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Auerthal-Zeitung : 11.07.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-07-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id173565485X-189407119
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id173565485X-18940711
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-173565485X-18940711
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Auerthal-Zeitung
-
Jahr
1894
-
Monat
1894-07
- Tag 1894-07-11
-
Monat
1894-07
-
Jahr
1894
- Titel
- Auerthal-Zeitung : 11.07.1894
- Autor
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der .Westlichen Post' eine Anstellung fand. Nachdem er aber eine reiche alte Witwe ge heiratet hatte, gründete er zusammen mit einem andern Pharmazeuten eine Apotheke. Sein Ein kommen war gut, aber seine ehelichen Verhält nisse waren nicht die besten. Schon vor JahreSe frist machte v. Roux einen Selbstmordversuch, wurde aber damals am Leben erhalten. Roux führte zuletzt ein recht flottes Leben, und di- Wettrennen hatten ihm bedeutende Summen ge kostet, was dazu beitrug, den häuslichen Un frieden zu erhöhen. Fritz v. Roux war eine in deutschen Kreisen allgemein bekannte Persön lichkeit. Die Leiche wird verbrannt werden. Gin Generatstabschef vor Gericht. Im Brüsseler Justizpalast herrschte am 5. d. ein gewaltiges Leben. Der Saal, in dem der oberste Militärgerichtshof tagt, war bis auf den letzten Platz gefüllt; Offiziere aller Waffen, Richter, Advokaten bildeten die Mehrheit der Hörer. Als Angeschuldigter erschien, mit seiger großen Uniform angethan und mit allen Ehren zeichen geschmückt, der Chef des belgisches Ge neralstabs, Generalmajor Brewer; neben ihm saß sein Verteidiger, der Deputierte Advokat Graux. Der General-Auditeur der Armee Kem- pels vertrat die Staatsanwaltschaft. Zahlreiche Generale find als Zeugen geladen. Der Ge richtshof ist aus dem Rat am Brüsseler Appell hose Aelbrecht Äs Borfitzenden und den Ge neralen De Cuyper, Fix, Baron Lunden und De Fander zusammengesetzt. — Der Thatbestand der Anklage läßt sich also zusammenfassen: Im Jahre 189V hatte das belgische Kriegsministerium eine Kommission in Antwerpen eingesetzt, um die Ausrüstung der belgischen Infanterie zu ver bessern ; General Ayoux führte den Vorsitz und bildete behufs Prüfung der neu eingereichten Modelle mehrere Unter-Abteilungen. General Brewer führte den Vorsitz in der Abteilung für die Tornister. Major Schmidt und der Militär lieferant Fonson hatten nach langen Versuchen, die 25V 000 Frank verschlangen, einen neuen patentierten Tornister erfunden; dieser gefiel der Kommission so, daß sie mit fünf gegen vier Stimmen ihn zur Einführung empfahl. Der Tornister wurde nicht eingeführt. Inzwischen hatte General Brewer selbst einen Tornister er funden, der, im wesentlichen auf den patentierten Schmidtschen Erfindungen beruhend, weitere Ver besserungen einführte. General Brewer erhielt für seinen Tornister ein Patent, das er der Lütticher Fabrik Natalis übertrug. General Brewer schloß mit dem Direktor dieser Fabrik Van Marckelberg einen Vertrag, wonach der General für die an die belgische Armee gelieferten Tor nister keine Entschädigung erhalten sollte. Da gegen sollten.für jeden nach dem Auslande ge lieferten neuen Tornister 2,50 Frank und für jeden umgestalteten Tornister 1 Frank vorweg erhoben und die dadurch gewonnenen Summen «erichtshaür. Bamberg. Der Bankier Nathan Heblein ist wegen betmgerischen Bankrotts, Unterschlagung, Betruges und Untreue schuldig erkannt und zu fieben Jahr Zuchthaus und Ivjährigem Ehrver lust verurteilt worden. Stuttgart. DaS Schwurgericht in Rott weil hat den 26 Jahre alten verheirateten Dienst knecht Paul Bailer von Muntadinaen wegen Raubmordes zum Tode verurteilt. Bailer hatte am 29. April nachmittags den Dienstknecht Löffler auf der Landstraße hinterrücks überfallen, mit Hammerschlägen auf den Kopf getötet und ihn sogann seiner Barschast im Bettage von über 100 Mark geraubt. Pari-. Dieser Tage wurde ein ehemaliges Kommunemitglied namens Fournier von dem Zuchtpolizeigericht in Perpignan zu drei Monat Gefängnis wegen Landstreicherei verurteilt. Da erhob sich der Vagabond und schrie die Richter an: „Die jetzige Regierung ist aus Jesuiten zu sammengesetzt und Sie alle sind auch Jesuiten." Die Aufforderung des Gerichtspräsidenten, seine Worte zurückzuziehen, war für Fournier nur ein Sporn, sie zu wiederholen. Dafür erhielt er drei Jahre zudiktiert. nieder-österreichischen Findelanstalt geboren und nach Prabsch bei Budwet» in Böhmen zuständig. Meine Mutter heißt Anna Schimetzek. Ich bitte edle Menschenfreunde, wenn eS ihnen möglich ist, mir behilflich zu sein, meine Mutter aus findig zu machen. Möchte sie gern kennen. Sie hat mich durch so viele Jahre verlassen, mich vielleicht verleugnet, well sie verheiratet ist. Ich wurde in Hartberg in Steiermark aufgezogen. Meine Adresse ist: MatzleinSdorfersttaße Nr. 74, 2. Stock, Thür Nr. 14." - Diese einfachen Zeilen führen eine so beredte Sprache, daß eS überflüssig ist, eine Bemerkung an dieselbe zu knüpfen. Bo« der Karwlner UngliickSstätte läuft eine neue Hiobspost ein: In der Kanzlei deS Johannschachtes sind Gmbengase explodiert und dabei haben drei Aufstchtsbeamte Brandwunden erlitten. Wirkung deS Mannlicher - Gewehres. Bei Reifling in Obersteiermark ereignete sich der eigentümliche Fall, daß ein Jäger des 8. Feld jägerbataillons gelegentlich einer Uebung durch einen blinden Schuß, wie eS scheint lebens gefährlich, verletzt wurde. Der Pfropfen der blinden Patrone hatte den Leibriemen deS Sol daten durchlöchert und drang noch vier Zentimeter tief in den Körper ein. Amerikanisches Duell? Aus Budapest wird gemeldet, daß der überaus reiche, 44 Jahre alle Graf Gabriel Beniezky, Mitglied des Mag natenhauses, der bei der letzten Ministerkrisis als Ackerbau-Minister in Aussicht genommen war, sich erschossen hat. lieber die Motive des Selbst mordes ist nichts bekannt. Man spricht von einem amerikanischen Duell. Casimir-Perier und die Polizei. Als . der Präsident dieser Tage auf den Boulevards spazieren ging, folgten ihm in respektvoller Ent fernung mehrere Detektivs. AIS Casimir-Perier diese bemerkte, gab er ihnen den Befehl umzu kehren. Er vebe eine solche Bewachung nicht. Die Detektivs kehrten um und meldeten den Vorfall dem Polizeipräsidenten Lepine, der darüber sehr entrüstet war und seinen Unter gebenen mitteilte, daß sie in solchen Fällen ihm uyd nicht dem Präsidenten zu gehorchen hätten. Der Polizeipräsident wie der Minister Dupuy wurden hierauf bei dem Präsidenten der Republik vorstellig und setzten ihm die Notwendigkeit solcher Vorsichtsmaßregeln auseinander. Damit war die Sache erledigt. Sechs Wohnungen in einem Jahre. Frau Casimir-Parier muß sich an das „Ziehen" gewöhnen, schreibt der ,Figaro'. Zum sechsten Mal seit einem Jahre wechselt sie die Wohnung. Bon der Rue Mot wanderte sie in die Wohnung des Kammerpräsidenten, von hier ins Ministerium des Auswärtigen und vom Quai d'Orsay wieder in die Kammer, von wo sie jetzt ins Elysäe über siedelt. Die Stadt Tromsü im nördlichen Nor wegen feiert in diesen Tagen ihr tausendjähriges Jubiläum. Bon einem kleinen Handelsplätze mit 60—70 Bewohnern ist Tromsö zu einer wohlhabenden Handelsstadt mit 6000 Ein wohnern angewachsen. Unter anderen Festlich keiten wird auch eine große Fischereiausstellung veranstaltet. Fischerei ist die wichtigste Erwerbs quelle der Einwohner. Ans Eifersucht erschoß in Warschau ein hoher Beamter der Weichselbahn, namens Borawski, seine im Bette liegende Ehefrau und beging dann Selbstmord. Das erst seit kurzem verheiratete Paar lebte in glänzenden Vermögensverhältnissen. Bon Rändern ist nach Meldungen aus Solonichi der französische Bahningenieur Prevost auf der Bahnstrecke in der Nähe von Karasuli gefangen genommen worden. Die verlangten 3000 Pfund Lösegeld sandte die Ballgesellschaft Salonichi-Dedea-Ghatsch unter Protest. Militär verfolgt die Räuber. Ein entfernter Verwandter des Fürsten Bismarck hat sich in St. Louis (Montana), wie die ,New Iorker StaatS-Zeitung' berichtet, durch Morphin den Tod gegeben. Es handelt sich um den 32 Jahre alten Apotheker Fritz v. Roux, einen Sohn des Landgerichtsdirektors v. Roux aus Sigmaringen, der vor fünf Jahren aus Deutschland nach St. Louis kam und in zu gleichen Tellen zwischen den Söhnen der beiden Vertragschließenden geteilt werden. Zu gleich versprach General Brewer dem Lütticher Hause Militämeferungen, die eS auch in der That erhielt. DaS Lütticher Haus reichte nun mehr den Brewerschen Tornister „Novior" ein; trotz der Einspruches deS Generals Brewer be stimmte General Ayoux ÄS Vorsitzender, daß Brewer ÄS „Konkurrent" nicht mehr an den Abstimmungen teilnehmen dürfe. Der Brewersche Tornister wurde aber eingeführt. Inzwischen war aber Van Marckelberg wegen grober Fäl schungen und Unterschlagungen von der Lütticher Fabrik fortgejagt worden und verriet an Fonson alle mit Brewer abgeschlossenen Abmachungen, wie die Bemühungen BrewerS, die Fonsonschen Erfindungen zu gunsten seiner Erfindungen von der Armee abzuwehren. Der frühere General- Intendant der Armee, General Strauch, be kannte, daß er auf Veranlassung deS Generals Brewer mit der Lütticher Fabrik in Verbindung getreten sei, ihr ohne Verdingungen Lieferungen zugewendet habe, versicherte aber, daß sie billiger liefere als alle anderen Lieferanten. General Brewer hatte überdies dem Lütticher Hause ver sprochen, es zu einem „RegierungS-Etablissement" zu machen. Fonson machte von allen diesen Machenschaften Brewers dem Kriegsminister im März d. Anzeige, der die Sache dem General- Auditorirat zur Entscheidung überwies. Auf Grund dieses Thatbestandes ist General Brewer angeschuldigt, patentierte Erfindungen zu seinem Nutzen nachgemacht und seine militärische Stellung mißbraucht zu haben, um sich persönlichen Geld gewinn zu schaffen. General Brewer bestritt bei seinem Verhör die Berechtigung der Anklage, erklärte eingehend, daß sein Tornister keine Nach ahmung der Schmidt-Fonsonschen Erfindungen, sondem eine ganz selbständige Schöpfung sei; er habe keine Entschädigung dafür verlangt, noch erhalten. Der Vorsitzende machte dem General bemerkbar, daß er sich aber für das Ausland entschädigen lasse. „Sie haben gar zu sehr ver gessen, daß Sie, bevor Sie Erfinder sind, Chef des belgischen Generalstabs sind." Der Vor sitzende stellte fest, daß General Brewer, nachdem bereits Van Marckelberg Äs Schwindler ent larvt war, an diesen noch einen Brief mit der Anrede „Geehrter Herr!" gerichtet Kat, welcher Thatbestand im Saale peinlichen Eindruck machte, aber von dem General unverfroren als „ohne Bedeutung" bezeichnet wurde. Die Prozeßver handlung wird noch mehrere Tage in Anspruch nehmen. * * * Die telegraphische Schlußmeldung lautet: Der belgische Generalstabschef Brewer wurde von der gegen ihn erhobenen Anklage freiae- sprochen, aber die Men dem Kriegsminister überwiesen, weil der General, der erforderlichen Zurückhaltung uneingedenk, zur Einführung seiner Tornister mehr industrielle als militärische Rück sichten habe gelten lassen. Weder die „Krampfgefahr" keim Kade« ««d Schmimme«. Alljährlich fallen dem sogen. „Krampf im Wasser" viele Personen, darunter auch vorzüg liche Schwimmer, zum Opfer. Der bis zum letzten Augenblick noch munter im Wasser sich umhertummelnde Schwimmer macht urplötzlich ungewöhnliche Bewegungen mit den Armen, sinn dann stumm in die Tiefe und verschwindet zum Schrecken der Badenden. „Der Krampf hat ihn befallen" — heißt es von allen Seiten, „rasch ihm zu Hilfe!" — Ueber diesen „Krampf" der Schwimmer hat nun ein amerikanischer Arzt in neuester Zeit interessante Untersuchungen angestellt. Nach dem selben ist bei solchen Unglücksfällen niemals Krampf im gewöhnlichen Sinne im Spiel, wie auch die von ihm untersuchten Leichen plötzlich untergesunkener Schwimmer keinerlei Merkmale des Krampfes aufweisen. Das schnelle Nachlassen der Muskelkraft soll vielmehr dadurch erzeugt werden, daß Schaum oder Wasserstaub mit der Einatmung in den Schlundkopf gelangt und in die Luftwege ein dringt, oder, wie es im Munde deS Volkes heißt, in die „falsche Kehle" gerät, wodurch eine fast augenblickliche Stockung sämtlicher Atmungs organe stattfindet. Kommt das Wasser beim Beginne einer Einatmung in die Luftröhre, wenn die Lungen ganz luftleer find, so sinkt der Körper sofort. — Wenn daher die Mitbadenden merken, daß jemand beim Baden ungewöhnliche Bewegungen mit den Armen macht, so müssen sie sofort Hilfe leisten, weil der Betreffende unter den beschriebenen Umständen keinen Hilferuf äußern kann. Krrnlrs Allerlei. Briefe ungewöhnlich kleine« Format ollen in letzter Zeit zur Posteinlieferung gelangt ein, in einzelnen Fällen hatten derartige Briefe ogar nur die Größe einer Postfreimarke. Es wndelt sich hierbei um eine Spielerei, die aber ür die Absender zu Unbequemlichkeiten führen änn. Briefe so kleinen Formats eignen sich zur posttechnischen Behandlung nicht und dürfen von den Postanstalten nicht zur Absendung ge bracht werden. DaS Publikum wird daher in einer postoffiziösen Mitteilung im eigenen Inter esse vor der Benutzung gewarnt. Das Aluminium fängt jetzt an, in Ruß land eine eigenartige Verwendung zu finden, nämlich zur Mitra der Bischöfe. Die Kafansche Kathedrale in Petersburg hat eine Aluminium- Mitra für den Metropoliten Palladius anfertigen lassen, ebenso der Kiewsche Klosterhof für den Metropoliten von Kiew. Die Aluminium-Mitra wiegt nicht mehr als 1 Pfund, während die bis herige Brokat-Äitta 5—6 Pfund wog und zudem auch bedeutend teurer war. Alkohol war bisher die einzige Flüssigkeit, die selbst durch die größte bisher künstlich er zeugbare Kälte nicht zum Gefrieren zu bringen war; erst neulich ist dies dem englischen Pro fessor Dewar, der durch seine Versuche mit festem und flüssigem Sauerstoff, gefrorener Lust u. s. w., in England und auswärts so viel Aufsehen er regte, gelungen, diese Aufgabe zu lösen. Dewar brachte, wie daS Patent- und technische Büreau von Richard Lüders in Görlitz berichtet, zu dem Zweck ein kleines, mit absolutem Alkohol ge fülltes GlaSkölbchen in ein Metallgefäß, das ' von außen mit einem Gemisch von fester Kohlen säure und Aether abgekühlt wurde, während gleichzeitig dadurch auf diese Temperatur abge kühlter Aether in das Gefäß getropft und dieses durch eine auf — 200 Grad geschätzte Kälte, und dabei gefror der Alkohol zu einer krystall- hellen festen Masse, die die Eigentümlichkeit zeigte, daß sie beim Austauen nicht plötzlich flüssig wurde, sondem erst eine zähe, glycerin ähnliche Masse bildete, die wie Oel auS dem Kolben ausfloß. Bei der Vorlesung, in der Professor Dewar diese Versuche anstellte, wurde die Lust in der Nähe des Experimentators so abgekühlt, daß die Luft beständig mit Schnee erfüllt schien, indem der Wasserdampf der Lust sich Äs solcher niederschlug. Der König Katakana von den Sand- Wichsinseln hat wie in Berlin so auch in Pgris mancherlei Erinnerungen hinterlassen. Das neueste Heft der ,Revue contemporaine' erzählt jetzt von ihm folgende Geschichte. Ein großer Cercle in Paris beschloß die Gelegenheit, einen König zu bewirten, nicht unbenützt -zu lassen und lud Kalakaua zur Tafel ein. Ein Pariser Cercle ist nur denkbar mit einem Spielsaal. Es wurde daher nach Tisch an den König Kalakaua die Frage gerichtet, ob es ihm nicht genehm sei, den Spielsaal zu besuchen. „Gewiß," antwortete der Dolmetsch, nachdem er den König befragt hatte, „aber der Herrscher hat nicht darauf ge rechnet, ein Spiel zu finden und hat sich mit Geld nicht vorgesehen." „Das schadet nicht im geringsten," meinte der höfliche Präsident, „man werde dem König Geld behändigen." Es wurden auch wirklich dreißigtausend Frank gebracht, die Kalakaua, ohne zu zucken, in die Tasche schob. Dann brach man nach dem Spielsaal auf. Der König grüßte voll Herablassung alle Welt: die Spieler, die Kroupiers, die Diener; er bezeigte die lebhafteste Anerkennung für die Einrichtung des Saales. Dann zog er sich majestätisch zurück, ohne einen Pfennig gesetzt zn haben; die dreißigtausend Frank nahm er mit sich. zu sagen, was mir fehlt — du würdest es auch gar nicht verstehen können." Sie hatte recht. Das Gemüt seines Kindes war ihm ein verschlossenes Buch, in dem er kaum je sich bemüht zu lesen. Ihre in rührender Ein fachheit ganz absichtslos gesprochenen Worte trafen ihn wie eine Anklage. Dennoch hatte er ken e Erwiederung. Hätte er ihr sagen sollen: „Ich fand in egoistischer Trauer oder der Hin gabe an meine Götterbilder nicht Neigung oder Muße, mich um deine innerliche Zufriedenheit, die Regungen deiner Seele zu kümmern?" So äußerte er nur: „Bist du einverstanden, Inez, daß ich meiner Peri deine Züge ver leihe?" Sie schaute verwundert auf. Hatte er sie denn um ihre Meinung gefragt? Sie war ge wohnt, eine jede seiner Willensäußerungen stets mit einer fast heiligen Scheu zu achten, und so entgegnete sie verwirrt: „Lieber Vater, ich wünsche ja gar nichts anderes, ÄS zu deinem Nutzen da zu sein; es freut mich, daß du mich nun wirklich einmal brauchen magst." Leise, wie träumend redete sie weiter: „Eine Peri! Solch ein Seelenleben könnte ich wohl begreifen." Eine jähe Glut flammte über ihr Gesicht. Heftig riß sie daS Tuch von ihrem Werk herab: „Ich bin ja auch eine Peri in der Kunst. Sieh her, Vater, ob mir nicht die Thore der Voll endüna immerdar verschlossen sind! O, ich weiß <S, wj« fern von mir daS Höchste, daß Größte ist. Ich zermartere mir den Geist, e» zu erreichen, — der fortteißende Geist. Woher sollte dir auch das Verständnis kommen bei deiner Jugend? Vielleicht bist du eher eine kühle, erwägende Natur, fast möchte ich es wünschen, meine Tochter. Doch wage dich niemals an eine Auf gabe, von der nicht deine ganze Seele erfüllt ist. So lange diese stumm bleibt, wird dir nimmer die höchste Weihe der^kunst zu teil werden." Er seufzte tief auf. „Kaum möchte ich sie dir wünschen, Inez, — zumeist ringen wir uns nur durch heiße Qualen zu dieser Vollendung empor. So magst auch du einst die Gabe finden, die deiner Seele die himmlischen Schwingen löst." Mit unbewohnter Weichheit legte er die Hand auf deS Mädchens gesenktes Haupt: „Ich habe an dir gefehlt, Kind, ich sehe eS jetzt. Ich lebte nur in der Vergangenheit, in der Erinnerung an ein versunkenes Glück, und vechaß, daß mir noch ein Herz schlug in der Welt, das nähere Rechte an mich hatte. Wir kennen einander wenig, es ist ein beschämendes Bekenntnis für mich.' Viel leicht lernst du einst begreifen und dann milde mich beurteilen." „O Vater," stammelte sie bewegt, „ich habe dich ja von Herzen lieb, du mußt nicht so zu mir sprechen." „ES sollte anders sein zwischen unS, Kind; ich erkenne jetzt meine Schuld und weiß doch kaum, wie ich sie noch gut machen kann. In meinen Jahren ändert sich der Mensch kaum mehr, und was in Jahren verfehlt wurde, kann eine Stunde nicht wieder einbringen. Schließlich," er richtete sich straff empor, während der unge wohnte, mild teilnehmende Ausdruck seines Ge- fichteS jenem Zuge kühler Unnahbarkeit wich, der — waS aber ist meine Schuld,, daß ich es nimmer erlangen kann?" Sinnend betrachtete Wallmor daS Kunstwerk. Es stellte eine Ariadne dar. In todesweher Verlassenheit stand sie gegen einen Felsen ge lehnt, mit entgeisterten Augen hinausstarrend in die Meeresfeme, die den treulosen Geliebten davontrug. Die ergreifende Schönheit, die ge brochen« Haltung, der Kampf von Schmerz und Zorn in dem Gesicht dieser Ariadne mußte jedes fühlende Herz rühren und die technische Behand lung des spröden, hier Fleisch gewordenen SteinS die hohe Bewunderung deS Künsterständigen er regen. Dennoch wirkte die herrliche Gestalt nicht mit jener erschütternden Tragik, die ihr Schicksal bedingt. Ihre Anmut schien dem Seelenleid übergeordnet. Sie litt wie ein Kind, nicht mit der Verzweiflung des Weibes. Ihr Schmerz war gefesselt, wo er hätte schrankenlos sein müssen. Beunruhigt von der leidenschaftlichen Er regung seiner Tochter, an der er bis dahin nur einen stillen Gleichmut gekannt, sagte er jetzt, die Stimme dämpfend, ÄS wolle er dem Urteil die Schärfe nehmen: „Die Technik wird vor der strengsten Kritik bestehen, deine Hand führt den Meißel mit der Energie, der Ausdauer deS ManneS, in dieser Hinsicht befriedigst du mich vollkommen. Dennoch hast du recht, eS mangelt deinem Werke Eines — vielleicht ist eS daS Höchste. Der. Realismus der Mßnge wird nichts vermissen, er wird die schöne, traurige Jungfrau, dort bereitwillig bewundern, aber der psychisch Feinfühlende, der Seelenforscher muß erkennen, was dieser Schöpfung fehlt — die wahre Tragik Inez stets eingeschüchtert, — „ist mohl daS Leben der beste Erzieher. Möge es milde mit dir verfahren." Er wandte sich, daS Atelier zu verlassen. Doch noch einmal richtete er den Blick auf Inez zurück. „Sieh nicht so beklommen aus, Kind. Dir ist eine große Kraft verliehen. Hüte diese Macht des Genies, so bist du wohl gerüstet im Kampf des Lebens. Und nun, gute Nacht, Inez, erwarte mich nicht zum Abendessen, ich wünsche ungestört zu arbeiten. Gehe du noch auf eine Stunde zu Reimarus, es möchte dir gut sein." Sie nickte mechanisch und stand wie in einen Traum gebannt. Niemals vorher hatte der Vater in dieser eingehenden Weise, dieser teil nehmenden Güte zu ihr-gesprochen. O, daß es nun anders würde, daß sie ihm jene vertrauende Liebe zeigen dürste, nach der er scheinbar nie gefragt. Sic hätte ihm nacheilen, ihn bitten mögen: „Laß unS für einander leben, einander verstehen lernen, laß mich teilhaben an jenem Leid, daß du so lange in starrer Einsamkeit schwer getragen." Aber sie hatte trotzdem nicht den Wut, .zu ihm zu dringen. Er hatte unge stört zu bleiben verlangt, daS war ein Gebot, daS sie noch nie zu übertreten gewagt. Die warme HerzenSregung erlosch. Müden, schweren Schrittes trat sie zu ihrer Ariadne heran, um von neuem daS Werk zu verhüllen. „Wie kann ich dir eine Seele einhauchen," seufzte sie — „waS nützt alle» Mühen, wen« dS. Stein nicht lebt!" - .
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