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Auerthal-Zeitung : 30.09.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-09-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id173565485X-189409306
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id173565485X-18940930
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-173565485X-18940930
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Auerthal-Zeitung
-
Jahr
1894
-
Monat
1894-09
- Tag 1894-09-30
-
Monat
1894-09
-
Jahr
1894
- Titel
- Auerthal-Zeitung : 30.09.1894
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Ksrr Nah ««v Fern. Ueber ein Geschenk für die kaiserliche« Prinzen beim Kaiserbesuch zu Thorn, wird der .Post' von dort geschrieben: Bei der Aufstellung ser Gewerke anläßlich des Einzuges des Kaisers in die Stadt Thorn am Samstag hatte auch das Personal der Honigkuchen-Fabrik von H. T. Aufstellung genommen. Die kleidsamen Kostüme der Konditoren erregten besondere Aufmerksamkeit, mehr aber noch ein eigens zum Kaisertage her gestelltes Pfefferkuch-m-Häuschen, das von sechs Konditoren bei der Spalierbildung getragen wurde. Der Kaiser fand daran solchen Ge fallen, daß es sofort als Geschenk für die kaiserlichen Prinzen nach Potsdam gesandt werden mußte. Das Häuschen ist aber auch ein wahres Kunstwerk. Etwa 3 Meter lang und 1 Meter hoch wiegt es 2'/, Zentner. Wände, Dach, Fenster, alles ist — abgesehen von einem Holzgerüst — aus Zucker oder Chokolade hergestellt. Für mehr als 500 Mark Material ist in dem Häuschen ver arbeitet. Auch die zum Fabrikpersonal gehören den Konditoren sind in ihren weißen Kostümen aus Zncker nachgebildet und davor aufgestellt. Antomatensteuer. Eine Automatensteuer hat die Gemeinde Zehlendorf eingeführt. Alle innerhalb des Gemcindebczirks aufgestellten Warcn-Automaten werden in Zukunft zu einer Abgabe von 3 Mark jährlich für jede Einwurf- Oeffnung herangezogen werden, gleichviel ob sie im Freien oder in öffentlichen Lokalen aufgestellt sind. Die Fahrkarten-Automaten auf den Bahn höfen sind von dieser Steuer befreit. Die Maß nahme ist gerechtfertigt, dem die Automaten stellen längst einen regelrechten Gewerbebetrieb dar. Ein böses Resultat. Die Geheimnisse des Wursthandels bei großen Volksfesten ent hüllt folgende Bekanntmachung des Amtsvor- stchers zu Kalkbcrge-Rüdersdorf: „Die von den Händlern am Rüdersdorfer Knappschaftsfestc ent nommenen 29 Wurstprohen haben durch chemische Untersuchung ergeben, daß nur eine Wurst rein und gut war und zwar die des Gastwirts B. zu Rüdersdorf. Die übrigen Proben wurden teils minderwertig, teils verdächtig und von Pferdefleisch herrührend befunden." Eine robuste Natur. Der Pasewalker Kürassier, der, wie gemeldet, gelegentlich des Brigadeexerzierens im August von einer Lanze durchbohrt wurde, ist von seinen schweren Ver letzungen bereits soweit wieder hergcstellt, daß er Spaziergänge im Lazarettgarten unternehmen und voraussichtlich bald als ganz geheilt entlassen werden kann. Ein Materialmagazin deS Schlesischen Bahnhofes in Dresden ist am Mittwoch früh mit sämtlichen Vorräten niedergebrannt. Der Schaden ist sehr bedeutend. Eigenartiger Selbstmord. Ein bijähriger Einwohner in Zwickau hat sich auf eigentümliche Art entleibt. Derselbe hatte eine kleine Messing röhre mit einer Patrone geladen, diese in einen Schraubstock gespannt und dann durch einen Schlag mit dem Hammer das Losgehen des Ge schosses herbeigeführt. Das Herz wurde ihm dabei durchbohrt. grubenarbeiter ist wieder einmal, wie eil scheint, zu früh tot gesagt worden. Er ist, wie die englischen Blätter melden, trotz dreimonatiger Dauer noch immer nicht zu Ende. Jetzt heißt eS, daß in Lanarkshire und Dumbartonshire 9000 Mann arbeiten. DaS wären 10 Prozent mehr als die letzte Woche. Unter den Gewerken, die mit dem Schiffsbau zu thun haben, herrscht großes Elend. Am nächsten Donnerstag wird die Exekutive deS Bundes der Bergleute von Großbritannien tagen, um über dessen fernere Haltung zu dem Ausstand zu beraten. Versagt der Bund seine weitere Unterstützung, so werden die versiegenden Mittel die Streiker allerdings bald zum Nachgeben zwingen. Die Engländer werden deS Zahlens satt. Das letzte Mal sind die Beiträge schon sehr spärlich geflossen. Ueber- dies haben sich die Schotten den Engländern gegenüber niemals durch große Kollegialität aus gezeichnet. Belgien. »Ueber den famosen Baron Sternberg erhält der Brüsseler.Patriote' aus Lüttich neue Mitteilungen, wonach der vielgenannte Anstifter von Dynamit-Attentaten „in der That ein ge heimer Agent war, aber seine Anweisungen über schritten hat." Er erhielt fortdauernd in Lüttich „auf fast amtliche Weise" ansehnliche Geldsen dungen; einzelne Anweisungen lauteten auf 500 Rubel. Da an seine Auslieferung seitens Ruß lands nicht zu denken ist, so wird der Lütticher Untersuchungsrichter Seny nach Petersburg reisen müssen, um die Aussagen des „Barons" zu hören und damit die Untersuchung gegen die Lütticher Anarchisten abzuschließen. Ruhland. * Einer privaten Mitteilung aus Petersburg zufolge soll der rus s is ch c Kais er von einem Schlaganfall getroffen worden sein; seine Aerzte glauben nicht für daS Leben des Mon archen einstchen zu können, wenn ihn ein zweiter Anfall trifft. Was an dieser Sensationsmeldung Wahres ist, läßt sich natürlich nicht feststcllen. Die letzten offiziellen Nachrichten über das Befinden deS Zaren lauteten recht zufrieden stellend. »In Warschau haben in den letzten Tagen wiederum zahlreiche Verhaftungen stattgefunden, angeblich wegen Teilnahme an einem Gcheimbunde. Unter den Verhafteten befinden sich Litteraten, Pharmazeuten, Studenten und Schriftsetzer. Auch in Odessa sind etwa 100 Polen verhaftet worden. * Eine neue große Werft soll in Sebasto- p o l angelegt und der Hafen zur Flotten- station umgewandelt werden. Neuerdings ist die Anzahl der beim Bau beschäftigten Arbeiter erheblich vermehrt und dadurch, namtlich im letzten halben Jahre, das Werk wesentlich gefördert worden. Die Anlage der großen Docks und Hellinge ist schon so weit vorgeschritten, daß im Laufe der nächsten 12 Monate 2 größere Panzerschiffe und 3 Kreuzer auf Stapel gelegt werden, die die Schwarze Meer-Flotte verstärken sollen. Zur Zeit ist die gesamte russische See macht im Schwarzen Meere in einer Umwand lung begriffen. Balkanstaaten. * König Alexander von Serbien kehrt Anfang Oktober nach Belgrad zurück, ebenso übersiedeln dann alle Minister wieder dorthin. Exkönig Milan beschloß, sich dauernd in Nisch niederzulassen. »Die Reise des Königs von Serbien zu den „beiden Häuptern des Dreibundes" verstimmt in Rußland mehr, als man sich es merken lassen will. Die Ansicht der,SsynOte- tschestwa' dürfte von sehr vielen geteilt werden. Das Blatt sagt: „Die Reise ist nur aus dem Wunsch des Königs erklärlich, sich die moralische und diplomatische Unterstützung beider Staaten auf seinem künftigen Wege der Entfremdung Serbiens von Rußland zu sichern. Der König des orthodoxen Serbiens sucht Unterstützung für seinen Thron beim katholischen Oesterreich und beim protestantischen Preußen. Ist das nicht der beste Beweis für den vollständigen Bankrott der russischen Balkanpolitik?" »Die bulgarischen Minister Rados- lawow und Tontschew haben sich ent schlossen, ihren Abschied zu nehmen. Man glaubt, daß die beiden Minister aus den Reihen >er Russenfreunde ersetzt werden. In ReaierungS- kreisen wird versichert, daß die Konservativen auch ür sich allein eine ansehnliche Mehrheit in der neuen Sobranje haben werden. Afrika. »Wie auS Tanger gemeldet wird, traf da» talienische Kriegsschiff „Etruria" gerade während >er durch die jüngsten Unruhen hervorgerufenen Panik vor Cassablanca (Marokko) ein und trug n wirksamer Weise zur Wiederherstellung der Ordnung bei. Der Kommandant bot allen Europäern Schutz an, wofür ihm seitens >er europäischen Gesandten Dank ausgesprochen wurde. Aste«. * Die Meldung, England und Rußland hätten gemeinsam den Abschluß eines Waffenstill- tandcs vorgeschlagen, wird in einer offiziellen Erklärung der japanischen Regierung als unbegründet bezeichnet. . Politische Kuudscha«. Deutschland. »Die scharfen Aeußerungen des Kaisers in Thorn haben natürlich be deutendes Aufsehen erregt. Nähere Mitteilungen sollen ergeben haben, daß beim Einzuge deS Kaisers in die Stadt - die Mitglieder deS pol nischen Gewerbevereins, deS Vereins polnischer Kaufleute, des katholischen Gesellenvereins, welche zur Svalierbildung Aufstellung genommen hatten, den Monarchen auf Verabredung nicht mit „Hurra", sondern mü polnischen Zumfen be grüßten. Der Kaiser soll hiervon sehr unange nehm berührt gewesen sein und eS ist möglich, daß dies zur Verschärfung der Kaiserrede beige tragen hat. »Die Reichskommissare Major Wißmann und Dr. PeterS sollen dem .Hamb. Korr/ zufolge sich entschlossen haben, ihren Abschied nachzusuchen. Damit würde das Institut der Reichskommissare von selbst zu existieren aufhören, da die Ernennung neuer Kommissare nicht mehr beabsichtigt wird. Vorläufig steht der obigen Meldung allerdings noch die eigene private Erklärung Wißmanns entgegen, daß er nach Beendigung seines Urlaubs wieder der Regierung zur Verfügung stehe. — Das ,B. T.' will wissen, daß Wißmann nur als Gouverneur nach Ostafrika zurückkehren würde; Frhr. v. Scheie habe aber nicht die ge ringste Absicht, von seinem Gouverneurposten zurückzutreten. ' * Der Bunde 8 rat hat seine Beratungen wieder ausgenommen. Am Mittwoch nachmittag traten die Ausschüsse für Handel und Verkehr und für das Rechnungswesen zu einer Sitzung zusammen. »Im Reichsamt des Innern ist man in die > Erwägung, was gegenüber dem amerikani- ! sch en Zolltarif für den in seiner Kon- ' kurrenzfähigkeit beeinträchtigten Rübenzucker , zu thun ist, bereits eingetreten. Zunächst dürfte es sich um eine Feststellung der wirtschaftlichen , Lage der Zuckerfabriken handeln, da in erster - Linie über die Frage Klarheit verbreitet werden . muß, ob die Gewinn-Ergebnisse der Fabriken im allgemeinen derartige sind, daß die Konkurrenz fähigkeit des deutschen Produtts durch den ameri kanischen Zolltarif bedroht erscheint. * Zur Margarinefrage lauten die von der Regierung an die landwirtschaftlichen und Handelskreise versandten Fragebogen zu 1 dahin, nach welcher Richtung das bestehende Margarine gesetz abänderungsfähig sei. Frage 2 lautet: „Ist eine regelmäßige Kontrolle des Handels mit Butter und Margarine eingeführt ?" Frage 3: „Sind Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz bekannt geworden, und mit welchem Erfolg ist dagegen eingcschritten?" Frage 4: „Welchen Unlfang hat die Jahresproduktion von Anstalten zur Herstellung von Margarine und Margarine käse?" Frage 5: „Ist im allgemeinen ein Sinken oder Steigen des Preises für Natur butter seit dem Erscheinen der Margarine wahr genommen ?" * In Handelskrisen hat sich vielfach das Bedürfnis herausgestellt, das Institut derkau f- ttt'ännischen Sachverständigen einer Zuordnung zu unterziehen. Man wünsche vor allem, daß den kaufmännischen Korporationen eine Kontrolle über das Sachverständigenwesen, vornehmlich aber ein Vorschlagsrccht hinsichtlich der Zulassung als Sachverständiger gewährt werde. Die Handelskammern sollen behufs weite rer Veranlassung zur Prüfung dieser Vorschläge > angegangen werden. * Die preußische und die dänische Grenzregulierungs - Kommission find am Mittwoch in Hadersleben zusammen getreten behufs Festsetzung der Seegrenze im Kleinen Belt zwischen Preußen und Dänemark. * Den ferneren Zuzug russischer land wirtschaftlicher Arbeiter über die , Landesgrenze einzeln wie in Trupps zu ver- < bieten, sind die Behörden der Provinz Posen ! vom Regierungspräsidenten angewiesen worden. Anscheinend ist das Verbot zur Verhütung der Choleraeinschleppung erlassen worden. England. * Der Streik der schottischen Kohlen «rohe- Aufsehen erregt in Arolsen der Selbstmord deS ÄerichtSsekrettrS und Rendanten Beyer, eines Mannes, der in dm besten Jahren stand und Inhaber einer großen Anzahl von Ehrenämtern, Vertrauensstellungen war. SS sollen erhebliche Unregelmäßigkeiten vorgekom men sein. Line Feuersbrunst zerstörte in Kadlubek bei Petrikau 21 Besitzungen. Ein Kind ist ver brannt. Vier Männer wurden schwer verletzt. Die gesamte Ernte ist vernichtet. Biel Vieh ist in den Flammen umgekommen. Die Kuh mit der Kanüle. ES mag alle» schon dagewesen sein, aber eine Kuh, die mittels einer „Kanüle" atmet, wird der vielberufene Ben Akiba doch wohl ausnehmen müssen. Eine solche Kuh besitzt ein Landmann bei Kuxhaven. Er hatte seit längerer Zeit bemerk, daß eine seiner Kühe an Atmungsbeschwerden litt. Der zu Rat ge zogene Tierarzt entdeckte eine Geschwulst am Kehl kopf, die durch äußerlich angewandte Mittel nicht ge hoben wurde. Da die Kuh Gefahr lief, zu er sticken, entschloß er sich zu einem operativen Ein griff. Er machte den Luströhrenschnitt und setzte eine Kanüle ein. Die Kuh läuft jetzt schon wochenlang wohl und munter damit umher. Da die Geschwulst nach der Aussage des Tierarztes nie gehoben werden kann, wird die Kuh die Kanüle wohl zeitlebens behalten müssen. Australisches Rindfleisch ist in der letzten Zeit in Hamburg nicht mehr eingeführt worden und die Verkaufsstellen, die an verschiedenen Stellen der Stadt eröffnet waren, sind wieder geschlossen worden. Da die Unternehmer von Zusendungen aus England abhängig waren, ver mochten sie nicht pünktlich zu liefern. Anderseits verringerte sich aber auch die anfangs recht leb hafte Nachfrage und man gab wieder dem kräf tigen holsteinischen Rind den Vorzug vor dem aus Australien eingeführten Fleische. Entdeckter Betrag. Die Inspektoren des Gemeindelaboratoriums zu Paris haben fest gestellt, daß eine Anzahl Fischhändler in den Zentralmarkthallen die Kiemen verdorbener Fische mit einem Purpurlack färben, um die Käufer zu täuschen; ferner ergab sich, daß diese Fischhändler ein Mittel gefunden haben, den Geruch des Terpentins, das die Marttaufseher verdorbenen Fischen einspritzen, um deren Ver- kauf unmöglich zu machen, wieder zu vertreiben. Gegen die betreffenden Fischhändler ist Unter suchung eingeleitet. Ein rätselhafter Mordversuch. Man meldet aus Mendes (Departement Lozörc) vom 24. d.: Während der vorletzten Nacht wurde an die Thür des Pfarrhauses der nahen Gemeinde Brcnoux geklopft. Als der Pfarrer Rigal öffnete, trat ihm ein aus Brenoux stammender junger Mann entgegen, der gegenwärtig im Priestcrseminar zu Nizza seine geistlichen Studien beendigt, und bat trotz der vorgerückten Stunde, beichten zu dürfen. Der Pfarrer erklärte sich bereit, aber kaum hatte die Beichte begonnen, als der Seminarist den Pfarrer beim Halse faßte, zu Boden warf und zu erwürgen suchte. Auf das Geräusch eilte ein Neffe des bereits bewußlosen Pfarrers herbei, worauf der Semi narist die Flucht ergriff. Er wurde jedoch ver haftet. Ueber den Grund zu dem Mordversuche verweigert er jede Angabe. Ein Anarchist in Lourdes. In der von Pilgern dicht gefüllten Paulskirche in Lourdes erscholl am Montag plötzlich während der An dacht ein lauter Hochruf auf die Anarchie. Zu gleich erhielt ein Pilger von dem Mann, der diesen Ruf ausgestoßen hatte, mehrere Schläge. Als der Schweizer dazwischenkam, fiel der An archist auch über ihn her und riß ihm seinen Degen :c. ab. Mit Mühe gelang es endlich, den tollen Menschen zu fesseln und den Gendarmen zu übergeben. Die Antwerpener Giftmord-Affäre- Am Montag erhielt Frau Joniaux den Spruch der Anklagekammer zugestcllt, der sie vor das Schwurgericht verweist. Sie ist der Ermordung ihrer Schwester Leonie Ablay, ihres Bruders Alfred Ablay und ihres Onkels van den Kcrchove angeklagt, ebenso der Erpressung, verübt an mehreren Mitgliedern der Familie. Es liegt der Anklage ein Brief vor, in dem die Angeklagte Ein Traum vom Glück. I) Originalroman von Gustav Lössel.») 1. Die Bank der Armen. „Ach, wenn ich bitten dürste," ließ sich eine angstbcbende, weibliche Stimme auS der Menge derjenigen vernehmen, die sich mit der gleichen Absicht, ihre bewegliche Habe in Geld umzusetzen, vor dem Zahltische einer Pfandleihe drängten. „Warten!" tönte mit gebietender Kürze die Stimme des Taxators zurück. Und nach einem flüchtigen Blick auf die Bittende fügte er, wie um das harte Wort zu mildem, hinzu: „Einer nach dem andern!" Es war Abend. In dem engen, schlecht be leuchteten und gar nicht ventilierten Raum standen ein paar Dutzend Menschen eng aneinander ge drängt, während draußen eine grimmige Kälte den nahen Winter verkündete. Hunger und Elend, Krankheit, Laster und Verbrechen, Kummer, Angst und auch frivoler Gleichmut hatten ihren vernichtenden Stempel auf die Physiognomien der bunt durcheinander gewürfelten Gesellschaft gedrückt, die in ihrer Mehrzahl den ständigen Kundenkreis der Pfand leihe oder richtiger der „Bank der Armen" re präsentierte. Die Zahl derjenigen, die sich der ersten Sprecherin vorgedrängt hatten, verringerte sich nur sehr allmählich, und so erhob sie ihre Stimme *) Unberechtigt« Nachdruck wird verfolgt. noch einmal zn einer herzrührenden Bitte an den Pfandleiher. Dieser runzelte statt jeder Antwort die Stirn, und das ward für die Mitbewerber um seine Gunst das Signal, ihrem Unwillen über die wiederholte Störung Ausdruck zu geben. „Ein hübsches Mädchen!" flüsterten einige. „So bleich und hoheitsvoll," meinte eine Frau zu einer andern, und diese erwiderte: „Das ist eine Vornehme, wenn sie auch nur in einem fadenscheinigen, schwarzen Kleide steckt. Herunter gekommen — man kennt das." Und so kommen tierte man weiter. Das junge Mädchen wußte wohl, daß von ihr die Rede war, sie verstand aber nichts von dem, was gesprochen wurde. Da saßen mehrere Frauen in einer lebhaften Unterhaltung auf einer Bank. Sie bemerkten auffällig die schlanke Gestalt, die weißen, kleinen Hände, die feinen Züge, daS schwarze Haar und die großen dunklen Augen der Fremden und knüpften daran schmeichelhafte oder verletzende Bemerkungen. Das junge Mädchen wurde bald blaß, bald wt. Ihr dunkles, angsterfülltes Auge suchte schyr die dicht besetzte Thür und dann wieder den Taxator, der jetzt auch sein Auge auf sie ge richtet hielt. Er nickte ihr ermunternd zu. Sie glaubte den Wink zu verstehen und trat schüchtern näher. „Na, sind Sie schon wieder da?" herrschte eine vor ibr stehende fcttglänzende Dame im Schlafrock sie an. „Erst komme ich!" „Bitte sehr," entschied der Pfandleiher in seiner energischen Weise. „Die junge Dame ist schon länger hier als Sie. Treten Sie gefälligst zurück." „Na, da bin ich doch neugierig," sagte sie halblaut für sich, indem sie das fadenscheinige Gewand der Versetzen» geringschätzend musterte. Andere Leute waren es ebenfalls, da man ein Paket oder Bündel bei der letzteren nicht sah und nicht glauben konnte, daß sie noch etwas „Goldenes" zu versetzen habe. Dies war dennoch der Fall, und nach Ueber- reichung eines stark abgegriffenen MietSkontratts — der gewöhnlichen Legitimation hier — för derte die Fadenscheinige, allerdings nur zögemd und unsicher, ein mit Seidenpavier umwickeltes Päckchen zu Tage. Sie blickte sich ängstlich um ob der entstandenen, allgemeinen Stille, und ihre Hand zitterte, als sie es überreichte. Aller Augen ruhten auf dem Papier, daS der Taxator mit gewohnter Ruhe entfaltete. Aber selbst auf seinen ehernen Zügen malte sich ungläubiges Staunen, als er das Pfandstück zu Gesicht bekam. Es war dies ein kostbares, goldenes Armband, auS dem Brillanten blitzten. Die gewohnte Vorsicht veranlaßte den Taxator, die Goldprobe zu machen, die achtzehn Karat ergab. Er wog nun daS Armband und unterzog hierauf die Steine einer eingehenden Musterung. „Wieviel?" fragte er halblaut. „Hundert Mark —" DaS junge Mädchen sagte da» tu edier so unsicheren, ängstlichen Weise und mit so stark verschleierter Stimme, daß der andere, der die Hand schon nach dem Geldkasten ausgestreckt hatte, diese wieder zurückzog. t 1 „Na, das ist doch nicht auf der ihrem Arm gewachsen," ließ sich die Stimme eines dreisten Burschen vernehmen. Und von dem gleichen Bedenken schien auch der Pfandlecher erfüllt, als er halblaut fragte: „Sie werden wohl ge schickt?" Er erhielt keine Antwort. Der Versetzerin versagte selbst zu einem einfachen „Ja" die Stimme; sie nickte nur stumm und blickte in ihrer schüchternen, ängstlichen Weise auf das Armband, als wenn sie es gern wieder gehabt hätte. „Treten Sie einen Augenblick zurück," sagte der Taxator, .ich muß es erst eintragen lassen. Setzen Sie sich auf die Bank da, ich werde Sie auftufen lassen, wenn es so weit ist." „Ach, lieber Herr," sprach leise flehend daS junge Mädchen, „wenn es nur recht rasch sei« könnte, meine arme, kranke Mutter —" „Ja, ja, ich kenne das," erwiderte halb ärgerlich der andere. „Treten Sie jetzt aber, bitte, zurück" Sie that eS und er wandte sich dem Herrn zu, der, hinter einem Putt stehend, die zum Versatz eingelieferten Sachen in ein großes Buch eintrug. Ein anderer junger Mann war mit dem ' Herbeiholen und Wegschaffen der versetzten Sachen beschäftigt. Anstatt daS Armband, wie gewöhnlich, nm einzutragen, nahm der Buchhalter auf Veran lassung seines Vorgesetzten ein kleines, schein bar seltener benutztes Buch zm Hand; dasselbe befand sich unter Verschluß im Pulte deS Buch halters.
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