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Auerthal-Zeitung : 22.05.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id173565485X-189805229
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id173565485X-18980522
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-173565485X-18980522
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Auerthal-Zeitung
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-05
- Tag 1898-05-22
-
Monat
1898-05
-
Jahr
1898
- Titel
- Auerthal-Zeitung : 22.05.1898
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volltlfchr Uodscha«. vom spanisch - amerikanischen Kriege. *Dte Lage auf dem Kriegsschauplatz hat denn doch keineswegs eine so günstige Wendung für die Nordamerikaner genommen, wie deren neuere Berichte glauben machten; im Gegenteil I Mehrere kleinere Schlappen haben sie bet Landungsversuchen aufCuba erlitten. San Juan auf Portorico ist nicht genommen worden, hat vielmehr den Angriff des Sampsonschen Geschwaders abgeschlagen. Die amerikanischen Berichte vom Freitag haben unverschämt gelogen! DaS amerikanische Geschwader ist abgedampft, um die geheimnisvolle spanische Flotte zu suchen, durch deren Bewegungen wieder Nord» Amerika in Besorgnis gesetzt wird. Dazu kommen wenig günstige Meldungen von Manila. Kurz. Spanien ist noch weit entfernt davon, um Frieden bitten zu müssen. * Nach Meldungen aus Washington herrschen dort lebhafte Besorgnisse wegen des un erwarteten Erscheinens der spanischen Flotte in Martinique und deren Wiederabsegeln, nie» mand weiß, wohin. Eine Seeschlacht wird in den nächsten Tagen erwartet, doch geben die Behörden zu, daß ihnen die spanischen Pläne gänzlich unbekannt seien. Die Richtigkeit der spanischen Strategie wird an erkannt. *Die Postverwaltung in Washington ver- sügte die Beschlagnahme der für den früheren spanischen Gesandten Polo de Bernabe und andere Mitglieder der Ge sandtschaft bestimmten Postsachen. Eine be trächtliche Menge von Briefe von Briefen und Dokumenten auS verschiedenen Teilen deS Landes wurden der Geheimpolizei zugestellt. Aus ihnen soll ein weitgehendes Spionier system mit Anweisungen, die aus Kanada gesandt seien, ersichtlich sein. Diese Thatsachen wurden dem britischen Botschafter Pauncefote unterbreitet, welcher der britischen Regierung empfehlen dürfte, Bernabe sowie die Spionage treibenden Spanier aufzufordern, das kanadische Gebiet zu verlassen. Deutschland. *Da8 diesjährige Kaisermanöver, woran das 10., 7. und Teile des 9. Armeekorps teilnehmen, findet vom 5. bis 10. September bei Minden statt. Das Hauptquartier während des Manövers ist Oeynhausen. *Dem Prinzen Heinrich wurde bei seiner am Freitag mittels Sonderzuges erfolgten Ankunft in Peking ein glänzender offizieller Empfang bereitet. Am Bahnhof empfing der Bruder des Kaisers von China den hohen Gast. Nach der feierlichen Begrüßung erfolgte der Einzug in die Stadt. In den Straßen bildete Militär Spalier. Berittene Mandarinen befanden sich an der Spitze des Zuges, dann folgte ein Halbzug Seesoldaten. Prinz Heinrich wurde in einer prachtvollen Sänfte mit Tragstangen von gelber Farbe, der Farbe des Kaisers von China, getragen, hinter ihm kam sein Gefolge ebenfalls in Sänften. In den Takuforts, in Tanku und in Tienfin war zu Ehren des Prinzen zahlreiches Militär aufgestellt. Die Soldaten präsentierten das Gewehr, während die Offiziere niederknieten. Die Straßen waren überall von dichtgedrängten Volksmassen angefüllt. — Am Sonntag stattete Prinz Heinrich dem Kaiser von China und der Kaiserin-Witwe Besuche ab. *Zur Reform der Militärstraf- Prozeßordnung schreibt das Militär- Wochenblatt': „Alles in allem hallen wir den Entwurf für eine glückliche Vereinigung der in dem bürgerlichen Strafverfahren allgemein an erkannten zeitgemäßen Rcchtsgrundsätze und der bewahrten Einrichtungen des altpreußischen Militärstrafverfahrens. Wir hallen ihn aber auch für durchaus geeignet, den im Interesse der militärischen Disziplin cm die militärischen Strafrechtspflegen unabweisbar zu stellenden Anforderungen zu genügen. Er bildet einen Ausgleich mit dem bürgerlichen Strafverfahren. Gr sichert die RechtLeiuhest innerhalb des deutschen HeereS. Gr bietet volle Gewähr gegen Gefährdung der militärischen Disziplin und ge stattet, daß bei de» raschen mündlichen Br» sahren die Strafe' der That alsbald auf dem Fuße folgt. Die Armee wird sich mit dem neuen Militär»Strafverfahren rasch befreunden und die Borteile, die e» für die Wahrung und Förderung der Disziplin bietet, dankbar an erkennen.^ *DaS Gesetz betr. die Handelsbe ziehungen zu England, durch welches der Bundesrat ermächtigt wird, England und seine Kolonien bis zum 30. Juli 1899 die Bor telle des meistbegünstigten Lande» ein- zuräumen, ist jetzt im.Reichsanzeiger' veröffent licht worden. "Das bayrische Abgeordnetenhaus übergab nach scharfer Debatte die Petition des Münchener Journalisten- und Schriftstellervereins wegen AuslegungdeS „ GrobenUnfugs-Para graphen" der Regierung zur Berück sichtigung mit allen gegen die Stimmen deS Ausschusses, der nur Uebergabe zur Kenntnis nahme beantragt hatte. * Nach langer Beratung, welche vier Sitzungen in Anspruch genommen hatte, ist von der württe m ber gischen Kammer der Zentrums antrag betr. Zulassung reli giöser Orden, Erweiterung der bischöflichen Rechte auf den Religionsunterricht in sämtlichen Schulen und Festlegung der konfessionellen Schule in der Verfassungsurkunde, mit 58 gegen 22 Stimmen abgelehnt worden. Frankreich. "In Frankreich hat sich ein bemerkenswerter Vorgang vollzogen, der für die Stichw ahlen von großer Bedeutung zu werden verspricht: Radikale und Sozialisten haben ein Wahlkartell abgeschlossen. Natürlich muß dies Kartell die Aussichten der bisherigen Sieger, der Regierungs-Republikaner, erheblich mindern. "Die offiziellen Resultate der Wahlen vom vorigen Sonntag find nunmehr folgende: Stichwahlen 181, endgültige Wahlen 397, unbekannt 3 aus den Kolonien. Die 397 Gewählten umfassen: 185 Republikaner, 28 Ralliierte, 108 Radikale, 3 Christlich-Soziale, 4 Antisemiten, 10 nationalistische Nevifionäre (Boulangisten), 20 Sozialisten und 39 Reak tionäre. Die Negierungsrepublikaner gewinnen 39 und verlieren 25 Sitze, darunter 11 an die Radikalen, die ihrerseits mit einem Gesamt verluste von 16 Sitzen dastehen. Die Sozialisten behaupten ihre bisherige Stellung unverändert, da sie 4 Sitze gewannen und ebensoviel einge büßt haben. Die Ralliierten gewinnen 2 Sitze und die Monarchisten büßen deren 5 ein. "Der Pariser Kassationshof hat die Be rufung EmileZolas gegen den Beschluß des Appellhofes verworfen und das Zuchtpolizeigericht in der Verleumdungsklage der Schreibsachverständigen gegen Zola für zuständig erklärt. Italien. "Aus Italien werden neue Unruhen nicht gemeldet. Die römischen Blätter ver öffentlichen einen Brief Menotti Gari baldis, in welchem dieser sagt, die Gari- baldianer würden stets bereu sein, sich mit der Armee zu vereinigen, um die Einheit Italiens stark und geachtet aufrecht zu erhalten. "Der ,Corriere della Sera' gibt die Zahl der Verhafteten in Mailand auf tausend an, wovon 700 bereits für unschuldig erkannt find. Die übrigen 300 erscheinen im Laufe der Woche vor dem Kriegsgericht. "Der sozialistische Deputierte Pescetti in Rom flüchtete, von der Polizei verfolgt, in daS Kammergebäude und weigert sich, dasselbe zu verlassen. Da die Polizei die Kammer nicht betreten darf, befindet sich die Regierung in Verlegenheit. «Sngland. "Der Staatssekretär für die Kolonien, Chamberlain, ein sehr temperamentvoller Herr, hat am Freitag abend in Birmingham eine Rede gehalten, worin er sagte, die aus wärtige Lage fei ernft und kritisch, Rußland wolle in Oftasten alles an sich reißen und e» könnte vielleicht bald notwendig sein, an den Patriotismus der Eng» länder zu appellieren. Die gesautte europäische Presse beschäftigt sich mit dieser Rede und es wird teilweise die Befürchtung laut, die ostasiatische Frag« könne zu einem rufst sch »englischenKrieg führen, «vante«. "Die Bildung deS neuen spanischen Kabinetts sollte nach dem »Wölfischen Büreau' am Mittwoch oder Donnerstag beendet sein. Im wesentlichen aber bleibt alles beim alten, denn eS wird hinzugefügt, das neue Kabinett werde in den Cortes sein Programm entwickeln, das von demjenigen deS gegenwärtigen Kabinetts nicht abweichen wird. Sagasta wurde von der Königin-Regentin mit der Neubildung des Kabinetts beauftragt. Amerika. "In Brasilien ist, was man dort in den deutschen Kreisen befürchtete, eingetroffen: Alle fünf Personen, welche den deutschen Lehrer Roth bei Palhoca im Staate Santa Catharina in so schändlicher Weise mißhandelt hatten, find am 28. März vom Schwurgericht freigesprochen worden „wegen mangelnder Beweise." Prrutzischer Landtag. Am 14. d. erledigte das Herrenhaus einige Rech nungssachen und nahm die Vorlage, die weitere fünf Millionen zum Bau von Arbeiter- und Beamtenwoh nungen für die Staatsbetriebe fordert, nach den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses an. DaS Gesetz betr. die DiSziplinarverhältnisse der Privatdozcnten wurde ebenfalls unverändert angenommen. DaS Herrenhaus erledigte am Montag die Psarrerbcsoldungsgesetze unverändert nach den Be schlüssen des Abgeordnetenhauses. Auch die von der Kommission vorgeschlagenen Resolutionen wurden angenommen. Ein Gegenantrag des Grafen Klinckow- ström, durch den dieselben Summen, die in der Regierungsvorlage im ganzen und für die einzelnen Bezirke vorgesehen sind, provisorisch, und zwar bis zum Erlas; eines bezüglichen KircheugesetzeS, bewilligt werden sollen, wurde in namentlicher Abstimmung mit 105 gegen 36 Stimmen abgelehnt. Das Abgeordnetenhaus überwies am 14. d. eine Anzahl Petionen von Eisenbahnuntrrbeamten um Gehaltsaufbesserung der Regierung zur Erwägung, sowie die Petitionen der Eiseubahnbctriebssekretäre um Rang- und Gehaltserhöhung teil« zur Berücksichti gung, teils zur Erwägung. Am Montag beriet das Abgeordnetenhaus in dritter Lesung die Vorlage betr. Einführung des Anerbenrechts in Westfalen und einigen angrenzenden Bezirken der Rheinprovinz. Die Nationalliberalen brachten ihre in zweiter Lesung abgelehnten Ab änderungsanträge wieder ein, deren wesentlichste sich darauf bezogen, daß nur die Landgüter mit einem Grundsteuerreinertrage bis höchstens 2000 Mk. unter das Gesetz fallen, und ferner ein Ausschlußvermerk gestattet sein solle. Die Abstimmung über das Ge setz Ivar eine namentliche und ergab die Anwesenheit von nur 214 Mitgliedern. Das Haus war also be schlußunfähig. Fürst Hohenlohe verlas eine Aller höchste Botschaft, wonach die beiden Häuser am Mittwoch geschlossen werden. Urin? Heinrich» der Oberbefehlshaber des deutschen Geschwaders in China, ist am Freitag in Peking eingetroffen. Der Prinz wird dem Kaiser von China in dessen Sommerrefidenz Wau-schau-schau einen Besuch machen. Ein auch nur flüchtiger Blick auf die Persönlichkeit des jungen Kaisers und die bis herige gänzliche Abgeschlossenheit des chinesischen Hofes lehrt, daß mit Beobachtung dieser vom Kaiser genehmigten Vereinbarungen gewisser maßen eine mehr als tausendjährige Tradition durchbrochen, und China einer neuen Zukunft entgegengeführt wird. Kwang-Su, der gegen wärtige Kaiser von China, der „Sohn des Himmels" oder der „Herr der zehntausend Jahre", ist am 2. August 1872 geboren, also zur Zeit 26 Jahre alt. Er ist der Nachfolger seines am 12. Januar 1875 verstorbenen Vetters, des Kaisers Tfai-schun, war also bei seiner Thron besteigung kaum mehr als drei Jahre alt. Die beiden bisherigen Regentinnen, die Witwen des 1861 verstorbenen Kaiser» W»fSng, seine Tante und seine Adoptivmutter, übernahmen die Bormund schaft über den kleinen Kaiser. Als im Jahre 1881 die Kaiserin deS östlichen Zimmers starb, erartff Si»T«»Hau, die Kaiserin deS westlichen Zimmer», die Züael der Regierung, die sie auch nach der im Jahre 1889 erfolgten Groß- Mgkett nicht -ÄMbe^ ^t 18§9 fuhrt ne den Mel WMfcnn»lsxregennn, übt aber auf den Kaiser noch immer einen so großen Einfluß aus, daß sie Nuch heute noch als die eigentliche Herrscherin ge ten kann. Der junge Kaiser hat indes bereits deutliche Zeichen seiner erstarkenden Selbständigkeit zu erkennen gegeben und mit Erfolg sogar begonnen, die Fesseln der starren Hofetikette zu lockern. Leicht würde ihm allerdings eine Emanzipation von den alten Traditionen nicht werden. Dafür würde der konservative Charakter der Chinesen und das Interesse der Mandarinen, die den Herrscher gegen die Außenwelt ab sperren, schon sorgen. Auch die Erziehung des jungen Kaisers war von Anfang an darauf berechnet, jeden frischen Luftzug von ihm abzuhaüen. Am 14. Mai ^876 wurde der kaiserliche Knabe von seinem Vater zum ersten Mal in daS Zimmer geführt, wo er den ersten Unterricht empfangen sollte. Die ihm bestimmten Lehrer, LUteraten ersten Ranges und genaue Kenner der ganzen klassischen Litteratar des Reiche», empfingen ihren Schülern auf den Knieen, mit der Stirn den Boden berührend und Gebete murmelnd. Der kaiserliche Schüler überreichte darauf seinen künftigen Lehrern eine Schrift, in welcher er sie bat, ihn in chinesischer Weisheit zu unterrichten. Die Studienzeit des Kaisers dauerte bis zu seinem fünfzehnten Jahre, d. h. bis zu seiner Verheiratung, die traditionell dem Regierungsantritt vorangehen muß.- 'Die Erziehung deS jungen Kaisers war sehr streng und genau geregelt. Schon am frühen Morgen, um drei, bezw. vier Uhr wurde er in chinesischer Sprache und Litteratur unterrichtet, worauf mongolische und mandschurische Lektionen erteilt wurden. Es folgte sodann der Unterricht in den verschiedenen chinesischen Dialekten, im Reiten, Bogenschießen, Fechten, Turnen u. dergl. Der Unterricht dauerte mit kurzen Unter brechungen für die Mahlzeiten von Sonnenauf gang bis Sonnenuntergang und wurde von den starren Lehrern nicht leicht genommen. Unge horsam wurde durch Prüge» mit einem Bambus rohr bestraft. Diese Prügel wurden natürlich nicht an dem „Sohn des Himmels" selbst voll streckt, sondern an einem Prügelknaben, wie ein solcher an manchen europäischen Höfen des Mittelalters auch eingefkhrt war. Der Kaiser aber mußte die Exekution mitansehen. Nach Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres wurde von der Kaiserin-Regentin eine passende Braut für den kaiserlichen Knaben ausgesucht und ihre Wahl fiel auf die Tochter eines ihrer Ver wandten, des Generals Kwai-Hfiang. Am 4. März 1889 wurde der Regierungsantritt des Kaisers unter Teilnahme von Würdenträgem und Garden mit großartigem Zeremoniell ge feiert. Die Feierlichkeit, von welcher die große Masse des chinesischen Volkes streng ausge schlossen war, fand innerhalb der Palastmauern statt. Nur einige der auswärtigen Gesandten wohnten derselben bei. Der Kaiser ist nach den Berichten der bei seinem Hofe beglaubigten Diplomaten viel intelligenter und energischer als sein Vorgänger und macht einen ungemein, sympathischen Eindruck, obgleich er einen unge wöhnlich großen Kopf hat, klein, mager und bartlos ist. Er hat sogar das Studium der englischen Sprache begonnen und ist bestrebt, sich über die Vorgänge in seinem weiten Reiche über die Köpfe der Mandarinen hinweg zu unterrichten. Wo er Bestechlichkeit oder Nach lässigkeit der Beamten wittert, ordnet er sorg fältige Untersuchungen an. Im Jahre 1894 hat er sogar selbst die Prüfung der Jünglinge der Pekinger Hamlin-Akademie vorgenommen, deren Mitglieder hohe Würdenträger, Mandarinen, Gesandte re. find. Während deS letzten Krieges mit Japan befahl er die Degradierungen und die Hinrichtungen der Generale, welche sich un fähig erwiesen, und entgegen den Ratschlä "" der Mandarinen will er seine Armee ' europäischem Muster organisiert wissen. Der verstoßene Kohn. 13s Aus dem Englischen von Julie Düngern. kFsrtsetzung.) Klara sagte traurig: „Ich füge mich Ihren Anordnungen, Amme, denn ich habe kein Recht, dableiben zu dürfen. Ich bin ja nicht das Kind der teuren Frau. Wäre ich es, so würden auch Sie mich nicht von hier wegbringen. Wenn nur ihr Sohn hier wäre!" Ellen blickte entsetzt auf die Sprecherin. „Um Gotteswillen, nennen Sie keinen Namen," sagte sie, „Kranke hören biswellen, ohne daß man es glaubt, doch was haben Sie da. Miß, Briefe?" Klara reichte sie ihr hin, und bat sie, die selben für die Tante aufzuheben. Als sie wieder fortging, kam sie durch Mrs. Carters Boudoir und sah, daß daS Bild von deren Sohn von der Wand abgenommen worden war. „Ellen BrookeS hat eS sicher weggethan," dachte das junge Mädchen. „Dr. Munns hat die Krankheit der Tante als Folge einer großen Gemütsbewegung erklärt, gewiß hat Georg Stainbcrg seiner Mutter Kummer bereitet." Als Klara das Zimmer verlassen hatte, er brach Ellen einen der drei Briefe, ohne sich einen Augenblick zu besinnen. Er enthielt nur wenige Zeilen. „Meine teure Mutter" — schrieb Georg — „ich verlasse England auf einige Zett, ich wußte eS noch n cht, al» ich Dich daS letzte Mal sah, aber eS ist meiner Geschäfte wegen dringend «ölig. B tte, schreibe mir durch die beiliegende Adresse, Dein Brief wird gleich besorgt werden." Die Adresse war an „Nouth, Süd Molton Street." — Der Tag verfloß, ohne eine Aende- rung bei der Kranken zu bringen. Die beiden Aerzte kamen und gingen, die Dienstleute fingen an, sehr besorgt zn werden um ihre gütige Herrin. Als die Nacht herbeikam, schrieb die treue Ellen beim schwachen Scheine der Nacht lampe mit vieler Mühe folgende Zeilen: „Teurer Mr. Georg! Ihr Brief ist angekommen und ich öffnete denselben, weil leider Ihre teure Mutter erkrankt ist und ich doch wissen wollte, was Sie allen falls wünschen könnten. Wir wollen hoffen, daß cs nicht so schlimm mit unserer geliebten Kranken steht, als es eben den Anschein hat. Ich hoffe und vertraue auf Gott, aber ich bitte Sie, mein teures Kind, geben Sie recht ost Nachricht von sich und adressieren Sie den Brief nur an mich. Ihre Briefe werden die beste Arznei für Ihre arme Mutter sein. Ihre alte und getreue Ellen." Die Tage kamen und gingen und endlich kam auch eine Zeit, in welcher sich das Befinden von MrS. Carter besserte und die Lebensgefahr, in welcher sie bis jetzt geschwebt, wieder ver schwand, aber das war auch alles. Man wußte, daß sie jetzt wieder dem Leben erhalten war, aber was sie geworden, mußte einen jeden er barmen. Sie war frühzeitig eine alte Frau geworden, ihre Schönhett »ar geschwunden. MrS. Carter war nur noch der Schatten von dem was sie gewesen. Geduldig und liebreich, aber mit wenig Interesse für die Gegenwart, hatte sie fast auch jede Erinnerung an die Ver gangenheit verloren. Ihre treue alte Dienerin war lange nicht so entsetzt darüber als ihr Gatte und ihre Nichte. Ellen hatte ihre Gründe, zu denken, daß Gott es am Ende am besten so gemacht hatte. Von Georg war inzwischen kein Lebenszeichen eingetroffen. So kam der Sommer in all seiner Schön heit heran, und Mrs. Carter rüstete sich zu einer Badekur auf den Kontinent, hatten doch die Aerzte dies als das beste für die Kranke erklärt. Klara wollte zu Onkel Äoldera gehen; sie empfand eine Abneigung, England zu ver lassen. Eines Tages erregte Dir. Carter der Haushälterin grenzenloses Erstaunen, indem er sie auf sein Zimmer kommen ließ und sie nach der Adresse von Georg Stainbcrg fragte. Ellen zeigte so unverhohlen, wie sehr sie diese Frage befremde, daß der Herr deS Hauses für nötig fand, einige Aufklärung zu geben. Er sagte, daß er sich in seinem Gewissen ver pflichtet fühle, den jungen Mann von dem Ge sundheitszustand seiner Mutter zu unterrichten, sowie daß sie England verlassen würde, denn obgleich er sich nicht in den Verkehr zwischen seiner Frau und deren Sohn zu mischen pflege, so glaube er doch bemerkt zu haben, daß letzterer in längerer Zett nicht geschrieben habe. „Nein, Sir, es ist in letzter Zett kein Brief gekommen." Ellen. Brookes gab ihrem Herrn RouthS Adresse und Mr. Carter schrieb «ine kurze Epistel an Stainbcrg, in welcher er ihm die gefährliche Krankheit, welche seine Mutter ge habt und deren jetzigen Gesundheitszustand mit teilte und ihm zugleich versprach, vom Konti nente aus von Zeit zu Zeit ein Weiteres über Mrs. Carter zu berichten. Dieser Brief wurde am Tage vor der Ab- reise an seine Bestimmung gesandt und einmal im Leben wenigstens hatte Mr. Carter auf Poyinings einen klugen und vernünftigen Brief geschrieben. 15. In der Muilderstraße. ES ist in Amsterdam, wo wir Georg Stain- berg wieder finden. Amsterdam mit seinen schönen Häusern, seinen vielen Kanälen, seinen Lustbastketten, seinen zum Teil gravitätischen Bürgern und deren zum Teil schon pedantischen Kindern, welches alles auf den Fremden, zumal wenn er ein Engländer, einen ungemein tiefen und märchenhaften Eindruck machen muß. Auf Georg machte das Fremdartige seiner Umgebung weniger Eindruck. Er hatte sich sei der Begegnung bei den Sycomoren fest gelobt, ein anderer Mensch zu werden und er wollte dies Versprechen halten. Da also seine Ge danken nur auf diesen Vorsatz gerichtet waren, kümmerte er sich weniger um seine Umgebung. In London, das fühlte er, würde er unter der Herrschaft von Routh und Harriet schwerer zu einer Aenderung seines Lebens gelangen als hier, und so wollte er jeden Verkehr mit ihm aufyeben, dak Brafselett verkaufen, sein Geld abtragen und in einem, das Geld begleitenden Brief ganz offen sagen, daß er von nun an «tu anderer Mensch werden und fleißig arbeiten wolle. Vielleicht fand sich in Amsterdam eine Stellung für ihn, wenn nicht, würde er nach London zurückkehren und seine Thätigkeit in der
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