thue ich auch." Weniger glücklich war Bismarck selbst in Magdeburg, wo ihn der Adjutant des Generals schließlich bat, sofort ab zureisen, um sich eine Unannehmlichkeit und dem alten General eine Lächerlichkeit zu ersparen. Der General hatte nämlich die Absicht, ihn als Hochverräter zu verhaften. Nach Schönhausen zurückgekehrt, geriet Bismarck bei seinen Bauern in den Verdacht revoluüonärer Gesinnung, da er ihnen den Marsch nach Berlin ausreden mußte, er schlug ihnen deshalb vor, mit ihm eine Abordnung nach Potsdam zu senden. AlS sie den Bahnhof von Potsdam erreichten, war der König eben dort eingettoffen und von einer großen Menschenmenge iu wohlwollender Stim mung empfangen worden. Bismarck sagte seinen bäuerlichen Begleitem: „Da ist der König, ich werde euch ihm vorstellen, sprecht mit ihm." Das lehnten sie aber ängstlich ab und verzogen sich schnell in die hintersten Reihen. Bismarck folgte dem König nach dem Schlosse uiü> hörte dort die Anrede, welche er im Marmorsaale an die Offiziere richtete. Bei den Worten: „Ich bin niemals freier und sicherer gewesen als unter dem Schutze meiner Bürger," erhob sich ein Murren und Ausstößen von Säbelscheiden, wie es ein König von Preußen inmitten seiner Offiziere nie gehört haben wird und hoffentlich nie wieder hören wird. K««tr» Allerlei. Das Liebliagstier einer Kaiserin. Auf allen ihren Reisen führt die Kaiserin Eugenie einen kleinen geflochtenen Korb mtt sich, den sie unterwegs nicht aus den Augen läßt. Dieser mysteriöse Korb war der Gegenstand allgemeiner Neugier, bis man entdeckte, daß er nichts anderes enthielt, als einen gewöhnlichen Igel. Es ist das einzige lebendige Wesen, für dessen Bequemlichkeit und Wohlergchen die Kaiserin eigen händig sorgt. Stundenlang liegt dieses merk würdige Lieblingstier auf dem Schoß der Ver einsamten, die einst zu den schönsten und ge feiertsten Frauen Europas gehörte. Wer ist der Stärkere? Tierbändiger behaupten, daß ein ausgewachsener Tiger wett stärker sei als ein solcher Löwe. Der letztere habe in seinen Vorderpranken nur 69,9 Prozent der Kraft des Tigers und in den Hinterbeinen 65,9 Prozent. Fünf Männer könnten einen Löwen niederhalten, aber neun seien erforderlich, um denTiger zu bewältigen. — Wofinddie mutigen Männer, die dies versucht haben? Mellien. „Sie ist ein verteufelt hübsches Ding ; wenn wir sie zum Weinen bringen, nehmen die Geschworenen ihre Partei und es ist aus mit uns. Vielleicht könnte man die Wahrheit aus ihr herausschmeicheln und herauskomplimentieren, aber selbst darauf möchte ich nicht bauen. So weit ich sie kenne, ist sie eine höchst gefährliche Zeugin, die so schonend wie ein rohes Ei be handelt sein will, und die wir so wenig als nur irgend möglich befragen müssen." „Wenn es uns nicht möglich ist, ihre Aus sage zu entkräften, so müssen wir wenigstens den Schein zu wahren suchen, als wäre uns dies gelungen." „Ich bin dafür, das Mädchen streng über wachen zu lassen, um möglicherweise etwas über ihr früheres Leben zu erfahren. Ihr Betragen in der Mühle während der Ueberschwemmung und im Herrenhause Frau Böhme gegenüber war büchst sonderbar." „Was meinen Sie? Wollen Sie sagen, daß das Mädchen nicht ganz zurechnungsfähig sei und vielleicht zeitweise an Smnestäuschungrn leide?" „Sie vergessen, daß unser Mandant die Wahrheit ihrer Aussage zugibt." „Das ist ja eben das allerschlimmste! Da bei Gewesen muß sie sein, das läßt sich nicht in Abrede stellen. Nun, wenn das Schlimmste zum Schlimmen kommt, so müssen wir den Stier bei den Hörnern packen. Die andern müssen uns den Mord beweisen, und das ist nicht leicht, so lange sie keinen Ermordeten auf- Hnmeffen haben." Sobald Martha ihre Gesundheit wieder er langt hatte, kam sie nach Roßlau und nahm ihren Wohnsitz in dem Herrenhause. Wie schmerz lich und bitter sie es auch empfinden mochte, das Haus, das sie als glückliche junge Frau am Anne des Gatten zu betteten gehofft hatte, unter solchen Umständen wieder zu sehen, ihr gefaßtes Wesen ließ nichts davon merken. Mit ernster Ruhe übernahm sie die Führung des Haushaltes und unterhielt die notwendigen Be ziehungen mtt der Nachbarschaft. An den be stimmten Besuchstagen fuhr sie im offenen Wagen in das Gefängnis und verbrachte jeden ihr er laubten Augenblick bei ihren: Gatten. Die übrige Zeit wendete sie dazu an, die Armen des Ortes zu besuchen und ihnen so viel Gutes als nur immer in ihren Kräften stand, zu thun. Ida besuchte sie oft mit ihren Kindern und Onkel Gustav ebenfalls; auch Justizrat Mellien mit seiner Familie waren häufige Gäste im Herrruhause. Marthas sanftes, würdevolles Benehmen nahm alle, die mit ihr in nähere Berührung kamen, für sie ein. Ihre Kleidung war einfach und schmucklos, wie es sich für eine Frau ge ziemt, deren Gatte für längere Zeit vom Hause abwesend ist. Ihre ganze Haltung schien zu sagen: „Ich fürchte nichts, denn ich bin von dem guten Äusaang der Verhandlungen überzeugt, aber ich setze mich auch nicht über die öffentliche Meinung hinweg, da ich Achtung vor derselben habe." Und wÄrend ihr Herz in beiher Angst erzitterte, sprach sie mit ver größten Unbefangen bett von der Zeit nach den Geschworenen- Sitzungen und wußte ihre BertrauenSfreudigkeit auch weniger Zuversichtlichen mitzuteilen. Nie mand sah ihr an, wie der bloße Gedanke an die bevorstehende Entscheidung ihr Blut erstarren machte, jetzt, wo sie wußte, was für eine Art von Zeugin Käthe Rallas war. Da es aber in dieser Welt nicht möglich ist, es jedermann recht zu machen, so gab es natür lich auch Leute, die mit Marthas Bettagen nicht einverstanden waren, sondern dasselbe heraus fordernd und taktlos nannten und mit ironischem Lächeln ihr schauspielerisches Talent lobten. Hätte sie sich in ihr Zimmer eingeschlossen und ihre Tage :n Thränen zugebracht, so würden dieselben Leute, die jetzt ihr uneingeschüchtertes Benehmen zu ihren Ungunsten auslegten, den Beweis ihres Schuldbewußtseins darin gesehen und sich um den Tag gestritten haben, an dem ihr Gatte geköpft werden würde. In den Augen dieser Leute war es eine unerhörte Beleidigung, daß Martha gewagt hatte, Frau Baumann zu grüßen, noch dazu von dem offenen Wagen aus, in dem sie zum Gefängnis fuhr. Unbeirrt durch solche Urteile, verfolgte Martha den einmal eingeschlagenrn Weg, sich in allen zweifelhaften Fällen auf Onkel Gustav z:ud Juftizrat Mellirns Rat verlassend. Dieser letztere hatte es auch dahin gebracht, daß Doktor Wellner sich während dieser ganzen Zeit fern von Roßlau hiev. ES hätte in der That nicht viel gefehlt und Davor Wellner wäre als Teil haber an dem Morde oder doch als Begünstiger des Mörders ebenfalls unter.Anklage gestellt worden. Man hatte sich schließlich allerdings damit begnügt, ihn auf die Zeugen- sM auf die Anklagebank zu berufen, immerhin Ar seine Gegenwart im Herrenhause eben jetzt nicht wünschenswert, und es war im Interesse aller besser, daß er seine Zigarren in Berlin statt in Roßlau rauchte. So kam unter Hoffen und Bangen endlich der verhängnisvolle Monat August heran und das Geschworenengericht trat unter den gewöhn lichen Formalitäten zusammen. Die Anklage auf Mord gegen Heinrich von Lestow war der wichtigste der diesmal vorkommenden Fälle und sollte deshalb vor allen anderen den Geschworenen zur Entscheidung vorgelegt werden und gleich bei Eröffnung der Sitzungen am 23. August zur Verhandlung kommen. Lange h:ng Martha an ihres Gatten Halse in heißer, stummer Umarmung, als sie am Abend vor dem entscheidenden Tage von ihm Abschied nahm. Mit Gewalt hiev sie die Thränen, die sich in ihre Augen drängten, zurück, um Hein richs Fassung nicht zu erschüttern, und der letzte Bvck, den sie ihm zuwarf, als sie sich endlich von ihm losreißen mußte, sprach von fester, un erschütterlicher Zuversicht auf em baldiges unch glückliches Wiedersehen. Bleich, aber ruhig wie immer, saß sie in dem Wagen, der sie zurück in ihre Wohnung fuhr, und keiner von all denen, die ihr voll Neugier oder Teilnahme nachsahen, ahnte, wie vollständig die junge Frau zusammen- brach, als sie sich endlich allein sah bitteres, leidenschaftliches Schluchzen, ihr uh loses Auf- und Abschreiten, ihre flehem. .: Gebete keine unberufenen Zeugen zu fürcht« hatten. » G-rtfttzung folgt.)
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