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Ermord««- der Kaiserin vo« Oesterreich. * DieKaiserinEltsabeth von Oester« reich ist in Genf, wo sie zur Nachkur weilte, das Opfer eines Attentats geworden. AlS die Kaiserin am 10. d. mittags gegen 1 Uhr daS Hotel Beaurivage verließ, um zur Landungsstelle der Dampfer zu gehen, drängte sich plötzlich der einer italienischen Familie entstammende, in Paris geborene Italiener Luccheni an sie heran und stieß ihr eine dreikantige Feile, deren Spitze vergiftet war, in der Herzgegend in die Brust. Die Kaiserin fiel nieder, erhob sich aber gleich wieder und ging bis zum Schiffe weiter, wo sie das Bewußtsein verlor. Auf Drängen der Um gebung der Kaiserin ließ der Kapitän das Schiff abfahren, bald darauf aber kehrte das selbe nach der Landungsstelle zurück. Die Kaiserin wurde in das Hotel zurückgetragen, hauchte dort aber nach wenigen Minuten ihren Geist aus. Der Attentäter wäre beinahe entkommen, wenn sich ihm nicht kurz vor dem Walde ein paar beherzte Kutscher entgegen geworfen hätten, die ihn emem Polizisten über lieferten. Er ließ sich ruhig abführen, erklärte Anarchist zu sein und es eigentlich auf den Herzog von Orleans abgesehen zu haben. * * * Ein Augenzeuge, der Kaufmann Teiffet, be richtet über das Attentat auf die Kaiserin Elisabeth folgendes: Die Kaiserin begleiteten einige Be kannte nach dem 1 Uhr 40 Min. nach Lausanne abgehenden Dampfer „Genöve" am Kai „Mont blanc." Die Kaiserin war inkognito tags zuvor in Genf im Hotel „Beaurivage" eingetroffen und wollte um 1 Uhr 40 Min. wieder nach Mont reux fahren. Der Landungssteg ist vom Hotel etwa 300 Schritt entfernt. Die Kaiserin legte den Weg zu Fuß zurück, mit einer Hofdame und einem Diener als Begleitung. Als sie am Monument des Herzogs Karl von Braunschweig vorüber ging, stürzte sich ein junger Mann, etwa fünf undzwanzig Jahre, alt auf die Kaiserin und ver setzte ihr einen Schlag auf die linke Brust. Die Kaiserin sank, wie man annahm, vor Schreck zusammen, erholte sich rasch und konnte den Weg bis zum Schiff allein zurücklegen. Da bei dem Attentäter keine Waffe bemerkt wurde, ahnte niemand die Größe des Unglücks. Als die Kaiserin beim Schiff angekommen war, ergriff Teiffet, ohne zu wissen, wer die Dame sei, ihren Arm und führte sie zu einer Bank auf Deck. Sie öffnete die Augen und blickte ihren Helfer lange an. Teiffet verließ das Schiff im Glauben, daß es sich um einen Ohnmachtsanfall handle. Das Schiff fuhr ab, kehrte aber nach zehn Minuten wieder zum Landungsplatz zurück. Man vermutete ein Unglück; Teiffet ging des halb mit Dr. Golay hin. Kapitän Roux er zählte, daß man der Kaiserin zur Erleichterung die Kleider öffnete und dabei auf der linken Brust eine ganz kleine Wunde und auf derselben zwei oder drei Tropfen Blut entdeckt habe. Man suchte die Kaiserin zum Bewußtsein zu bringen, aber zunächst ohne Erfolg. Erst nach einiger Zeit kehrte die Besinnung auf einen Moment zurück. Die Kammersrau fragte: „Haben Sie Schmerzen?" DieKaiserinsagte: „Nein!" Da an Bord kein Arzt anwesend war, kehrte das Schiff zurück. Man improvisierte eine Tragbahre, und Roux, Teiffet und zwei Kutscher brachten die Kaiserin in das Hotel „Beaurivage" zurück. In der Nähe des Hotels ergriff Teiffet die Kaiserin am Arm und führte sie zum ersten Stock, wo sie sich einige Minuten ganz wohl fühlte. Man brachte sie zu Bett und entkleidete sie, wobei sie wieder die Besinnung verlor. Dr. Golay unternahm alle Ver suche mit Eau de Cologne, Essig und Bürsten abreibungen vergebens. Der Doktor ließ noch einen zweiten Arzt hnlen. Auf den Wunsch der Hofdame wurde am rechten Handgelenk ein Einschnitt gemacht. Kein Tropfen Blut erschien. Der Tod war bereits eingetreten. Die Aerzte hatten alles aufgewendet, um das fliehende Leben zu erhalten. Alle Anwesenden knieten zum Gebet nieder. Inzwischen hatten einige Kutscher den Atten täter nach kürzer Flucht erwischt und der Polizei übergeben. Er heißt Luigi Luccheni und ist geboren am 23. April 1873 zu Paris, aber Politische Uurrdscha«. Deutschland. * Einer der ,Pol. Korresp.' aus Kairo zu gehenden Meldung zufolge werden Kaiser Wilhelm und Kaiserin Auguste Viktoria mit einem Gefolge von 60 Per sonen am 15. November dort eintreffen. Sie sollen daselbst zwei Tage als Gäste des Chedive verweilen und werden den Abdin-Palast be wohnen. Von Kairo begibt sich das Kaiserpaar zu einer Nilfahrt nach Luxor und Assuan. Wie wohl der Besuch des Kaiserpaares ein sehr kurzer sein wird, biete doch die ägyptische Regie rung alles auf, damit die hohen Gäste die inter essantesten Sehenswürdigkeiten kennen lernen. Die Regierung habe 20000 Pfund für die Be streitung der Kosten des Kaiseraufenthaltes be willigt, es werden aber wahrscheinlich noch weitere 20000 Pfund erforderlich sein. Der Chedive habe 18 000 Pfund bloß zu Anschaffung von Wagen und Pferden aufgewendet. *Aus Kiel läßt sich ein Berliner Blatt melden, die Prinzessin Heinrich werde Anfang November Kiel verlassen, um ihrem Gatten in Kiautschou zu Weihnachten einen Besuch abzustatten. * Im Reichs-Gesundheitsamt ist die Sach- ver st ändigen-Konferenz, die zur Prüfung der kaiserl. Verordnung über den Ver kehr mit Arzneimitteln einberufen worden war, nach zweitägigen Beratungen am Freitag geschlossen worden. Die Verhandlungen sind sehr sachlich geführt worden und haben dem Ge sundheitsamt manchen beachtenswerten Fingerzeig gegeben. Es wird die nächste Aufgabe des Ge sundheitsamts darin bestehen, die brauchbaren Gesichtspunkte aus diesen Verhandlungen zu sammeln und zu sichten und alsdann an eine Revision der fraglichen Verordnung heranzutreten. Oesterreich-Ungarn. * Von allen europäischen Herrschern und Regiemngen sind Beileidstelegramme an den Kaiser Franz Joseph eingetroffen. In diplomatischen Kreisen herrscht die Ansicht vor, daß nunmehr sämtliche Regierungen sich ge zwungen sehen werden, internationale Verein barungen zu treffen, um den Anarchismus mit der Wurzel auszurotten. * Die Jubiläumsfeierlichkeiten in Wien haben durch die Ermordung der Kaiserin einen jähen, schrecklichen Abschluß gefunden. Nach einstweiligen Bestimmungen wird die Leiche der Kaiserin am 16. d. in Wien eintreffen und am 18. d. beigesetzt werden. Frankreich. * Der neue Kriegsminister Zurlindenbe harrt auf seinem Standpunkt gegen die Revision des Dreyfus-Prozesses. Die Chauvinisten drohen mit offenem Aufruhr für den Fall, daß Brisson das Kriegsministerium übemehme, und drängen den Präsidenten Faure zum Einschreiten. *Der ,Siöcle' veröffentlicht eine Note, in welcher erklärt wird, Hanotaux, der frühere italienischer Unterthan. Er hat seinen Militär dienst in Parma gethan und ist, von Paris kommend, am Montag in Lausanne eingetroffen mit der Absicht, den Herzog von Orleans zu töten. Als Luccheni dessen Abreise erfuhr, reiste er nach Evtan in Savoyen, um ihn dort zu treffen, ohne Erfolg. Er reiste dann mißmutig nach Genf. Hier traf er unmittelbar darauf die Kaiserin Elisabeth, die er vor vier Jahren in Budapest gesehen hatte und auch erkannte. — Mit einer dreieckigen Feile, deren Spitze vergiftet war, versetzte er ihr den Schlag mit solcher Schnellig keit, daß niemand die wahre Natur des Atten tats erkannte. Die Kaiserin ist an Blutvergiftung gestorben. Luccheni schweigt bisher über den Grund seiner That und ergeht sich nur in anarchistischen Phrasen. Da die Kaiserin im strengsten Inkognito reiste, hatte die Genfer Polizei die sonst bei fürstlichen Besuchen übliche B e - wachung unterlassen. — Im Kanton Genf besteht übrigens die Todesstrafe nicht; lebenslängliche Einsperrung erwartet mithin den Attentäter. Mnister des Auswärtigen, hahe niemals die falschen Papiere des sogenannten allergehetmften Dossiers fürechtgehalten. Im Gegenteil, wenn es nur auf Hanotaux an gekommen wäre, wären die Fälscher bereits lange entdeckt und bestraft worden. Die fran zösische Regierung sei in keiner Hinsicht in alle diese Fälscher-Affären verwickelt. Kein Mini sterium habe diese Fälschungen gekauft. Die falschen Papiere seien aus dem Jnformations- Büreau des Generalstabs, wo sie gekauft oder fabriziert worden seien,' niemals hinausye- kommen. (Das soll Hetrn Hanotaux rem- waschen? Er hat die Papiere für gefälscht ge halten und dennoch geschwiegen. Nun: wer die. Wahrheit weiß und saget sie nicht, was ist der?) England. *Die Mestern Daily Mail' WM erfahren haben, daß England an Portugal achtzig Millionen Pfund leiht. England erhält dafür Mozambique, pachtet LourenyoMar- ques und die Delagoa - Bai. Außerdem erhält es eine Flotten st ation bei Lissabon. Portugal verpflichtet sich, stets 20 000 Mann Truppen für England bereit zu halten, gleichviel wann und wo sie gebraucht werden. Spanien. *Die Krisis in Spanien wird immer schärfer. Der .Liberal' glaubt, nach der An nahme des Gesetzes über die Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle durch die Kammer werde das Ministerium Saga st a zurück treten. Der Sturz der Regierung werde die Auflösung der Partei Sagastas und eine Neubildung der Parteien herbeiführen. Balkanstaaten. *Die Lage auf Kreta ist noch nicht wesentlich verändert. Einem Telegramm aus Kanea zufolge hißten die Truppen der Mächte auf den Stadtwällen von Kandia ihre Fahnen. Die Stadt selbst aber war noch völlig im Be sitze der Mohammedaner, denn es heißt weiter: Die Admirale richteten an alle Kommandanten und den Untergouvemeur von Kandia ein Ulti matum, nach dem bis Sonntag 5 Uhr nach mittags die Waffen gestreckt werden sollten. Die Schiffe waren zur Erneuerung der Beschießung bereit. * Eine teilweise Ministerkrisis hat in Bulgarien stattgefunden. Wie verlautet, nahm der Kriegsminister seine Entlassung und wurde der Chef des Generalstabes, Paprikow, zu seinem Nachfolger ernannt. Der Grund des Rücktritts ist nicht bekannt. Aegypten. * Den Sudanfeldzug halten die eng lisch-ägyptischen Behörden für zunächst abge schlossen. Das erhellt aus einer von Kairo kommenden Drahtmeldung, alle den Nil hinauf gesandten englischen Truppen würden, sobald es die Beförderungsvorkehrungen erlauben, zurück kehren. Vom Kalifa steht in der That schwer lich noch etwas Ernstes zu befürchten. Ein zu seiner Verfolgung entsandtes, aber schon nach Omdurman zurückgekehrtes Kanonenboot meldet, daß zehn englische Meilen stromaufwärts etwa 1000 feindliche Reiter in Sicht kamen. Sie ritten in vollem Galopp nach südlicher Richtung. Nicht weit von dem Punkte begann ein dichter Wald. Wie eilig die Flucht des Kalifen sein muß, geht aus dem Umstande hervor, daß die hinter ihm herjagende ägyptische Kamelreiter-Ab teilung feine bevorzugte Gattin unterwegs an getroffen und gefangen genommen hat. Amerika. * Mac Kinley beschloß, eine Kommission zu ernennen, um die Beschuldigungen wegen schlechter Verwaltung während des Krieges, die dem Kriegsdepartement zur Last gelegt werden, zu untersuchen. * Der Krieg zwischenArgentinien und Chile, der schon lange drohte, wird nun zur Thatsache werden. Der Präsident der chile nischen Republik unterzeichnete am Sonntag ein Dekret, das 50000 Mann zu den Waffen einberuft und erklärt, daß die gegenwärtig in der Einübung begriffenen 30 000 Mann nicht zu entlassen sind. Asien. * Nach einer Meldung aus London verfügt Rußland im äußer st en Osten gegen wärtig über 22000 Mann Landtruppen (Infan terie und Artillerie), während die dort versammelte Kriegsflotte aus 13 Schiffen, nämlich 3 Panzern, 6 Kreuzern erster und 2 zweiter Klasse und L Torpchobooten mit zusammen 337 Geschützen und einer Besatzung von 5823 Mann besteht. - Da- englische Geschwader im Chinesischen Merre ist in der letzten Zeit von 29 auf 40 Kriegsfabrzeuge gebracht worden und besteht derzeit aus S Panzern, 8 Kreuzern erster, 4 zweiter und 3 dritter Klasse, ferner aus 10 Avisos, 1 Kanonenboot, 8 Torpedos und 1 Torpedojäger mit zusammen 750 Geschützen und 8800 Mann Besatzung. "Li-Hung-Tschangs Stellung scheint chatsächlich erschüttert zu fern. Den ,Times' wird aus Peking vom Freitag gemeldet, Li- Hung-Tschang sei noch in seiner Stellung als Lite st er Großsekretär, doch werde er wahrscheinlich, um seiner Entlassung zuvorzu kommen, seinen Abschied nehmen. Li-Hung- Tschana' habe das Tsung-li-Aamen über die wahre Natur der Bestimmungen des Vertrages bett, die Luhan-Bahn getäuscht. Man wisse noch nicht, ob Rußland sich bei der Entlassung Li- Hung-Tschangs beruhigen werde, man nehme aber an, daß er, nachdem er seinem Zwecke gedient habe, fallen gelassen werde. Lis Nach folger im Tsung-li-Aamen werde derMandschu Au-Lu sein. Ein Schanghaier ,Dalziel'-Ttte- aramm meldet, daß als Ergebnis der Vor stellungen Macdonalds nicht nur Li-Hung- Tschang, sondern auch Ching-Hain, der erste Mandschu und der Präsident des Einkünfte- Amtes, ihrer Aemter im Tsung-li-Aamen ent hoben wurden. Letzterer ist, wie Li-Hung- Tschang, ein großer Russenfreund. Uon Nah und Fern. Limburg a. d. L. Am Donnerstag abend war hier die Erscheinung eines Nordlichts wahr nehmbar. Es erschien genau im Norden, und war später etwas westlich des Polarsternes und zwar erst hellgrau, darauf hellrosa und später dunkelrosa. Der Lichtschein hatte die Form von langgestreckten Garben, die bald breiter, bald schmäler wurden. (Auch aus andern Orten wird die Beobachtung dieser in unseren Gegenden seltenen Himmelserscheinung gemeldet.) Bergisch-Gladbach. Die Stadtverordneten- Versammlung beschloß, wegen Verweigerung militärischer Hilfe bei dem letzten Unwetter Be schwerde zu Wien. Münster. Auf die Ergreifung des Post diebes und die Wiederherbeischaffung der ge stohlenen Wertsendungen ist von der kaiserlichen Ober - Postdirektton eine Belohnung von 1500 Mark ausgesetzt worden. Rostlau. Vorgestern abend brachte ein Schleppdampfer der vereinigten Elbe- und Saaleschiffer einen Pettoleumkahn thalwärts. Kurz vor der Brücke riß die Verbindung und der Kahn blieb auf einem Buhnenkopf sitzen. Der Dampfer fuhr durch die Brücke und kehrte unterhalb derselben wieder um, um den verloren gegangenen Kahn zu holen. Als man das Ver bindungstau suchte, brachte man mit diesem eine alte Eiche, die vielleicht schott mehrere Jahr hunderte auf dem Grunde der Elbe gelegen, zu Tage. Solche Bäume von meistens riesigen Dimensionen sind bei dem jetzigen niederen Wasserstand in hiesiger Gegend schon mehrere gehoben worden. Altenburg. In der Nacht zum Montag wurde im Hemmanschen Tanzsaale zu Röpsen ein jugendlicher Knecht des dortigen Rittergutes von anderen mißhandelt. Er alarmierte die Dienstleute des Gutes, die mit Dreschflegeln, Heugabeln und anderen Mordinsttumenten einen Sturmangriff auf das genannte Lokal unter nahmen, jedoch glänzend zurückgeschlagrn wur den. Als die Angreifer in den Rittergutshof zurückweichen mußten, bombardierten sie von dort mit Dachziegeln und ähnlichen handfesten Gegenständen die Verfolger, die ihrerseits mit einein derartigen Bombardement antwotteteu daß fast keine Fensterscheibe ganz blieb. Das Gerücht von dem Kampfe, in dessen Verlaus selbst Schüsse gefallen sein sollen war bald in die umliegen den Otte gedrungen. Die Dornaische Schützen- Lisa. 7) Novell« von Konstanz« Lochmann. lFortsttzung.) Wellmer antwortete nicht gleich, er sah, daß Lisa vor Erregung zitterte. Wie mußte sie diese Unterhaltung peinigen, sie, die den Vater über alles geliebt Halle. Er begriff die Unzartheit der Assessorin nicht. Welchen Zweck verfolgte dieselbe? So antwortete er rasch: „Ich würdige es vollkommen, wenn ein wissen schaftlich gebildeter Mann mll Freuden seine Kinder selbst unterrichtet, auch kann ich kein Unrecht darin sehen, daß ein talentvolles Mäd chen Griechisch und Latein treibt. Durch solche Studien werden die neueren Sprachen später spielend überwunden. In späteren Zellen, wenn die Erwerbsfähigkeit der Frauen zuniumll, werden leider viele Mädchen gezwungen sein, alle Sprachen zu studieren." „Schöne Aussichten," rief Frau Blaut ent setzt. „Meine kleine Tochter soll nicht in die Lage kommen, nach Männerart in den Hürsälen zu fitzen. Ich lobe mir die guten Hausfrauen, und alle Ehemänner werden auf meiner Selle stehen; die schätzen eine kräftige Mahlzeit well Höher als die gelehrte Unterhaltung mit einem Blaustrumpf. Habe ich nicht recht?" „Ich denke," sagte Wellmer frostig, „man kann daS eine thun, ohne das andere zu lassen. Ein begabtes Mädchen wird stets das Rechte zu finden wissen, wenn der geliebte Mann sie in «ine trauliche Häuslichkeit führt." „Ganz meine Meinung, lieber Kamerad," pflichtete Mallow bei. „Wer so reizend mV Kindern verkehrt, wie Fräulein Braunau, muß Sinn für ein gemütliches Familienleben haben. Zu diesem gehört vor allen Dingen eine gute Küche." „Also total geschlagen," lachte die Blant auf. „Nun, deshalb keine Feindschaft, Fräulein Lisa! Wer wollte es auch ganz mit Ihnen verderben? Gleich dem Rattenfänger von Hameln locken Sie mll Ihrer Stimme die Kinderschar zu sich, und wir armen Müller müssen froh sein, wenn die kleine Gesellschaft noch gem zu uns zurückkehrt. — Mein Arthur ist eigentlich nur in Ihrer Gegenwatt artig." „Ich liebe daS Kind," sprach Lisa ruhig. „Vielleicht liegt darin meine Macht." Innerlich setzte sie hinzu: „Und eine Frau wie du kann eine Kindesseele weder verstehen noch leiten." Hauptmann Mallow machte den vergeblichen Versuch, LisaS nachdenkliche Stimmung zu zer streuen, und Frau Blant hob die Tafel auf, als fie die Wolken auf WellmerS Stirn nicht wegscherzen konnte. „Sie tanzen den ersten Walzer mll Mallow," rief fie lachend dem Mädchen zu, leise fügte fie bei: „Schmieden Sie doch daS Eisen, so lange eS warm iß, Kleine." Ihren tmn in den WellmerS legend, bat fie schmeichelnd: „Lassen Sie uns vergessen, welch' lange Zell vergangen ist, fett ich Walzer mll Ihnen tanzte. Damals war ich unbeständig, heute weiß ich Treue zu schätzen. Erinnern Sie sich noch unserer köstlichen Luftschlösser — kr^Weundschaft, der wir ewigen Bestand Wellmer lächelte ironisch: „ES gibt Frauen, die ihre Gefühle wechseln wie ihre Melder. Wer wollte fie dämm tadeln? — Sie find zum Genuß geschaffen, fie betrachten daS Leben als einen Freudenrausch, üben leicht die schwere Kunst deS Vergessens. — Sie gnädige Frau, waren übermütig glücklich an jenem Abend, als Sie mir Ihre Verlobung mll dem reichen unab hängigen Assessor Blant mitteilten. Vielleicht habe ich damals gelitten — eS war die erste Täuschung, die ich erlebte, doch fiel sie zum Heile auS. WM die Vergangenheit heraufbe- schwören? — Wir find unS fremd geworden, und verstanden haben wk unS wohl nie." „Meinen Sie?" fragte fie mit zärtlicher Stimme. „Wollen Sie eS gar nicht versuchen, in den geheimsten Falten meines Herzens zu lesen?" Ihm wurde schwül bei dem heißen Flehen ihrer Augen. . . „Der Walzer beginnt, gnädige Frau! Darf ich bitten?" „Endlich!" rief Wellmer al» der Tan, zu Ende war. „Nun zu ihr, die viel zu rein ist, um sich unter solchen Menschen heimisch zu fühlen!" „Sie haben keinen Tanz mehr?" sagte er bestürzt, als er gewahrte, daß Lisa den Guts besitzer fottschickte. „Einen noch," sprach fie lächelnd. „Ich hob di« letzte Franyatse auf." , „Tausend Dank. Ich glaube, wir fühlen unS heute nicht am richtigen Platze! Mein Gott, schon wieder eine Störung. Ach — Haupt mann Mallow hat sich besser gesichert." „Mallow macht fich lächerlich mll seiner Leidenschaft für Lisa," dachte Wellmer während er ins Nebenzimmer trat, um dem Tanze von dort zuzuschauen. „Wie müßte meine hold« Blume verschmachten an der Selle dieses pro saischen Menschen." Endlich kam die letzte Franyaise. Leider tanzte gegenüber der unvermeidliche Hauptmann und die schöne Wittin. Von einem vertraulichen Worte konnte auch hier keine Rede sein; das Gegenüber beobachtete scharf. Lisa verhielt fich schweigsam. Ihre Stimme hatte einen seltsam verschleierten Klang. Desto lebhafter gab fich daS andere Paar.. - . Da? Lachen der Assessorin klang schrill in WellmerS Ohr, und Hauptmann Mallow war ihm nie so geistlos vorgekommen, als an diesem Abend . . Lisa« Zurückhaltung dem Kameraden gegenüber machte Mallow viel Spatz. „Sie ist viel zu vernünftig, um eine Liebelei anzufangen. Mein Weizen blüht. Der Lanz mll seiner Lust und Qual ging zu Ende. Man servierte Kaffee, und die älteren Herrschaften mahnten dringender zum «ufbntch. Wellmer sah fich nach einem Fleckchen um, zu dem er Lisa hätte führen können, ihr ungestört Lebewohl zu sagen. Aber daS junge Mädchen machte fich beim letzten Geigenstriche frei und eilt« mll flüchtigem Grütze ins Neben- zimmer. Er folgte leise durch mehrere Räume, bis er in dem dunklen Wohngemach stand. Lisa öffnete eben eine andere Thür — sie trat in» matterhellte Schlafstübchen der Kind«. Ohne recht zu wissen, was er that, riß der Offizier hastig die nur angelehnte Pforte auf, fie fest