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e) Nachruf. Du liebe, treue Laute, Wie manche Sommernacht, Bis daß der Morgen graute, Hab’ ich mit dir durchwacht. Die Täler wieder nachten, Kaum spielt noch Abendrot, Doch die sonst mit uns wachten, Die liegen lange tot. Was wollen wir nun singen Hier in der Einsamkeit, Wenn alle von uns gingen, Die unser Lied erfreut? Wir wollen dennoch singen: So still ist’-s auf der Welt; Wer weiß, die Lieder dringen Vielleicht zum Sternenzelt. Wer weiß, die da gestorben, Sie hören droben mich Und öffnen leis’ die Pforten Und nehmen uns zu sich. Eichendorff. 4. a) Das bescheidene Wünschlein. Damals, ganz zuerst am Anfang, Wenn ich hätte sagen sollen, Was, im Fall ich wünschen dürfte, Ich mir würde wünschen wollen, War ich vor zu großem Reichtum In Verlegenheit geraten, Schwankend zwischen Bilderbüchern, Farbenschachteln, Bleisoldaten. Später wurde mein Gelüste Kühner, deutlicher und kürzer: Einen stolzen Namen wollt ich, Sei’s als Held und Weltumstürzer, b) Wenn die Felder sich verdunkeln, Fühl’ ich, wird mein Auge heller; Schon versucht ein Stern zu funkeln, Und die Grillen wispern schneller. Sei’s als ruhmbekränzter Freiherr In dem Paradies der Künste, Wo die Wunderbäume blühen Und der schönen Frauen Günste. Heute, wenn die müde Hoffnung Wieder sich zum Wunsch bequemte, Wünscht ich nur ein kindisch Wünschlein, Dessen der Verstand sich schämte: Möchte wissen, wie die Glocke, Die mich in den Schlaf gewöhnte, Damals, ganz zuerst am Anfang, Möchte wissen, wie sie tönte. Spitteier. Manche Nacht. Jeder Laut wird bilderreicher, Das Gewohnte sonderbarer, Hinterm Wald der Himmel bleicher, Jeder Wipfel hebt sich klarer. Und du merkst es nicht im Schreiten, Wie das Licht verhundertfältigt Sich entringt den Dunkelheiten. Plötzlich stehst du überwältigt. Dehmel. Seele, banger Vogel du, Immer wieder mußt du fragen, Wann, nach so viel wilden Tagen, Kommt der Friede, kommt die Ruh? c) Keine Rast. O, ich weiß, kaum haben wir Unterm Boden stille Tage, Wird vor neuer Sehnsucht dir Jeder liebe Tag zur Plage. d) Ravenna. Und du wirst geborgen kaum, Dich um neue Leiden mühen, Und voll Ungeduld den Raum, Als der jüngste Stern durchglühen Hermann Hesse. Ich bin auch in Ravenna gewesen. Ist eine kleine tote Stadt, Die Kirchen und viel Ruinen hat, Man kann davon in den Büchern lesen. Du gehst hindurch und schaust dich um. Die Straßen sind so trüb und naß Und sind so tausendjährig stumm, Und überall wächst Moos und Gras! Das ist wie alte Lieder sind — Man hört sie an und keiner lacht, Und jeder lauscht und jeder sinnt Hernach daran bis in die Nacht. Hermann Hesse.