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—,.,.— i iWW Amtliche BeKamiimüchimgcU. Sitzung des Bezirksausschusses Dienstag, den ir. September 1S22, vormittag, '/^10 Uhr, in Lroßdvbrau, Linkehrhauo .Huthaus". Amtlchauptmannschast Vauhen. am 2. September 1922. Nitti» Jollvereinsgedanke. Triest, 2. September. Der ehemalige italienische Mini sterpräsident Nitti erklärte ,einem Berichterstatter des Blattes Piccollo über den Plan des österreichischen Bundeskanzlers Seipel, betreffend eine italienisch-österreichische Zollunion, dieser Plan sei für Österreich undurchführ, Österreich das durch die Verträge von St. Germain und Versailles gefesselt sei, könne ohne Erleichterung we der leben noch sterbe». Er, Nitti, würde als wirk sameres Mittel vorschlagen, wenn der Augenblick des Ein schreitens für die italienische Regierung gekommen sei, Ita lien, Ungarn, Österreich, die Tschccho-Slowakei, Polen und Südslawie» in einem Zollgebiet zu vereinigen und so eine .wjl'tschaftliche Einheit und einen mächtigen Zollverein mit 120, Millionen Menschen zu schaffen. Einen anderen Weg "des Heils gebe es nicht, sonst würden Österreich, Ungarn und Polen unerbittlich zugrunde gehen. Rumänien würde der Armut verfallen; danach würden Triest und Fiume unter geben. Zusammenstöße in CharlotLenburg. ' Berlin, 4. September. (Drahtb.) Gestern nachmittag kam cs in Charlottenburg zwischen jugendliche» kammuni stischen Demonstranten und Schupobcamtcn zu Zusnmmen- 'stößen, bei denen nach de» bisherige» Feststellungen 4 Per- sonen verleszt wurden. Mehrere Züge von Mitglieder» der Kommunistische» IugendhuiidßS wäre» morgens nach Pi- 'chekbergc gezogen und kehrten nachmittags nach Eharlotten- burg zurück. Bei dem Zug dukch die Stadt kam cs zu ver schiedenen Zusammenstößen. Der erste ereignete sich am Äahnhof Witzlcben, wo ein Installateur, der ei» Hakenkreuz »«tragen habe» soll, von der Menge verfolgt wurde. Sic stürmtc in s e i n e » L n d e n und vlündcrtc d ic - sen aus. I» der Sophie-Eharlottenstraßc. wurdc durch Sjne Menge der Straßenbahn verkehr lahni ge legt. Als der Führer des erste» Wagens durch den Zug hindurchfahren wollte, wurde er von einem Ordner des Zu ges daran verhindert. Es kapr zu heftigen Ausein ander s e ß u ii g e n, so daß der in der Räbe befindliche Posten der Schupo eingreifen mußte. Als er den erregten Ordner mit Hilfe mehrerer Kameraden nach der Wache des Polizeipräsidiums brachte, versuchten die Demonstranten, den jungen Mann zu befreien, beschimpften dic Bc - amten, schlugen mit Fahnenstangen auf ihn ein und mar sen mit Flaschen. Da die Menge, die inzwischen auf mehrere tausend angewachsen war, die Polizcibeamten immer wie der bedrohte, machten diese von ihrer Waffe Gebrauch. Als aus der Menge heraus mehrere Schüsse fielen, erschienen mehrere Beamte mit Karabinern, worauf sich die Menge vgK und nach zerstreute. Ausschreitungen in Offenbach. " ' Offenbach a. 2N., 4. September. Während eines Demo», strationszuges kommunistischer Juaendvercinc kam cs Sonn tag nachmittag zu schweren Ausschreitungen. Größere Gruppen drangen in die Wohnung des Stadtverordnete» Nessel (Ztr.) ei» u»d zwangen ih». im Züge mitzugchc». Unter Drohungen wurdc er gezwungen, ei» Schild uni de» Hals zu trage», das die Worte trug: „Ich bi» der größte Oehrlingsschindcr!" Als die Polizei später einschritt, ginge» die Burschen auf Frankfurter Gebiet über, wohin ihnen die Offenbacher Polizei nicht folgen konnte bezw. durfte. Oeries aus aürr — Schwere» Straßenbahnunglack in Stettin. Ein schwerer Straßenbahnunfall ereignete sich Sonntag nachmit tag in Stettin. Ein Wagen der Linie 3, der zum Bahnhol fahren wollte und dessen Führer anscheinend die Gewalt über den Wagen verloren hatte, raste die abschüssige Grüne Schanze hinunter, überrannte ein Fuhrwerk, dessen Pferde verletzt wurden, entgleiste schließlich und kippte um, die Fahrgäste unter sich begrabend. Das Oberdeck des Wagens wurde zertrümmert. 20 Personen wurden verletzt, davon zwölf schwer, sechs beden'lich; ein junger Mann von 16 Jah ren wurdc getötet. — Die Gefahr der Obstzeit. Aus Solingen wird gemeldet: Hier starb unter heftigen Schmerzen ein vier jähriges Kind, das nach dem Genuß van Obst kaltes Wasser getrunken hatte. Ein anderes Kind fand durch den Genuß von Tollkirschen seinen Tod. — Anderthalb Millionen in dec Wesle eingenäht. Aus Delitzsch wird gemeldet: Bei dem vor kurzem verstorbe nen Händler Hermann Thieme in Wellaune, der auch in un erer Stadt bekannt war und als Sonderling galt, fand man in einer Weste 303 Zwanzig-Mark-Gol-stückc einge näht, die nach dem heutigen Star.de 1515 000 ,tl darstcllen. Linen großen Teil hiervon dürfte allerdings das Finanzamt oeschlagnotzmen. — Riesendiebstahl in Bad Salzschlirf. Einer in Bad Salzschlirf zur Kur »'eilenden Gräfin Blücher aus New Park wurden aus dem Schlafzimmer Brillantnadel». Ohrringe eine Geldsumme vo» 10 000 .<( in deutsche»' Gelde und 50 Dollars gestohlen. Die entwendeten Gegenstände Haber, eine» Wert vo» 5000 Dollars, das sind »ach dem heutige» Kursstand 6-">f Millionen Mark. — Am Tage vor der Hochzeit um die Aussteuer bestohlen wurde eine Dame, die von Berlin »ach Leipzig fahren woll te, um dort zu l-oirateii. Ihre Wäscheansstaiiung. neue Bett-, Tisch- und Leibwäsche, führte sic in eine»' Neisekorb mit sich. Diesen Korb.ließ sie von einem jungen Mann in den Zug bringe». Sie selbst verließ dann aus eiiie» Augen blick nochmals das Abteil, uni sich van der Muitcr zu ver abschiede». Als sic zurücklebrte, war der Korb spurlos ver schwunden. Es besteht die Möglichkeit, daß der junge Mann, der ihn hinciiigetragen hat. ihn aus einer.' anderen Ausgang wieder herausgeschnfft hat. — Durch Brandstiftung vcrnichkeke L'.nlevorrätc. Nach dem jetzt die Körnerernte fast überall einaebrachl ist, häufen sich wieder die Fälle von böswilliger Brardstiftung. Sa wurden in Luckau (Kreis Randows zwei Bauernhöfe mit der gesamten Ernte vernichtet, ebenso die landwirtschaftliche» Maschinen. Der Schaden wird auf 1 Millionen Mark ge schätzt. L» Groß-Tnchoch (Kreis Belga«d) kam bei dem Gast wirt Feuer aus. Auch hier wurden Scheune und Stall, so wie der Stall eines Bäckermeisters in Asche gelegt. Außer dem größten Teil der Ernte verbrannten eine Kuh und sechs Schweine. Ei» Klempner, der bei den Löscharbeitc» half, wurde durch eine cinstürzende Mauer schwer verletzt und mußte ins Krankenhaus gebracht werden. Auch hier wird Brandstiftung vermutet. — Eine mutige Frau. In Wicscrodc bei Aschers leben bemerkte die Frau des Guts-Hofbesitzers Risch, als sie mit ihrer Tochter vom Felde zurückkehrte, einen Einbrecher, der sich unter dem Tisch versteckte. Die Frau »ahm das Jagdgewehr ihres Mannes vo» der Wand und trieb de» Einbrecher in eine Ecke, bis die Tochter inzwischen Hilfe von den Nachbarn hcrbeigeholt hatte. Man fand bei ihm wert volle Beute. — Ich verkaufe nur an Deukschc. Das Mannheimer Tageblatt berichtet aus Darmstadt: In einem hiesigen Ge schäft liegt im Schaufenster eine Fünsdollarnote mit folgen der Aufschrift: „Für diesen Schein bekam der Ausländer s- -r - 7—.. M 7000 Mark. Ich verkaufe nur an Deutsche." — Die ausgebliebcnen Schössen. Aus Berlr» wchd gemeldet: Die Reiselust, die trotz der hohen Fahrpreise und der geradezu unerschwinglichen Wohn- und Vervslegungs- kosten in diesem Jahre stärker ist denn je, macht sich auch bei den Gerichtsverhandlungen bemerkbar. Fast täglich müssen vor den Ferienstrafkammcrn Verhandlungen ausfallen und die erschienenen Parteien mußten nach Hause geschickt wer den, weil die Schöffen nicht erschienen waren. — Von einem Amerikaner eine Ml-ion für ein Atters heim gestiftet. Aus Bad Nau Heini wird gemeldet Nachdem erst vor wenigen Tagen ein Spanier der Stadt für ein Altersheim 100 000 Mark zugeeignet hotte, stiftete jetzt der Kaufmann Willy Rosenthal aus New Port für de.' gleichen Zweck eine Million Mark. — Brann kohlenfnnde in der Altmark. Die neuerlich an gestellten Bohrungen nach Kohle in der Gegend von Arend see haben die Ergebnisse der Bohrungen der letzten Jahre wiederum bestätigt. Es ist fcstgestettt worden, daß das ganze große Grubenfeld nördlich Schrampe bis südlich Thielbeer kohlcführcnd ist, wodurch ein großer Betrieb und Abbau cmf über 100 Jahre gewährleistet sein dürste. Die gefundene Kohle ist von guter Beschaffenheit, sic ist als Hausbrand kohle zu verwenden, zum Teil eignet sie sich für Schmelz zwecke. Es sind drei durchgehende Flöze von 21/- bezw. 4 bis 5 Meter Mächtigkeit festgestellt worden. Aus dem Gerichtssaal. * Das Hochstaplerleben eines Dualanegers. Ein 1805 in Dualä geborener Neger Sappot M u a n g o, der 1914 als Kohlenziehcr auf einem Dampfer nach Deutschland ge kommen war, hat es verstanden, unter dem Namen Joe von Schlüter ein erfolgreiches Abenteurer- und Hochstaplerlebcn zu führen. Nachdem er in Dortmund während der ersten Kriegqahre als Munitionsarbeiter viel Geld verdient hatte, aber wegen mehrerer Alimentationsprozessc den Of fenbarungseid leisten mußte, kam er 1917 nach Hamburg. Es gelang ihm hier durch großartiges Austreten Geschäfts leute -n veranlassen, ihm Möbel, Schreibmaschinen und an dere Maren auf Kredit zu liefern. Er kauft« auch ganze Ge schäfte, die er nicht bezahlte. Eine Frau Professor und einen Oberst a. D. beschwindelte er um 100 000 Mark, indem er ihnen durch Geschäftsbriefe und Dokumente glaubhaft machte, er sei Mitinhaber der Schlüterfilmgesellfchast in Chi cago. Auch als Heiratsschwindler betätigte er fick vielfach. Er hatte immer mehrere Bräute gleichzeitig, ließ sich van ihnen Geld geben zur Sicherheit, weil das. wie «r sagte, in einer Heimat so „Brauch" sei. Eines Tages trat er sogar an einen Mann heran, dessen Frau ihm gefiÄ, um sie ihm für !00 000 Mark „a b z u k a u f e n". Es kam «in regel rechter Kaufvertrag zustande, der auch das Gericht beschäf tigte, aber ohne Mißerfolg für den Angeklagten, weil der Richter nnnahin, daß der Vertrag „nicht ernst gemeint" war. Erst nach jahrelangem Treiben ging der Krug zu Wasser und der Angeklagte würde nur zu der niedrigen Strafe von 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Aus Sachsen. Dresden, 4. September. Die Zwickauer Bergarbeiter gegen das Verfahren von überstunden. Trotz d«r Genehmi gung einer.achten Überstunde im sächsischen Steinkohlenge- biet haben sich die Belegschaften des größten sächsischen Stein- lohlenkonzerns, der städtischen Zwickauer Werke, mit großer Mehrheit gegen die Überstunden ausgesprochen und sie ab- gelehut. Dresden, 4. September. Esperanto-Institut des Deut schen Reiches, Esperanto-Schule Dresden. Am 26. August fanden in der 9. Volksschule zu Dresden vor der Kommission Steffani Drehsa. Roman von Alexandra v. Bosse. (7. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) „Mein erster Besuch, nachdem ich von Berlin zurückge kehrt, galt natürlich Dvhncck!" sagte er heiter und schüttelte dem Mann die Hand, den er haßte, weil er Stesfanis Gatte war.- Steffani saß noch wie gelähmt, so sehr hatte das plötz liche Erscheinen Rüdigers sic erschreckt: sie war tief erblaßt. Sie wollte etwas sagen, aber ihre zitternden Lippen brach ton keinen Laut hervor, und nun erklärte Rüdiger seine ver frühte Rückkehr. „Es war unmenschlich heiß in der Stadt, da ließ ich mich lm Automobil herausfahren." Während er das sagte, streifte sein Blick Stenums Ge sicht; ober nun hatte auch sie sich beruhigt und fragte: „Willst du noch Tee haben?" „Ja — wenn ich noch welchen bekommen kann." „Natürlich!" nickte sic und klingelt«, damit Ali noch kochendes Wasser bringen sollte. Sic war froh, für ihre Augen eine Ablenkung und für ihre Hände, die noch leicht zitterten, eine Beschäftigung zu finden. Eifrig beschäftigte sie sich mit der Kann«, und nach wenigen Minuten stellte sic eine Tasse Tee vor Rüdiger hin. Jetzt erst wagte sic mit scheuem Blick sein Gesicht zu streifen. Es war ernst, wie immer: die grauen Augen blickten kühl und gelassen Treben an. mit dem er sich freundlich über Berlin unterhielt. Da atmete Stefsani auf. Sic dachte beruhigt: er hat nichts gesehen und nichts bemerkt! Während die Herren sich weiter Unterhielten, überlegte sie, daß ja eigentlich gar nichts geschehen war: ein Handkuß— sonst nistts! » * V Solange Sstffani zurückzudcnken vermochte, wurdc der 16. August in Wagnitz sehr festlich begangen: cs war der Geburtstag ihres Vaters, der schon immer daraus gehalten hatte, daß cs an diesem Tage hoch hcrging. Er liebt« cs sehr, gefeiert zu werden; dieses Jahr nun war es der sechzig ste. der zu besonderer Fröhlichkeit Anlaß bot. Schon einen Tag zuvor warm Steffani und Acnni nach Wagnitz gekom men, um der Mutter bei den Vorbereitungen zu helfen; die Ehemänner sollten erst am folgenden Nachmittag mit gelobe neu Gästen zum Festmahl eintrefsen. Steffani machte cs Vergnügen, wieder einmal Haus tochter zu spielen, und was sie früher mit Schrecken erfüllt, das konnte sic jetzt in bester Laune belächeln: cs freute sie, des Vaters befehlende Stimme durchs Haus hallen zu hören, t- . Sie sah, wie durch seine Anordnungen Diener und Mägde in zitternde Angst versetzt wurden, und daß es auch die Mut ter, die doch längst daran gewöhnt sei» mußte, unruhig machte. Wagnitz war von jeher am Tage vor seinem Ge burtstag immer in allcrgrimmigstcr Laune gewesen; er brüllte wie ei» Löwe, weil sonst, »ach seiner Meinung, nichts fertig wurde. Aber Steffani wußte, daß es nicht so schlimm gemeint war, als cs klang. Es wnrde gebacken und gebraten, geschrubbt und ge scheuert, und Blumengewinde wurden angebracht. Steffani hantierte mit mehlbcstanbten Händen in der Küche, half Tor ten bereiten; ein? große Küchenschürzc verhüllte ihr Kleid, ein weißes Tuch schützte ihr Haar vor Mchlstaub, die Ärmel waren bis über die Ellbogen aufgestrcift. Es bereitete ihr Vergnügen, Knchenmädche» zu spielen, weil cs ihr als jun ges Mädchen gar nicht gefallen, in die Küche beordert zu werden, um dort zu lernen, was, nach der Eltern Meinung, jedes deutsche Mädchen lernen muß: gut koche». Damals führte eine alte Köchin hier das Regiment und maßte sich an, der jungen Tochter des Hauses zu befehlen. Der alt? böse Drachen hatte dem jungen Ding damit die Freude an der Kochkunst verdorben; heute verrichtete sic mit Freude die Ar beit zusammen mit einer jungen Köchin. Im Hühnerhof gab cs Weh und Ach. Da riß das Schlachtmesscr grausame Lücken in friedliches Familienleben, und auch im Walde war Trauer; zwei feiste Rehböcke hatten einige Taqc zuvor dem lieben grünen Wald für immer Ade sagen müsse». Am Vormittag des großen Tages kamen, nach altem Brauch die Gutslcutc im Sonntagsstaat, nm feierlich ihren Herrn zu beglückwünschen. Sic taten cs gern, denn jeder von ihnen bekam heute vo» dem sonst mit Geschenken kargen Wagnitz einen harten Taler in die Hand gedrückt; auch das war alte Überlieferung in Wagnitz. Danach erschienen, unter Führung des Lehrers, die Schulkinder von Wagnitz, Buben und Mädel, und sangen: „Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehren . . .", was Herr von Wagnitz an seinem Ehrentage a's Loblied auf sich selbst auffaßtc. Dem Lehrer wurdc ein Glas Wein ge reicht, das er erst trank, nachdem er ein Hoch am den Guts herrn ausgcbracht, in das die Kinder freudig cinstimmtcn, denn nun gab cs Kuchen für sic. Beglückt zogen sic davon. Danach war Steffani zumute, als müßte sic nun vor treten, nm klopfenden Herzens ei» mühsam eingcpauktes, verwickeltes hochtönendes Eeburtstagsgedicht anfznsagen und dafür, wenn cs gut ausgegangen war, eine Mar, in die Sparbüchse zu bekommen. Ach, es war so selten ohne Fehler gegangen, immer hatten sie die streng am sie gerichteten Au gen des Vaters verwirrt, und meistens war sj§ irgendwo hilflos stecken geblieben so gut sic auch »erber die Verse ge lernt haben mochte. Dieses Gedicht hatte ihr fast in jedem Jahr, solange sic «in Kind gewesen, die Festfreude verdorben. Um vier Uhr sollte das Festmahl stattfindcn, zu dem die ganze Nachbarschaft, und auch viele Freunde und Velivandte aus Dresden, eingeladcn wurden. Das heißt, nicht feierlich eingeladen, sondern nur bei uhrichtigt, daß ihr Besuch an diesem Tage, zu der und der Stunde, willkommen sein würde. Wer kommen wollte, kam; und Herr von Wagnitz nahm es sehr übel auf, wenn einer, der hätte kommen kön neu, ohne triftigen Grund wegblieb. Steffani fand cs sehr belustigend, daß man gar nicht mußte, wer und wieviel? Gäste kommen würden, aber ihre Mutter fühlte sich erregt bei dem Gedanken, cs könnten zu viele kommen, der Platz nm Tische und auch die vorbereiteten Fcstgenüsse nicht aus reichen. Ihre Exzellenz Frau v. Wyborg war eine der ersten, di? erschien; sie fehlte nie. Dann kam Rüdiger, gleichzeitig mit Benno Badener, und Fran von Wvborg bemerkte mit lau tem Entzücken, wie sehr er sich erholt habe. „Nein, Sie setzen ja wieder um zehn Jahr« jünger aus, lieber Graf Drehsa," sagte sic ganz gerührt. Aber wie wohl Rüdiger auch aussnh, mit Benno Bode ncr tonnte man ih» doch nicht vergleichen: dem autcn Benno bekam die Ehe fahr gut, er sah noch runder und rosiger aus als sonst. Ehe er irgend jemand begrüßte, lief cr aus seine Frau zu und bcnnhm sich, als habe cr sic monatelang nicht' gesehen, und erkundigte sich besorgt nach ihrem Ergehen. Als cr sie jedoch umarmen und küssen wollte,' mehrte sie ihn etwas ungeduldig ab: „Aber — ich bitte dich. Benno!" dabei zuckten ihre Brauen, wie Steffani beobachtete. Jnnncr mehr Gäste kamen, darunter auch Blinskys. Frau v. Blinsty in himbeerrotem, tiefausgeschnittenem Kleid, umgeben von einer Wolke von Wohlgerüchcn. Für sic hatte Steffani als junges Mädchen geschwärmt, jetzt begriff sie nicht mehr, wie das möglich gewesen. Die „schöne Iolan" wurdc sie genannt aber sic war eigentlich immer mehr eigenartig als schön, gewesen, mit ihrem rassigpolnischen, bräunlichen Kesi bl. aus dem dunkle, fiebernde Auacn gleich sam um Liebe flehten. Ihr mattschwarzcs Haar umrahmte, scheinbar lässig geordnet, in dichten Locken eine niedrige Stirn und war so kunstvoll behandelt, daß es schien, als sei cs gar nicht mit äußerster Sorgfalt gemacht worden. Dio kleine, zierlich? temperamentvolle Polin, deren winzige, welche, bräunliche Händchen immer brennend beiß waren, hatte für viele Männer einen nnanssnrechlichen Reiz, und die Liebcsobc-,'teuer der schöne» Iolan boten für Dresden nie vcrsigende Gesprächsstoffe Aber sie war geschickt genug ge wesen, es nie bis zum Äußersten kommen zu lassen. Nie mand konnte etwas über die schöne Frau sagen, was ihrem Ruf ernstlich schädlich geworden wäre. . ...z. (Fortsetzung folgt.).