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ZWÖLFTES GEWANDHAUS-KONZERT DONNERSTAG, DEN 8. JANUAR 1920. Dirigent: Arthur Nikisch. ERSTER TEIL. Konzert für Klavier Nr. i (Gmoll Op. 25) von Felix Mendelssohn Bartholdy, vorgetragen von Frau Elly Ney van Hoogstraten [Bonn]. Molto Allegro con fuoco — Andante — Presto. Orpheus. Symphonische Dichtung von Franz Liszt. (Aus dem Vorwort.) >Als wir vor einigen Jahren den Orpheus von Gluck einstudierten, konnten wir während der Proben unsere Phantasie nicht verhindern, von dem in seiner Ein fachheit ergreifenden Standpunkt des großen Meisters zu abstrahieren und sich jenem Orpheus zuzuwenden, dessen Name so majestätisch und voll Harmonie über den grotesken Mythen der Griechen schwebt. Es ward dabei das Andenken an eine etrurische Vase in der Sammlung des Louvre in uns wieder lebendig, auf welcher jener erste Dichter-Musiker dargestellt ist, mit dem mystischen königlichen Reif nm die Scnläfe, von einem sternbesäeten Mantel umwallt, die Lippen zu göttlichen Worten und Gesängen geöffnet, und mit mächtigem Griff der feingeformten schlanken Finger die Saiten der Lyra schlagend. Da scheinen die Steine gerührt zu lauschen und aus versteinten Herzen lösen sich karge, brennende Tränen. Entzückt aufhorchend stehen die Tiere des Waldes, besiegt verstummen die rohen Triebe des Menschen. Es schweigt der Vögel Gesang, der Bach hält ein mit seinem melodischen Rauschen, das laute Lachen der Lust weicht einem zuckenden Schauer vor diesen Klängen, welche der Menschheit die milde Gewalt der Kunst, den Glanz ihrer Glorie, ihre völkererziehende Harmonie offenbaren Heute wie ehemals und immer ist es Orpheus, ist es die Kunst, welche ihre melodischen Wogen, ihre gewaltigen Akkorde wie ein mildes, unwiderstehliches Licht über die widerstre benden Elemente ergießt, die sich in der Seele jedes Menschen und im Innersten jeder Gesell schaft in blutigem Kampf befehden. Orpheus beweint Eurydice, das Symbol des im Übel und im Schmerz untergegangenen Ideals. Es ist ihm vergönnt, sie den Dämonen des Erebus zu entreißen, sie heraufzubeschwören aus den Finsternissen der Unterwelt, nicht aber sie im Leben zu erhalten Wäre es uns gelungen, unseren Gedanken vollständig zu verkörpern, so hätten wir ge wünscht, den verklärten ethischen Charakter der Harmonien, welche von jedem Kunstwerk aus strahlen, zu vergegenwärtigen, den Zauber und die Fülle zu schildern, womit sie die Seele überwältigen, wie sie wogen gleich elysischen Lüften, Weihrauchwolken ähnlich mählich sich verbreiten; den lichtblauen Äther, womit sie die Erde und das ganze Weltall wie mit einer Atmosphäre, wie mit einem durchsichtigen Gewand unsäglichen mysteriösen Wohllauts umgeben.« (.Aus dem Französischen übersetzt von P. Cornelius.) Burleske (D moll) für Klavier und Orchester von Richard Strauss, vorgetragen von Frau Ney.