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Minister des Innern Dr. RICHTER Hochansehnliche FestverSammlung! Es gereicht mir zur besonderen Ehre und Freude, in dieser festlichen Stunde, die der Feier des 150jährigen Bestehens der Leipziger Gewandhaus-Konzerte gilt, der Gewandhaus-Direktion und der Stadt Leipzig die aufrichtigsten und herzlichsten Glückwünsche der sächsischen Staats regierung aussprechen zu dürfen. Meine Damen und Herren! Es kann und soll, zumal nach den ausführlichen Dar legungen, die wir eben gehört haben, nicht meine Aufgabe sein, im einzelnen die Bedeutung zu schildern und zu würdigen, die den Gewandhaus-Konzerten und die dem Wirken der Männer an der Spitze der Direktion und auf dem Dirigentenpult dieses Gewandhauses für die Musikpflege in Leipzig, in Sachsen, in Deutschland und weit über seine Grenzen hinaus zukommt. Nur das eine darf ich doch noch einmal besonders betonen: Es ist und bleibt ein unvergängliches Ruhmesblatt für Leipzigs Bevölkerung, daß und wie sie es verstanden hat, aus der bedeutendsten Handels- und Messestadt, der wichtigsten Buchhändlerstadt und einer der wichtigsten Gelehrten städte, auch noch eine der ersten Musikstädte unseres deutschen Vaterlandes zu machen. Es ist unbestritten, daß namentlich durch Mendelssohns Wirken in der Mitte des vorigen Jahrhunderts die Stadt Leipzig die anerkannte musikalische Hauptstadt Deutschlands war, und daß sich auch heute noch mit ihr nur wenige deutsche Städte in ihrem Wert für das deutsche Musikleben messen können. Und das ist erreicht worden aus der eigenen Kraft der Leipziger Bürgerschaft. Während sich die Kulturzentren Deutschlands vorwiegend in den Residenzen der Fürsten und durch diese weitgehend gefördert entwickelt haben, kann Leipzig für sich in Anspruch nehmen, daß es — wenn es sich auch durchaus der Gunst der sächsischen Herrscher erfreuen durfte — so doch im wesentlichen unabhängig von solcher Hilfe seinen Platz an der Spitze der Musikstädte sich erkämpft und verteidigt hat. Es ist notwendig, in diesem Zusammenhang der unter Führung Mendelssohns ge gründeten mustergültigen Musiklehranstalt des Leipziger Konservatoriums, das sich bald eine angesehene Stellung erwarb und seine Anziehungskraft weit über Sachsen in Deutschland erstreckt hat, und der städtischen Oper zu gedenken, die in Ver bindung mit dem Gewandhaus-Orchester ebenfalls ihren Teil dazu beigetragen hat, den hohen Ruhm Leipzigs als Pflegstätte der Musik zu begründen und aufrecht zu erhalten. Vor diesen beiden Instituten wird man aber wohl der Einrichtung der Gewandhaus-Konzerte die Palme zuerkennen müssen. Es ist bewunderungswürdig, wie, bewußt oder unbewußt beeinflußt von dem langjährigen Wirken des großen Thomaskantors Johann Sebastian Bach, von der Einrichtung der Großen Konzerte im Anfang des 18. Jahrhunderts an die musikverständige und musikliebende Be völkerung in Einigkeit mit ihren Bürgermeistern, von denen heute natürlich Karl Wilhelm Müllers besonders gedacht wird, unter Gestalten, Festhalten und Weiter entwickeln einer großen Tradition immer und immer wieder die hervorragendsten Komponisten und Musiker zu gewinnen und zu fesseln vermocht hat, und wie es