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Auerthal-Zeitung : 30.09.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id173565485X-189809304
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id173565485X-18980930
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-173565485X-18980930
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Auerthal-Zeitung
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-09
- Tag 1898-09-30
-
Monat
1898-09
-
Jahr
1898
- Titel
- Auerthal-Zeitung : 30.09.1898
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«Esterhazy soll in London wiederholt vor Zeugen erklärt haben, selbst der Der« fasser des Bordereau -u sein, auf Grund dessen Dreyfus verurteilt wor den ist. Er habe die Fälschuna auf Befehl des Obersten Sandherr und mit Vorwissen Henrys begangen. Trotz des Todes beider sei das Faktum leicht beweisbar. Der „Bordereau" sollte daS materielle Beweismittel gegen Dreyfus bilden, während moralische Be weise für Drehst»' Schuld haufenweise existierten. Außerdem war Oberst Sandhcrr, ebenfalls ein Elsässer, aber ein großer Antisemit, persönlich von der Schuld des Hauptmanns Dreyfus über zeugt. Der deutsche General st ab wäre m den Besitz von Aktenstücken gekommen, die nur Dreyfus hätte erlangen können. Das Bordereau wäre das Verzeichnis dieser Akten stücke. Um Dreyfus auf die Probe zu stellen, habe man ihm einen erfundenen Plan für die Truppenzusammenziehung an der italieni schen Grenze diktiert; kurze Zeit darauf hätten französische Spione von entsprechenden Verän derungen erfahren, die bei den italienischen Be festigungen vorgenommen werden sollten. Oberst Sandherr habe sich entschlossen, dieses Aktenstück zum Beweisstück für die Schuld des Dreyfus zu machen. Als Sandherr Esterhazy befahl, es zu schreiben, habe er ohne Zaudern aus mili- tSrischem Pflichtgefühl gehorcht. * 140 republikanische Abgeordnete und Sena toren bildeten einen Wohlfahrtsaus schuß zur Verteidigung der Republik gegen eine angebliche klerikal-monarchistische Verschwörung. Brisson empfing eine Ab ordnung des Ausschusses, welcher gegenüber er die Existenz dieser Verschwörung bestätigte, jedoch für den entscheidenden Augenblick ein starkes Eingreifen der Regiemng in Aussicht stellte. Republikanische Kreise befürchten ernstlich eine kommende Militärdiktatur. * Betreffs Faschodas sagt das Londoner Blatt .Daily Mail' es habe die Bestätigung der Meldung erhalten, daß ein vollständiges Ueb ereinkommen mit Frankreich abgeschlossen ist. Schweiz. * Der Attentäter Luccheni verweigert jetzt dem Untersuchungsrichter gegenüber jede Aus kunft in französischer Sprache. Er benimmt sich auch im übrigen so frech, daß seine Einzelhaft bis zum 2. Oktober verlängert wurde. Holland. * Die holländische Regiemng hat den Be hörden den Auftrag erteilt, alle fremden Anarchisten festzunehmen und auszu- weisen. Es find bereits mehrere Verhaf tungen erfolgt. Rußland. « Ueber die Entstehungsgeschichte der russi schen Friedensnote verlautet nach der .Köln. Ztg.', daß General Kuropatkin, der russische Kriegsminister, die Anregung dazu ge geben habe. Es sollte die Enthüllung des Denkmals Alexanders II. durch eine Kund gebung verherrlicht werden, wie sie dem Geiste des verewigten Zaren am meisten entsprach. Und da Alexander II. der Zar-Befreier und der Zar- Friedensfürst heißt, so lag eine Friedenskund gebung sehr nahe. Jedenfalls wurde der Gedanke mit Eifer erfaßt und seine Veröffentlichung in der bekannten Art durchgeführt. * Auf dem in Kiew abgehaltenen Kirchen kongreß kam der Kannibalismus unter den Votiaks zur Besprechung. Der Bischof von Kasan gab zu, daß Menschenfresserei in seiner Diözese bestehe und sich bisher keine wirksamen Mittel hätten finden lassen, sie aus zurotten. Die Kannibalen gingen äußerst vor sichtig und geheim zu Werke. Sie hätten den religiösen Glauben, daß die Götter durch das Töten und Auffressen derjenigen, welche sich unter einem Fluch befinden, versöhnt würden. Sichtbare Zeichen solches Fluches wären unheil bare Kränkelten und großes und wiederholtes Unglück. Amerika. * Nicht genug mit dem Erwerb großer Kolonien von Spanien, der den Präsidenten Mac Kinley zu dem Entschluß geführt hat, in einer Botschaft an den Kongreß die Er - politische Kundfcha«. Deutschland. «DaS Kaiserpaar wird die Reise nach Palästina am 12. Oktober antretcn und nach der Rückkehr auS Rominten wahrschein lich bis zu diesem Tage im MarmorpalaiS Wohnung nehmen. «ES darf als zweifellos angesehen werden, daß dem preuß. Landtage in seiner nächsten Tagung gesetzgeberische Vorschläge werden unter breitet werden, welche sich aus die landrSge - setzliche Ausführung des Bürger lichen Gesetzbuches und die Umgestaltung besteheneer Vorschriften gemäß den Bestimmungen deS letzteren beziehen. Ueber eine vom preuß. Landwirtschaftsministerium ausgehende Aenderung sind bereits von den Jnteressentenvereinigungen Gutachten eingefordert. Was diese, die An legung von Mündelgeldern betreffende Neuerung angeht, so ist eine der hauptsächlichsten, darin beabsichtigten Aenderungen die, daß bisher Hypotheken u. s. w. nach der Vormund schaftsordnung als sicher gelten, wenn sie inner halb des Fünfzehnfachen deS Grundsteuer-Rein ertrages zu stehen kommen, während späterhin das Zwanzigfache maßgebend sein soll. Es würde damit eme Erleichterung des land wirtschaftlichen Kredits geschaffen werden, die übrigens nicht bloß auf den pnvaten Kredit von Einfluß sein würde. Bekanntlich legen auch die Jnvaliditäts- und Alters-Versicherungsanstalten, welche ja in ihren Kassen Hunderte von Millionen aufgespeichert haben und wohl noch mehr aufspeichern werden, nach dem Gesetz, das ihnen sogar in gewissen Grenzen ein Ueberschreiten der Mündel sicherheit zugebilligt hat, einen Teil ihres Ver mögens in landwirtschaftlichen Hypotheken an. Die Landwirtschaft wünscht, daß diese bisher in bescheidenem Maße gehaltene Thätigkeit der Versicherungsanstalten erweitert werde. Es ist sicher, daß die beabsichtigte Ausdehnung der Mündelficherheit auch zu dieser Erweiterung bei tragen wird. «Infolge eines Ersuchens des preußischen Handelsministers hat der Vorstand des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller in einer Denkschrift sich gutachtlich dahin ausgesprochen, daß es im Interesse von Treu und Glauben im Handel und Gewerbe erwünscht sei, den Verkauf von Braunko hlen-Äriketts nachGewicht einzuführen. Allerdings konnte nicht verkannt werden, daß die bisherige Methode des Verkaufs nach Stückzahl erheblich dazu bei getragen habe, den Verbrauch von Braunkohlen- Briketts einzubürgern. Im Hinblick hierauf wird in der Denkschrift zugleich die Erwägung anheim gegeben, ob sich Anordnungen ermöglichen ließen, durch die, soweit die Technik der Fabrikatton dies zuläßt, neben der Gewichtsangabe jedesmal auch die ungefähre Zahl der Briketts kenntlich gemacht würde. * Die Nachricht von der beabsichtigten A b - tretung Sansibars «»Deutschland wird in einer Londoner Depesche des Reuterschen Büreaus als unbegründet bezeichnet. « Das Londoner Blatt ,Daily Chronicle' be fürwortet im Hinblick auf den Tod des Königs Malietoa und die Uebelstände der dreifachen Kontrolle über die Samoa-Inseln eine Aufteilung der letzteren unter die drei Mächte Deutschland, England und Amerika. Dabei solle Deutschland Upolu erhalten. Oesterreich-Ungarn. «Am Montag ist der österreichische Reichsrat wieder zusammengetreten. Das alte Präsidium wurde unter Stimmenthaltung der Deutschen wiedergewählt. Der Präsident Fuchs widmete der Kaiserin einen ehrenden Nachruf. Frankreich. * Sämtliche Minister einigten sich am Mon tag dahin, die Revision des Dreyfus- Prozesses einzuleiten und die Dreyfusakten dem Kassationshof zu übermitteln. Der Justiz minister teilte mit, er werde dem Generalpro kurator Anweisungen dahin erteilen, daß jeder Angriff gegen die Armee unverzüglich gerichtlich verfolgt werde. richtung eines Kolonial- Ministe riums der Ver. Staaten zu empfehlen, ge denkt Nordamerika sich auch mit großer Ent schiedenheit an dem Wettbewerb der Mächte inEhina zu beteiligen. Bon New Nork ist eine große Zahl Ingenieure im Auf trage der „Amerikanischen Gesellschaft zur Er schließung Chinas" dorthin abgereist. Aste«. «Der bei der jüngsten Palastu»- Wälzung in Peking thatsächlich seiner Herrscherrechte beraubte Kaiser Tsaisien, oder wie er in seiner Würde als Kaiser be zeichnet wird, Kuangsü (Fortsetzung des Glanzes), ist am 2. August 1872 geboren und kam bereits am 12. Januar 1875 auf den Thron, als Nach folger seines Vaters Tsaishun, eines Sohnes der jetzigen Kaiserin-Witwe. Seit März 1889, wo er selbständig regiert, ist er mit Ach-Ho-na-la, Tochter des Bannerpräsetten Kwei-Hsiang, wählt. Die Kaiserinwitwe Tsu-Hsi, welche 20 I (1861 bis 1881) Mitregentin ihres Gemahl des Kaisers Jchu (Hienfeng genannt) war, führ von 1875 bis 1881 mit der rechten Mutter dl Kaisers die Vormundschaft und si der letzteren war sie allein Kaiserin Der Kaffer, Hr kränklicher Adoptivsohn, weiches Wachs in ihrer Hand. «Wie aus Schanghai gemeldet wird, ist in Woofung der frühere Vertraute des Kaisers von China, Kung, von dem englischen Kanonenboote „Esk" an Bord genommen worden. Die chinesischen Behörden verlangen seine Auslieferung, die aber vom Kommandeur des „Esk" verweigert wurde. Tochter des ver- . ... . Jahre !1) Mitregentin ihres Gemahls, rechten Mutter des seit dem Tode erin-Regenttn. " i, war stets Warnung vor Kondaner Schwindlern. Der Regierungspräsident in Potsdam ver öffentlicht folgende Bekanntmachung: Seit geraumer Zeit erscheinen in der deut schen Presse, insbesondere auch in Lokalblättern, von London aus Inserate, wonach Personen, die sich in augenblicklicher Geldverlegenheit be finden, lediglich auf ihre Unterschrift hm Dar lehen angeboten werden. Diese Inserate gehen von einer Schwindlergesellschaft aus, vor der schon wiederholt in der deutschen Presse gewarnt worden ist. Trotzdem gelingt es den Schwind lern noch immer, neue Opfer zu finden, was wohl teilweise dem Umstande zuzuschreiben ist, daß sie in kurzen Zwischenräumen stets Namen und Adressen ändern, die angegebenen Adressen dienen den Schwindlern lediglich zum Empfang von Briefen; ein Geschäftslokal haben sie selbst dort nie. Da sich m London viele kleine Geschäftsleute gewerbsmäßig mit der Annahme von Briefen beschäftigen, so bietet sich den Schwindlern stets Gelegenheit, neue Adressen zu finden und von den alten Adressen, wo ihrer vielleicht Unannehmlichkeiten harren, im geeigneten Moment zu verschwinden. Die zahllosen Adressen, die von den Schwindlern innerhalb kurzer Zeit benutzt worden sind, verteilen sich über die verschiedensten Stadtteile Londons; die Namen, die sie sich beilegen, find meist solche, die, wie z. B. Waller, Taylor, King, Cole, Brook, Lloyd, zahlreich in London vertreten sind. Manchmal wird dem Namen des besseren Klanges wegen noch ein Zusatz, wie a Sons oder a Co. beigefügt. Das Verfahren ist das folgende: Den Darlehnssuchern, die sich auf die Inserate hin melden, pflegen nach einiger Zeit verschiedene Drucksachen, und zwar gewöhn lich eine kurze, vier Oktavseiten umfassende Abhandlung mit dem Tüel „Warum Anleihen gemacht werden", sowie ein „Kapitalvorschuß formular" aus London, unter einem von dem Namen des Inserenten verschiedenen Namen übersandt zu werden. Das Formular ist nach Ausfüllung durch den Darlehnssucher unter Beifügung von Mk. 3,20 für „Korrespondenz auslagen" zurückzusenden. Demnächst erhält der Gesuchsteller von derselben oder einer dritten Person eine Mitteilung, wonach das Darlehen bewilligt und ein Kostenvorschuß von 5 Prozent der Darlehnssumme verlangt wird. Wie die Schwindler schreiben, ist es „Gebrauch und Sitte", diesen. Vorschuß im voraus zu zahlen. Sobald sie im Besitz des Vorschusses sind, pflegt nach einer kurzen Empfangsbestätigung die Kor respondenz aufzuhören und der Darlehnssucher wird sich klar, daß er betrogen ist. Zögert der Darlehnssucher etwa mit der Einsendung des Vorschusses, so wird gedroht, die Darlehn s- bewilligung zurückzuziehen. Die verschiedenen Drucksachen und Schreiben sind in mangel haftem Stil und fehlerhafter Orthographie ver faßt. In der geschilderten Art sind in neuester Zett wieder verschiedene Personen um nicht unerhebliche Summen betrogen worden. Das Publikum kann daher vor derartigen Darlehns anerbietungen nicht eindringlich genug gewarnt werden. Ko« Nah and Fer«. Hechingen. Das Kloster Stetten, woselbst sich die alte Familiengruft der Hohenzollern be findet, ist Freitag nacht niedergebrannt; die gotische Kirche ist erhalten geblieben. Potsdam. Die Spieleraffäre in Potsdam, in welche ein Erbprinz und einige andere Offi ziere verwickelt waren, ist auch für drei Offiziers burschen sehr verhängnisvoll geworden. Der Anblick der Summen, die von den Offizieren in einer Nacht verspielt wurden, hat die Leute ver leitet, einen Hundertmarkschein zu stehlen und gemeinsam zu verjubeln. Einer davon, der Sohn eines Arbeiters aus Düsseldorf, wurde wegen Hehlerei zu sechs Monat Festung, die beiden andem wegen Diebstahls zu I bezw. IV, Jahr Festung verurteilt. Thale. Durch eine Lust-Drahtseilbahn be absichtigen Berliner Unternehmer die weltbekannte Schlucht zwischen Roßtrappe und Hexentanzplatz im Bodethal zu überbrücken. Die Kosten deS Unternehmens find auf 600000 Mark veran schlagt. Nauen. Einen Raubmordversuch unternahm der 19 jährige Arbeiter Emil Borchert an der 71jährigen Frau Grell. Er schlug so lange auf sie ein und würgte sie, bis sie leblos schien. Sodann erbrach er die Behälter in der Woh nung und nahm mit, was er an Geld und Werffachen vorfand; seine Beute ist indes nur gering. Gesicht, Augen und Hals der schwer verletzten Frau weisen fürchterliche Spuren des Attentats auf. Briesen. Von der Räuberbande, die in jüngster Zeit sich im Fronauer Walde eingenistet hatte und von hier aus ihre Streifzüge unter nahm, ist nunmehr ein Mitglied gefesselt ins Amtsgericht Hierselbst eingeliefert worden. Der Verhaftete, ein seit langer Zeit aus der Lehre in Rehden entlaufener Bäckerlehrling, wurde in der Feldmark Prüfst; mit dem Gewehr in der Hand ergriffen. Er gibt zu, auf den Revier förster Radomsk geschossen zu haben, und daß seine Genossen ebenfalls bewaffnet seien. Dortmund. Das Eisenwerk „Union" hatte über den Kanal, der die Wasserabflüsse der Schlackenhalde aufnimmt, eine neue Stein brücke bauen lassen. Nachdem die Maurer das Gerüst weggenommen hatten, muß sich der Zement durch die heißen Wasserdünste wohl ge lockert haben; denn die Brücke stürzte bald zu sammen. Zwei Arbeiter fielen mit in das heiße Wasser, wobei einer in dem Schlamme des Kanals erstickte und der andere erhebliche Brand wunden davontrug. — Der wegen Ermordung seines Kindes verhaftete Schuhmacher Paul Dienert würde am Donnerstag früh im Amtsgerichtsgefängnis als Leiche aufgesunden. Bienert hatte sich in seiner Zelle an der Bettstelle erhängt an einem Strick, den er aus abgerissenen Streifen der Bettdecke zusammengeknotet hatte. Mohrungen. Eine interessante Beobachtung über die Erscheinungsform und Wirkung des Blitzes wurde in Schliewe am Dienstag bei einem kurzen Gewitter gemacht. Man hatte Gelegenheit, einen Kugelblitz und einen dreifach gespaltenen Blitz zu beobachten. Letzterer be sonders war in Anblick und Wirkung bemerkens wert. Zuerst die gewöhnliche Wellenlinie, dann eine Dreiteilung und ein zischendes Hernieder sausen der äußerst großen elektrischen Funken nach dreifacher Richtung hin, begleitet von einem prasselnden Donnergeknatter, so daß jeder be sorgt für sein Eigentum fürchtete. Und mit Am Vorabend der Hochseil. 1) Roman von Helene Stökl.*) 1. Warmer, schwerer Sommerregen schlägt in großen Tropfen an die Fensterscheiben des Zimmers, in welchem der pensionierte Kreis- phystkus Dr. Karl Wellner in Neudorf, einem kleinen Orte an der pommerschen Küste, mit seiner Tochter Martha beim Frühstück sitzt. Das Geräusch der Löffel und Tassen abgerechnet, unterbricht nichts die Stille, welche in dem großen Gemache herrscht. Schweigend nehmen Vater und Tochter ihr Frühstück em, nicht etwa, well sie sich gestritten hätten, — das thun sie nie; auch nicht, weil es chnen an Stoff zur Unterhaltung fehlt, — im Gegenteil, sie haben einander viel zu sagen, — sondem nur, weil keiner von ihnen den Anfang machen nnd den Gegenstand berühren will, der obenauf in beider Gedanken ist. Martha zögert anzufangen, weil sie noch nicht recht einig mit sich ist, wie sie die Be sprechung am besten einleiten soll, und ihr Vater zögert damit, well er seinem Charakter nach zu den Leuten gehört, die, wenn sie eine Unannehm lichkeit aufgeschoben oder umgangen haben, ebenso zufrieden und froh darüber find, als wenn sie dieselbe wirklich überwunden hätten. Sobald der Doktor seine zweite Tasse Kaffee auSgettunken hat, steht er auf und zieht sich in sein Studierzimmer zurück. Auch Martha erhebt sich und schlendert, ihren Gartenhut am Arme, *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. in den Garten hinaus, um die Rotkehlchen zu füttern. Es ist wonniger, herrlicher Frühling um sie hemm — und Frühling, wonniger, herrlicher Frühling ist auch in ihrem Herzen. Hier auf demselben Platze, hier unter den blühenden Büschen hat sie unter Thränen des Glückes zu dem Geliebten aufgeschaut, der in ihrem Herzen den Frühling wachgerufen und sie zum ersten Male hatte empfinden lassen, was es heißt, zu lieben und geliebt zu werden. Nachdenklich lehnt sie sich in die alte Bank zurück und beginnt, das Brot, das sie zu diesem Zwecke beim Frühstück eingesteckt hat, zn zer krümeln und den Vögeln, die ungeduldig auf den nächsten Büschen des gewohnten Frühstücks harren, hinzuwerfen. Eine Weile sieht sie den lustigen Tierchen, in tiefes Sinnen versunken, zu, dann zieht fie einen Brief aus der Tasche ihres Kleides und liest ihn wohl zum neunten oder zenten Male durch. Er war an ihren Vater gerichtet, der ihr denselben, ohne ein Wort zu sagen, kurz vor dem Frühstück gegeben hatte und trug die Schuld an dem Schweigen, das wir im Frühstückszimmer beobachtet haben. Es sei uns jetzt erlaubt, über Marthas Schultern hinweg einen Blick in diesen Brief zu werfen. Derselbe lautet: „Berlin, den 29. April 1885. Sehr geehrter Herr Kreisphysikus! Ihr Brief hat mich so überrascht und schmerzlich erregt, daß ich in meiner augen blicklichen Stimmung nicht wage, irgend etwas anderes zu sagen, als daß ich eS auf das ent schiedenste zurückweise, Irgend eine direkte oder indirekte Verbindung mit einem Menschen zu unter halten, der so gehandelthat wieHeinrichvonLestow. Es ist mir unbegreiflich, wie irgend jemand, am wenigsten aber ein Mann, der sich meinen Freund nannte, sich einer solch niedrigen Ge meinheit und Falschheit schuldig machen konnte. Ihr ergebener Alfred Baumann." Der Brief war fest und deutlich geschrieben, die Linien waren gerade, die Interpunktion war genau, jeder Strich und jeder i-Punkt mit Sorg falt gemacht. Alfred Bauniann pflegte alles, was er that, mit Ueberlegung und Genauigkeit zu thun: die Worte aber: „niedrige Gemeinheit und Falschheit" waren Ausdrücke, die er sehr selten anwandte; sie ließen erraten, wie groß seine Aufregung gewesen sein mußte, als er fie niedergeschrieben hatte. „Niedrige Gemeinheit und Falschheit!" So oft Martha zu diesen Worten kam, blitzten ihre braunen, lebhaften Augen zornig auf und ihre frischen Lippen kräuselten sich verächtlich. Wer durste es wagen, so von dem Manne zu sprechen, dem sie ihre Liebe geschenkt hatte ? Heinrich von Lestow gemein? Heinrich von Lestow falsch? Falsch — wodurch? und an wem? ihr Heinrich, der für sie der Mann aller Männer war, der fie aus dem tiefen Schlafe der Kindheit geweckt und in das volle Liebcsleben des Weibes ver setzt hatte — daß er etwas seiner Unwürdiges gethan haben sollte, das konnte und wollte fie nicht glauben, und wenn Alfred Baumann es noch so ost beschwor. Wenn sie es aber auch nicht glaubte, unruhig machte es'sie doch. „Was weiß Baumann von mir!" hatte Heinrich halb belustigt, halb beleidigt gerufen, als Martha ihm vertraut hatte, daß ihr Vater ihm nur deshalb noch keine ganz bestimmte Antwort gegeben habe, weil er es für wünschens halte, zuvor bei Baumann Erkundigungen über seinen Charakter cinzuziehen. „Aber lab ihn nur berichten, süße Martha, in ein paar Tagen hole ich mir deines Vaters Antwort." Wie gut ihm das stolze Aufwerfen des Kopfes gestanden hatte. Sein Helles Lachen klang noch in ihren Ohren. Was konnte Alfred Baumann meinen? Martha las den Brief zum elften Male durch,, aber fie mußte, ehe fie dies thun konnte, ein paar große Tropfen davon abwischcn. Hatten die nassen Zweige des Goldregcnbusches sie darauf geschüttelt, oder waren fie aus Marthas Augen gefallen? Unwillig strich Martha das Haar aus der Stim. Nein, ehe sie sich Sorgen machte, wollte fie über den Brief mit ihrem Vater sprechen, der vielleicht besser als sie wußte, was er bedeuten konnte. Bettachten wir Martha Wellner etwas näher, während sie jetzt raschen Schrittes über den Rasenplatz dem Hause zuschreitet. Ihre Gestalt ist etwas über Mittelgröße, schlank und ge schmeidig, voll frischer, jugendlicher Lebenskraft. Ihre Züge machen keinen besonderen Anspruch auf Schönheit, aber fie fesseln unwillkürlich durch ihren lebhaften, freien und ungekünstelten Aus druck. Ueber ihrer weißen Stirn kräuseln sich hellbraune, glänzende Haare und fallen in dichten Ringeln, von einem fast unsichtbaren Netz gehalten, auf ihre Schultern herab. Ihre braunen Augen blicken bald sanft, bald heraus»
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