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Labt sich die liebe Sonne nicht, Der Mond sich nicht im Meer? Kehrt wellenatmend ihr Gesicht Nicht doppelt schöner her? Lockt dich der tiefe Himmel nicht, Das feuchtverklärte Blau? Lockt dich dein eigen Angesicht Nicht her in ew’gen Tau?« Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll, Netzt’ ihm den nackten Fuß; Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll, Wie bei der Liebsten Gruß. Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm: Da war’s um ihn geschehn; Halb zog sie ihn, halb sank er hin, Und ward nicht mehr gesehn. Goethe. d) Greisengesang Der Frost hat mir bereifet des Hauses Dach; Doch warm ist mir’s geblieben im Wohngemach. Der Winter hat die Scheitel mir weiß gedeckt; Doch fließt das Blut, das rote, durchs Herzgemach. Der Jugendflor der Wangen, die Rosen sind gegangen, All’ gegangen einander nach. Wo sind sie hingegangen? Ins Herz hinab. Da blühn sie nach Verlangen, Wie vor so nach. Sind alle Freudenströme der Welt versiegt? Noch fließt mir durch den Busen ein stiller Bach. Sind alle Nachtigallen der Flur verstummt? Noch ist bei mir im stillen hier eine wach. Sie singet, Herr des Hauses! Verschleuß dein Tor, Daß nicht die Welt, die kalte, dring’ ins Gemach. Schleuß aus den rohen Odem der Wirklichkeit, Und nur dem Duft der Träume gib Dach und Fach. Rückert. e) Lied des gefangenen Jägers Mein Roß so müd’ in dem Stalle sich steht, Mein Falk’ ist der Kapp’ und der Stange so leid, Mein müßiges Windspiel sein Futter verschmäht Und um mich kränkt des Turmes Einsamkeit. Ach! Wär’ ich nur, wo ich zuvor bin gewesen, Die Hirschjagd wäre so recht mein Wesen, Den Bluthund los, gespannt den Bogen, Ja, solchem Leben bin ich gewogen! Ich hasse der Turmuhr schläfrigen Klang, Ich mag nicht sehn, wie die Zeit verstreicht, Wenn Zoll um Zoll die Mauer entlang Der Sonnenstrahl so langsam schleicht. Sonst pflegte die Lerche den Morgen zu bringen, Die dunkle Dohle zur Ruh’ mich zu singen; In dieses Schlosses Königshallen, Ja, kann kein Ort mir je gefallen.