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mit der Pflege dieser edelsten Kunstgattung alljährlich einer erlesenen hiesigen Ge meinde und auf Reisen vielen anderen besondere Genüsse bereitet. Bis vor kurzem hat auch Julius Klengel seine Meisterschaft in den Dienst des Gewandhaus-Quartetts gestellt, fast 50 Jahre mit den Primgeigern Engelbert Röntgen, Adolf Brodsky, Egon Petri Arno Hilf und Felix Berber. Die 26 Jahre von Nikischs Amtstätigkeit hatten eine neue Blütezeit der Gewandhaus- Konzerte bedeutet. Am 23. Januar 1922 schloß Arthur Nikisch die Augen, unvergessen nicht nur von denen, die ihm näher getreten waren und den Zauber seiner Persönlich keit verspürt hatten, tief betrauert in der ganzen musikalischen Welt. Die Konzerte unter seinem Amtsnachfolger Wilhelm Furtwängler sind noch in frischer Erinnerung. Unvergeßlich sein Beethoven, sein Brahms, wie überhaupt seine Interpretation der älteren Meisterwerke aller Stilgattungen, mit der er zu stetig wachsender Begeisterung hinriß. Zunehmendes Interesse erweckte sein unermüd liches Eintreten für die zeitgenössische Musik. So wurden uraufgeführt unter ihm: Werke von Kempff, Braunfels und Raphael. Unter den weiteren Novitäten finden sich Werke fast aller bedeutenderen jüngeren Tonsetzer: von Hindemith, Strawinsky, Gäl, Toch, Kodaly, Honegger, Casella, Jarnach, Schoeck, Ambrosius, Grabner, Respighi, Trapp, Atterberg, Marx und anderen. Von neuen Solisten dieser Zeit nenne ich: Borowski, Gieseking, Kulenkampff, Szigeti, KolesSa, Karl Erb, Giannini, Peltenburg. Mit der Anerkennung und Bewunderung von Furtwänglers Darbietungen seitens der Fachmusiker und des Publikums wuchs aber auch die stete Sorge der Gewandhaus- Gemeinde um Furtwänglers Weggang, bis diese sich zur allgemeinen schmerzlichsten Enttäuschung bewahrheitete. Die Gewandhaus-Konzertdirektion hatte sich glück lich gepriesen, Furtwängler gewonnen zu haben zu einer Zeit, da seine Name wohl noch vielen von denen unbekannt war, die später, falsch informiert, unberechtigte Vorwürfe erhoben und die für die Nachfolge eines Nikisch und eines Reinecke, die ein Menschenalter hindurch ihres Gewandhaus-Amtes gewaltet hatten, ohne weiteres eine ähnliche Zeitdauer erhoffen zu können glaubten. Von vornherein hatte Furtwängler Zweifel gehabt, auch bei Verminderung der Zahl seiner Konzerte, Leipzig eine längere Reihe von Jahren angehören zu können. Nun wollte er es nicht sein, der durch wesentliche Einschränkung der Konzerte die Eigen art und die Tradition der Gewandhaus-Konzerte zerstörte und wollte die Direktion nicht vor das wohl unlösbare Problem zweier Dirigenten stellen. So erreichte denn seine Gewandhaus-Tätigkeit Ostern 1928 ihr Ende, zu allseitigem Bedauern und zum besonderen Schmerz derer, die ihn sechs Jahre zuvor dem Leipziger Publikum zugeführt hatten. Freie Schaffensmöglichkeit in den Berliner und Wiener Konzerten und Opernhäusern, Konzerttourneen mit gleichsam eigenem Orchester im In- und Ausland, und in jüngster Zeit auch noch die musikalische Oberleitung der in der Welt einzigen Bayreuther Festspiele — ein solches Betätigungsfeld ermöglicht dem großen Diri genten nur noch, als seltener Gast an diese Stätte zurückzukehren, mit der er sich aber unvermindert und innig verbunden, unverändert zugehörig erklärt hat und wo sein Erscheinen stets mit Jubel begrüßt wird.