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Der SächlWe Lrzähter. Beiblatt zu Nummer 308. D«< B«mächwi« unserer Toten. Ein vor Verdun gefallener Oberlehrer und Leutnant der Landwehr schrieb au» dem Feld«: „Sa» auch der Ausgang diese» Krieges sein mag — und wir hoffen ja alle auf den berechttgten Erfolg unsere» Ringen» —: al» eine neue Menschheit werden wir vor« wärt» schreiten. Mir möchte die Brust springen bet dem Gedanken, daß e» einem vergönnt sein könnte, an dieser neuen Gemeinschaft unseres nationalen Leben» noch wei ter mitzubauen. Wohin ist plötzlich alle«, was das Daheim im Alltäglichen festhält? Alles Kleinliche, alle Unzufrie denheit, alle Trägheit, alle Selbstsucht? Lieber A., wenn wir uns alle Wiedersehen, dann muß es eine unerhört große, feierliche Stunde werden, vorläufig wollen wir in Geduld unsere Pflicht tun und den himmlischen Schicksals lenker bitten, uns zu führen, wie er fiir uns am besten ist." * Und in einem weiteren Briefe, der wie der erste gerade zu ein Vermächtnis de» Gefallenen genannt zu werden ver- oient: „Wenn mir Gottes gnädiger Wille über kurz oder lang eine glückliche Heimkehr gewährt, so will ich diese Zeit der Prüfung zeitlebens als die größte Gabe des Himmels ansehen. Ich wage kaum, es mir auszudenken, wie ideal das Familienleben und die Beziehungen zu den Freunden sich gestalten müssen, wenn das Erlebnis dieses Krieges der Vergangenheit angehört. Da wird es nicht bloß gute Grundsätze und Vorsätze geben, die eine Zeitlang vorhal ten, um dann wieder im ewig Alltäglichen aufgegeben zu werden. Was wir daheim besessen in unserem Familien leben, in dem vertrauten Kreise, in dem unser Dasein sich friedlich absptelte, da» ist doch das Schönste und Größte, was uns zuteil werden kann. Was bedeuten alle materiel len Wünsche, alle konventionellen gesellschaftlichen Bedürf nisse, alle. Sonderforderungen, die man an das Leben zu stellen pflegte, gegenüber dem reinen Glücke, das uns Fa milie und Freundeskreis bieten! Selbst wenn nicht immer alles glätt geht, wenn es gilt, sich durchzukämpfen durch innere und äußere Nöte, durch körperliches und seelisches Leid: das Bewußtsein der abgeklärten sittlichen Gemein schaft mit denen, die uns nahestehen, ist doch die schönste Himmelsgahe, die uns zuteil werden kann. Schon sind vier Monate vergangen, seitdem wir Ab schied nahmen. Biel hat sich ereignet. Großes und Erhe- bende», Ernstes und Trauriges. Mir ist die Zeit wie im ' Fluge vergangen. Die neuen Eindrücke und neuen Pflich- ' ten, die jeder neue Tag bringt, lassen einem das Maß der Zett fast^aus den Augen verlieren. Ich muß mich immer erst besinnen, wenn ich mir klar machen will, an was für einem Tage der Woche wir gerade leben. Der Sonntag ist wie jeder andere Tag. Wenn man sich gerade darauf besinnt, daß Sonntag ist, wird man mehr als sonst von Heimatgedanken heimgesucht. Gottesdienst findet von Zeit zu Zeit einmal statt, an irgend einem Tage der ' Woche, wie es die Lage gerade erlaubt. Auch das ist im- ! mer ein Erlebnis — eine wundersame Insel der Ruhe in dem bewegten Strome einer rauhen Wirklichkeit." Stimmungsbild aus Ostpreußen. Nach den herrlichen Siegen Hindenburgs und deren Ausnutzung war die Provinz Ostpreußen von den Russen be freit; nur die unmittelbar an der Grenze liegenden Kreise hatten noch unter wiederholten Einbrüchen zu leiden. Seit Mitte Septemher begannen dann allmählich die geflüchteten Einwohner zurückzukehren. Die ersten waren staatliche und städtische Beamte, von denen viele in treuer Pflichterfüllung auch während der Russenzeit auf ihrem Posten ausgehalten und ganze Städte und Landstriche vor Untergang und Ver nichtung durch einen barbarischen Feind gerettet hatten. Aber auch vielen Bürgern und Bauern sei dieselbe Anerkennung nicht vorenthalten. Ueberall begann man sich zu regen. Geschäftsleute und Landleute kehrten zurück und allmählich begann neuer Han del und Wandel dicht hinter der Linie des männermordenden Krieges. Deshalb war auch wiederholt von der Regierung darauf hingewiesen worden, daß die volle Heimkehr der Fa milien nur für gewisse Kreise gefahrlos sei, während in die hinter einer bestimmten Grenzlinie liegenden Städte und Ortschaften vorerst nur die Beamten zurückkehrn durften. Alle anderen taten dies auf eigene Gefahr. Für Frauen, Kinder und Greise war es noch nicht geraten, heimzukehren. Die meisten trieb es aber doch wieder der Heimat zu, schon um zu sehen, was ihnen von ihrem Eigentum, das sie Mitte August in plötzlicher Flucht verlassen, geblieben sei. Es ist ja schon vielfach gesagt worden, wie furchtbar der Feind an vielen Stellen gehaust hat, so daß die Heimkehren den nur Trümmer fanden. Es sei aber auch gesagt, daß viele Flüchtlinge bei der Heimkehr angenehm überrascht waren, wenn sie fast alles wieder vorfanden. Eines sei aber auch nicht verschwiegen, daß das zügellose eigene Volk befreit von jeder Aussicht, in den verlassenen Wohnstätten oft noch ärger geraubt hat als der Feind. Wenn jenes Volk, vom Hunger getrieben, Nahrung suchte und dabei fremdes Gut sich an eignete, was teilweise entschuldbar als Mundraub angesehen werden könnte, so ist doch ein planmäßiges Plündern und Beutemachen zumal von Leuten» die es ohne Not taten, nicht zu entschuldigen und wird, wie es teilweise schon ge schehen, aufs Strengste bestraft werden. Ebenso ist es erklär lich, wenn Soldaten, die nach langen anstrengenden Mär schen oder heißen Schlachten in verlassenen Ortschaften ein quartiert werden, an Lebensmitteln und Wäsche nehmen, was sie dringend brauchen. So waren in den Monaten September-Oktober viele Taufend Ostpreußen dabei tätig, die Schäden zu heilen, die der Krieg geschlagen hat. Die Regierung mit sämtlichen Be hörden war eifrig bemüht,'die Heimkehrenden mit Rat und Tat zu unterstützen; wenn es auch stellenweise nicht leicht war, die Arbeiter zu geordneter Tätigkeit wieder zurückzu führen. Bettachtete doch mancher den Müßiggang und eine dafür zu gewährende Unterstützung als ihr gutes Recht; denn es ist Krieg. In den Städten blühte geradezu ein schwung hafter Handel mit allen Artikeln, die von dem Soldaten im Felde als Nahrungs- und Genußmittel, sowie an Kleidungs stücken zum Schutze gegen die Nachtfröste gebraucht wurden. Es herrschte hieran bald Mangel, zumal die für militärische Zwecke benutzte Post- und Eisenbahn der Privatbeförderung nach den Grenzstädten nicht Folge leisten konnte. Aber bald trat auch in dieser Beziehung Besserung ein und immer mehr konnten die Käufer befriedigt werden, da auch immer mehr Kaufleute mit Waren zu ihrer Heimat zurückkehrten. Die Landleute, die mit neuen Hoffnungen heimkamen, bestellten ihr Feld, wenn es auch teilweise noch an Bieh und Pferden mangelte, welcher Not durch Versteigerung von im Feindes land erbeuteten Pferden, sowie billigen Berkaus von herren losen Kühen, Kälbern und Schafen durch die Intendantur versucht wurde abzuhelfen. Donnerstag, de« S1. Dezember 1VL4. Eine FranzosenfamMe von Landsleuten erschaffen. Ein erschütterndes Bild von dem blinden Wüten der Kriegsfurie entwirft ein Brief eine» Lüneburger Kriegsfrei willigen: „Wir lagen hart an dem kleinen Dorfe P. ... in den Schützengräben. Die Ortschaft selber war durch feindlich« Artillerie bös zugerichtet, aber trotzdem noch nicht gänzlich von den Bewohnern, die ihr kümmerliches Dasein in den Kellern fristeten, geräumt. Da der Gegner sich einige Tag« ruhig verhalten hatte, wagten sich die bedauernswerten Ge stalten wieder herauf, und das sollte ihr Berhängnis werden. In einer Nacht begann der Feind uns mit schwerer Ar tillerie zu beschießen. Doch die Geschosse flogen über unser« Köpfe hinweg und krepierten im Dorf. Eine Granate schlug in ein dicht hinter uns gelegenes Gehöft. Eine Nein« Pause . . . lautlose Sülle. . . plötzlich drang ein entsetz liches Stöhnen und Jammern durch die sternklare Nacht zu uns in die Schützengräben. Das Geschoß mußte «großes 'in heil angerichtet haben, und so war es auch. Als wir kurz« Zeit heranach an der Unglücksstätte standen, da bot sich un seren Augen ein schauriges Bild. In dem Schlafzimmer des Hauses, in dem die Granate krepiert wir, lagen drei bis zur Unkenntlichkeit entstellte Gestalten. Eine vierte kauert« blutüberströmt in der Ecke. Sie lebte noch, es war die Mut ter jener drei unschuldigen Wesen, die dem tückischen Schick sal zum Opfer gefallen waren. Für uns war das Geschoß * bestimmt gewesen und nun hatten die Franzosen ihre eigenen Landsleute getroffen. Das älteste der Kinder war ein bildhübsches Mädchen. Jeder von uns kannte die kleine Emilie mit ihren dunklen Augen und ihren schweren, schwarzen Flechten. Sie hatte auch keine Furcht vor uns „Barbaren". Jedem nickte sie freundlich zu und dankte herzlich für die zahlreichen Gaben und Leckereien, die ihr von uns zugesteckt wurden. Nun hatte sie auf so traurige Weise ihr junges Leben verloren. Am nächsten Tage haben wir die drei Kinder begraben. Ein aller Landsturmmann, der mit seinen Söhnen — beide als Kriegsfreiwillige — in meiner Kompanie steht, begann einen Grabstein zu meißeln. Täglich arbeitete er in seiner freien Zeit an seinem Werke. Nach einiger Zeit war de« Stein fertig. Am folgenden Morgen sollte er zum Grab« geschafft werden. Da — in der Nacht — funve die feindliche Artillerie wieder heftig auf uns los, und das Unglück wollt« es, daß eine Schrapnellkugel gerade den Stein zerschmet terte. So wurde mit einem Schlage die tagelange Arbeit des braven Mannes zerstört. Doch der Alte ließ sich nicht ab schrecken. Frisch begab er sich wieder an das Werk, und bald stand auf dem frischen Grabhügel ein neuer Stein mit der Inschrift: „Hier ruhen, von französischen Granaten getötet. . . Bondeutschen Soldaten beerdigt." Wochen sind seit diesem Borfall vergangen. Wir liegen schon lange nicht mehr vor dem friedlichen Dörfchen. Biele neue Eindrücke haben wir schon wieder erlebt, aber oft haben wir noch zurückdenken müssen an jene unheilvolle Nacht, an die lustige kleine Emilie, deren Mund nun für immer ver stummt ist." Sinnsprnch. Das höchste Heil, das letzte liegt im Schwerte! Körner. Gedenktage: 31. Dezember 1384: Der englische Reformator John Wiclef gestorben. — 1530: Der schmalkaldische Bund. — 1882: Der französische Staatsmann Gambetta gestorben. Astronomischer Kalender. 31. Dezember: bvrmenausg. 8 Uhr 6 Min.! Mondaufg. 2 Uhr 37 Min. bonnenunrerg. 4 Uhr 0 Min. j Mondunterg. 7 Uhr 40 Min. Amtmanns Käthe. Roman von H. Courths-Mahler. (Schluß.) Aber nein — Du warst so blind wie ich. Und Du sag test mir dann stolz und kalt, daß Du mich nicht liebtest und nur gezwungen meine Frau geworden wärest. Ich war hoffnungslos. Aber dann warb ich doch von neuem um Dich. Daß Dein Herz keinem anderen gehörte, gab mir doch wie der Mut und Hoffnung. Ich sagte mir, daß ich bisher wohl nicht den rechten Ton gefunden, Dich oft durch mein unge stümes, heißes Blut erschreckt hätte. Deshalb hielt ich mich nun in der Gewalt und unterdrückte meine glühende Sehn sucht nach Deinem Besitz. Ganz zart wollte ich mir erst Dein Vertrauen und dann Deine Liebe erwerben. Was mich dies« Zurückhaltung gekostet hat, wenn ich Dich in Leiner ganzen Süße und Holdseligkeit vor mir sah, da» ahnst Du nicht. Und nun nimm schnell da» harte Wort zurück, da» Dir Dein verletzter Stolz diktierte, sage mir, daß Dein Herz nicht» davon weiß, sage mir, daß Du mich liebst, wie ich Dich liebe, daß Du nun ganz mein eigen sein willst, mit Leib und Seele." Käthe hatte mit heißen Augen in die seinen geblickt. Immer wieder schauerte sie zusämmen unter dem Sturm der Gefühle, die über sie dahinbrausten. Als er nun schwieg, sagte sie leise, mit bebender Stimme: „Ich will und kann nicht mehr lügen — ja, Georg, ich liebe Dich — unsagbar — grenzenlos — willig würde ich sterben für meine Liebe. Ich glaube, sie war immer in mir — seit ich Dich kenne — und sie ist so groß und. stark gewor den in allem Leid. Aber ich wage es noch immer nicht, zu glauben, daß mir ein so großes, namenloses Glück beschie- den sein soll. Ist es wirklich nicht nur Mitleid, was aus Dir spricht?" Er lachte glückselig auf. „Käthe, törichte Käthe, sieh mich doch an! Sieht so das Mitleid aus?" Sie sahen sich tief in die Augen und Käthe erzitterte vor Glück in seinen Armen. „Aber die Briefe Deiner ersten Frau, Georg? Ich weiß, daß Du Briefe von ihr erhalten hast." Er schüttelte ärgerlich den Kopf. „Diese verwünschten Briefe, mein armer Liebling — hätte ich nur geahnt, daß sie Dir Schmerz bereiteten!" Sie sah ihn errötend an. „Woher weißt Du das?" Liebevoll preßte er sie an sich. „Ein munteres Vöglein hat es mir gesungen — unter dem Tannenbaum. Aber davon nachher. Jetzt will ich Dir erst die Sorge mit den dummen Briefen vom Herzen nehmen. Sie waren Bettelbriefe und ein Dankschreiben für zweitausend Mark, die ich, ohne ein Wort, als Unterstützung an eine Abenteuererin sandte. Etwas anderes ist jene Frau nicht mehr. Und Dir zur Beruhigung will ich noch hinzu fügen, daß ich im Herzen längst fertig war mit ihr, ehe ich daran dachte, eine zweite Frau zu nehmen. Ich sprach Dir nicht von diesen Briefen, weil ich mich dieser Frau noch im mer schäme. Siehst Du, mein Liebling — das ist da» ganze große Unglück, dem Du nachgeweint hast. Und es war ein großes Glück, daß Du ein Schnitzelchen von einem dieser Briefe so sorgsam in Deiner Schmuckkassette verwahrtest. Wer weiß, was sonst noch alles für Unheil entstanden wäre." Käthe wurde bluttot. „Woher weiht Du von diesem Papierschnitzel?" Er lachte froh. „Das sag' ich Dir erst, wenn Du mir ganz freiwillig die Arme um den Hals legst und mir einen Kuß gibst. So ost habe ich mir Deine Küsse rauben müssen. Du hast es immer nur widerwillig geduldet. Und wenn mich Sehnsucht und Ungestüm erfaßten, dann lagst Du herb und kalt in meinen Armen. Ach Liebling — Du hast mich wahrlich auch genug gequält. Nun mache es gut. Hier liege ich ganz still zu Deinen Füßen und warte." Käthe sah ihn in scheuer Glückseligkeit an. Und dann warf sie sich in seine Arme und preßte ihre Lippen in süßer Glut auf die seinen. Er hielt sie fest und ließ sie nicht los. Lange ruhten ihr« Lippen aufeinander und selige Daseinswonne füllte ihr« Herzen. Die Welt versank um die beiden Glücklichen. Sie wußten und fühlten nichts, als daß sie einander gehörten mit jeder Faser ihres Seins und daß ihre Herzen nie mehr voneinander lassen würden. Wally mußte sehr lange warten, bis sie Georg herbei rief. Aber dann fand sie auch zu ihrer großen Freuds zwei glückstrahlende Menschen, die sie in die Mitte nahmen und abwechselnd herzten und küßten. Wally schluckte die Rührung tapfer hinunter und wurde wieder ruppig wie ein echter Backfisch. „Na, Gott sei Dank, daß Ihr endlich vernünftig gewor den seid! Und mir ist schon ganz schlecht vor Hunger. Das Festmahl verprökelt in der Küche, daß es einem das Herz im Leibe umdreht. Und die Köchin ist vor Verzweiflung ganz desperat. Sie wäscht ihre Hände schon 'ne ganze Stunde in Unschuld und wollte mit Gewalt bei Euch eindringen. Ich habe meine liebe Not mit ihr gehabt» um sie Euch fern zu halten. Nun seid so gut und kommt endlich zu Tisch. Die Kerzen sind auch schon fast abgebrannt auf dem Tannen baum", sagte sie in ihrer burschikosen Art.