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zwei Fronten heißt es: Da« Argument eine« Krieges ge gen zwei Fronten sollte ganz außer dem Spiel bleiben. Rur einer Großmacht brauchen mir ebenbürtig zu sein. Di« Verhinderung der Koalition gegen uns und die Bil* düng de- Gegenbunde- ist Sache der Diplomatie; st« ist der deutschen Politik i» den letzten Jahrzehnten unter sehr schmierigen Stimmungen und Situationen gelungen, und früher dem schwächeren Preußen, sie hängt eben von rich tiger und geschickter Politik ab. Wenn man so stark sein Mill, daß man einen Krieg gegen zwei Mächte sichren kann, «e-halb nicht ebensogut gegen drei, da da- kleine Preußen im siebenjährigen Kriege gegen mehr als drei Mächte zu fechten hall«? Dabei steht die dritte feindliche Macht schon in den Thoren, nämlich die Socialdemokratie, welch« ihrerseits die beabsichtigte Neuerung principiell be kämpfen, aber nicht unglücklich darüber sein wird, wenn Ke dennoch angenommen würde, denn der unzweckmäßige Druck würoe dann dir Wirkung einer chronischen Krank heit auf unsere inneren Organe und unser wirthschaft- liche- Leben üben, und uns damit den Zielen der Svci- aldemvkratie näher bringen. Am Schlüße heißt es dann zusammensassend: Zweifellose Verstärkungen unserer Wehr- kriste werden auch wir rückhaltlos befürworten; aber die angekündigt« Vorlage halten wir für verfehlt, sür ein Pro dukt der raxs äss nowdres und sür eine Schädigung im Krieg und Frieden. Dir „Leipz. Reuest. Nachr." veröffentlichen einen Ar tikel de» Interview» von Bismarck. Der Fürst äußerte sich zunächst über den Rücktritt des Herrn von Schloezer, des Gesandten beim Vatikan und behauptete, daß man letzten« überhaupt kein« Gründe für seine unfreiwillige Entfernung von Rom, welche er selbst eine Maßregelung eine« der tüchtigsten und verdientesten Diplomaten Preu- - ßen» nennt, angegeben habe. Erst aus der in der „Münch. Allg. Ztg." veröffentlichten, höchst einfach geschäft lichen Anzeige Caprivis an Schlvezer habe dieser erfahren daß er in Rom überflüssig sei. Ueber Lothar Bucher sagte der Fürst, er habe in die sem viel verloren. Bucher sei sein treuer Freund, manch mal sein Zensor gewesen. Er fühle sich nun sehr verein samt nach dem Tode dieses Mannes. Allerdings habe Bucher unversöhnliche Gegner in der Bürokratie unserer Ministerien gehabt, und der Fürst erzählte einige hierauf bezügliche launige Beispiele. Zu den Aeußerungen des Fürsten Bismarck, daß der Krieg vor zwei bis drei Jahren keinesfalls ausbreche be merkt die „Nordd. Allg. Zig.": „Die Wirkung der Mili- tärvorlage liegt be.anntlich nicht in der Erhöhung der Friedenspräsenzziffer, sondern gelangt erst nach 15 bis 18 Jahren voll zur Geltung wenn jene Erhöhung «er Kriegsstärke um eine Million ausgebildeter Mannschaften vollzogen sein wird." Die „Kreuzztg." und der englische „Standard" richten an Fürst Bismarck die^Aufforderung, seinem Nachfolger Gelegenheit zu bieten, sich im Reichstage Mann gegen Mann mit ihm zu messen. Sie finden Bismarcks Ver- halten bedauerlich und pietätlos. Auch über Ostasrika eröffnete Fürst Bismarck dem Be richterstatter seine Ansichten. Ob Wißmann nicht doch beffrr am Platze sei, al» Soden bejahte der Fürst unbe dingt. Soden sei allerdings ein vortrefflicher Gouverneur von Kamerun gewesen mit den afrikanischen Verhältnissen aber offenbar ganz unbekannt. Wißmann habe die ge naueste Kenntnis und reichste Erfahrung ostasrikanischer Verhältnisse und habe zudem außerordentlich viel Kraft und Tapferkeit bewiesen. Bismarck habe Wißmann vor seiner Abreise zu den Buschirikämpsen nur eine Instruk tion gegeben, nämlich die, zu siegen, und diese Instruktion habe Wißmann glänzend durchgeführt, denn er sei mit ei ner völlig tadellosen weißen Weste aus Afrika zurückge kommen. Aus Bismarcks Verteidigung des Vorwurfs er habe 1875 ^Nachdruck verboten.) AerriLeton. Die Armen her Millionenstadt. Ein B.erUnser Roman aus der Gegenwart von M. Palfy. (Fortsetzung.) Ich erhebe Anklage gegen ihn wegen Ausruhr und LandfriedenSbruch und beantrage gegen ihn, als den Haupt- rädel-führer des Putsche« vom 25. Februar, da ich in seinem Verhalten nicht den geringsten Milderungsgrunb erblicke, die höchste, gesetzlich zulässige Strafe für öffentliche Gewaltthätigkeiten, nämlich 10 Jahre Zuchthaus!" — Eine schwüle Stille entstand un Saale nach den letzten, furchtbaren Worten des Staatsanwalts, der in seiner marki gen Größe, mit dem strengen ernsten bleichen Gesicht, den von unerschütterlicher Ueberzeugung sprechenden stahtbarten blauen Augrn wie di« Verkörperung der unerbittlichen Buchstabengerechtigkeil dastand. Dann langsam und immer stärker anschwellend, brach ein dumpf«», grollende» Murmeln au»; die Arbeiter in ihr« dunklen Kleidung, di« die Hinteren Reihen de» Saales füllten, streckten ihre harten, schwieligen Fäuste zum Him mel, durch ihr« starken Leiber ging ein Zucken, das Zucken der Empörung, de» Entsetzens und de» Mitleids. ^Arff der vordersten Bank saß die Familie Bittmann mit Der alte Bittmann taumelte wie vom Schlag« getroffen von der Bank empor, sein umflorter Blick suchte im An gesicht« de« Richter« einen Schimmer von Mitleid und Frankreich überfalle» wollen hebe« wir noch einige inte ressante Sätze herau«: „Frankreich fei im Frühjahr 1875 so schwach gewesen, daß bei Erheb«» de« Krieg-arschreie» die französischen General« nach amtliche» Versicherungen offen erklärten, st« würde« sich im Feld« garnicht schlagen um di« Frivolität de» deutschen Angriffe« darzuthun I — — Moltke und Ra dowitz hätten offen bei Tisch« erklärt, Deutschland würde Frankreich bekriegen. Fürst Gortscha- koff sei damal- noch nicht Bismarck« persönlicher Feind, wie nach dem Berliner Kongreffe, '.sondern nur sein bos hafter Neider gewesen, wei er ihm etwa» über den Kops gewachsen. Aber damals habe er schon versucht, Fürst Bismarck als Friedensstörer und sich selbst al» Friedens stifter hinzustellen. Bet seiner ersten Zusammenkuuft mit dem Czaren habe er sich über Gortschakoff« Benehmen be schwert, der genau wisse, daß Fürst Bismarck gar nicht an Krieg gedacht, und sich so ausspiele, al« danke Europa ihm allein die Erhaltung de« Frieden». „Aber Sir wis- sen ja, daß er närrisch vor Eitelkeit ist!" habe der Ezar ge ntwortct. Der „Krieg in Sicht'-Artikel der „Post", sei nicht von Bismarck angeregt worden, er habe ihn so fort desavouiert. Auch die ungeschickten und gröblichsten Noten, welche damals von Berlin abgingrn — keine ein zige dürste seine Unterschrift tragen —, würden mit Un recht auf seine Rechnung gesetzt. Er sei für deren Ver fasser nicht einmal als Chef verantwortlich, da da« be kannte StellvertretungSgrsrtz die Herren ziemlich selbstän dig gemacht." Politische Nachrichten. Derttschlimd. Berlin, den 16. November. — (Man hätte e» lieber nicht sagen sollen.) Zn ei nem längeren Artikel zu Gunsten der neuen Milüärvor- lage und einer Verjüngung der Armee behauptet da« „Militär-Wochenblatt", die Landwehr habe im letzten Kriege mangelhafte Widerstandsfähigkeit de« Körper» und Geistes beim Ertragen großer Strapazen gezeigt, weiter seien bei der Landwehr große Procentsätze an Kranken vorhanden gewesen, wobei «S hier und da an Simulan ten nicht gefehlt habe; endlich wird der Landwehr noch Mangel an Wagemuth beim Angriff und geringere Aus dauer in der Vertheidigung, Beides im Vergleich zu den Linientruppen vorgeworsen. Darauf antwortet die conser- vative „Kreuzztg." recht zutreffend: „Jedermann weiß, daß die Linie ein schärferes Kriegswerkzeug ist, als die nicht im Training stehende, von vielfach unzulänglichen Kräften geführte Landwehr; ebenso aber auch, daß die Landwehr trotz aller ihrer am System hängenden Män gel recht angesehene Thaten vollbracht hat, ja, daß diese gerade im Volksmunde und in der Legende eine Rolle jplUen, welche wie belebendes Feuer auf den Patriotismus der jüngeren Generationen wirkt. Wir auf eine Gene ration die Erzählungen der alten Landwehrlämpen der Befreiungskriege animirend wirkten, so thuen eS auch heute die Erzählungen der Alten au» den letzten Kriegen, und wahre Pflicht aller Vaterland-freunde ist eS daher, diese Männer bei gutem Muthe und in Lust und Liebe zu ih rem schweren Beruf zu halten und durch Ermunterung zu beleben." Frankreich. St. Denis hat einen sozialdemokratischen Bügerrmeister, dessen Sport es ist, die „Gewissensfreiheit" seiner Bürger zu schützen. Er hat deshalb den Geistlichen all« Konfes sionen verboten, die Leichen von der Kirche nach dem Friedhöfe zu begleiten. Während er am Donnerstag Schutzleute Wache vor der Kirche stehen ließ, um den Ortspfarrer bei etwaiger Uederschreitung des Verbots er greifen zu lassen, hielt er im Rathause wo er eine Trau- glitt dann verzweiflung-voll zu seinem Sohn« hinüber, der mit stieren, wirren Augen, da» Haupt vornübergebeugt, zusammengesunken vor sich hinsah. „Min Zunge, min Jungel" stöhnte der alte Arbeiter im schrecklichsten Seelenkampfe und streckt« dir zitternden Arme nach ihm aus. Ab-r der von der Wucht seiner Anklage und Verurtheilung Zerschmetterte hörte ihn nicht. Stumps, theilnahmloS und bewegungslos saß sein Körper, seine Seele weilt« fernab. Zehn Jahre lang sollte er da» Licht, di« Freiheit nicht sehen, zehn Jahre tätig gebrand« markt, ehrlos, au-gestoßen sein! Er begriff nichts, er fühlte nur einen stumpfen, wühlen den Schmerz im Gehirn, als ob er wahnsinnig sei. Gretchen, die sich mit leichenblassem Gesicht erhoben hatte, fiel mit zuckendem Munde, von Tübbrke sanft und mitleidig gehalten, wieder auf ihren Platz zurück und legte die erblichene Wange an die Schütter der weinenden Mutter, die bei den harten Worten de» Staatsanwalt» den Arm ausstreckte, al- wollt« sie eine» Schlag von sich abwehren. Aber während das Murmeln der Arbeiter hinten im Saale heftiger und drohender wurde, rang sich au» der Kepl« einer bleichen Frau ein Schrei los, der so entsetzlich klang, daß er selbst in der Brust der ernsten Richter «inen Schauder wachrief. Das junge, in Lumpen gekleidete Weib, deren dunkle» Haar in Strähnen um da- abgehärmte Antlitz hing, tämpstr verzweiflungsvoll gegen emen dichten Knäuel vop Menschenleibern an, der ihr den Durchgang verwehrte. „Laßt mich durch, rasch, rasch, um de« Himmel» Barm herzigkeit willen I Ich muß zu meinem Mann« l" Und als e» ihr genügen war, vorzudringen und au» de » Gedränge zu «kl ommen, eilte sie sch« r -enden Schritte» durch den Gcng an der Seite, un.krummert um de» Ge» ung vorzunehmen hatte, ein« Zeremonie sreigeistiger Art ad. Der Hochzeitssaal «ar mit Guirlanden geschmückt, et» Pianist spielt« zur Einleitung eine Polka, rin Teno rist sang de« Walzer au- „Romeo und Julia", einige Dilettanten trugen den „Kohlenmarkt", „Bäbü" und an- der« Pariser Tingeltangelstücke vor; zum Schluffe sang «in Ehor die „Triumph Ode an di« Republik/ Di« Re gierung läßt den Bürgermeister nach Belieben «alten. Die Sozialdemokratie hat ja bei ihr den Vorrang vor al len anderen Parteien. Der sozialdemokratische Agitator BaSly wurde dazu ausersehen, den Bergleuten von Lar maur di« Begnadigungsurkunde zu überbringen, und am Gebäude der Pariser ArdeitSbürse läßt man, seit einer Woche sch»» die rote Fahne der Kommune wehen. Die Einnahmen der Spielbank in Monaco betrugen im vergangenen Geschäftsjahre mehr als 23 Millionen Franken oder 1 Million mehr al« im Vorjahre. Davon bringt die Gesellschaft jährlich eine Million zur Rücklage, sodaß, wenn einmal die Spielbank geschloffen werden sollt« die Herren Teilnehmer doch ihr Schäfchen in« Trocken« gebracht haben. Nicht weniger als 800000 Franks spen det dir Gesellschaft einer gewissen Presse, um ihr Still schweigen zu verkaufen; der größte Teil dieser Summe geht in französische Hände, aber auch englische Blätter find da ran beteiligt. Keine kleine Summe wird zur Unterstü tzung derer verwendet, di« ihr Geld am Spieltisch ve.l0- ren. Einer dieser Unterstützten, der zwei Millionen ver lor, erhält zwei Lonisdor täglich. An diesen 28 Millio nen Einkünften der Gesellschaft klebt das Blut zahlreicher Selbstmörder. Rutzlaud. Die Deutschrnhetze dauert munter fort. Die neuesten Erlasse de- GeneralgouverneurS Grasen Zgnatie« in Kiew ordnen an, baß die deutschen Ansiedler seines Bezirke» nunmehr mit aller Entschiedenheit zum Unterhalt der rus sischen Volksschulen heranzuziehen seien. Die Abgaben sollen rücksichtslos beigelrieben werden. Die deutschen Städte in den Ostseeprovinzen werden nationalrujsische Theater erhalten, zu deren Errichtung gar kein Bedürfnis vorliegt, sür welch« sie aber zu den Kosten beisteuern müj- s«n. Da» 17. und 13. russische Armeekorps das augenblick lich in Nischnei-Nowgorsv und SmvlenSk steht, sowie die 40 Infanteriedivision in Saratow sollen nach Westen in die Bezirke Rjäsan und Tula vorgeschoben werden. Dann, wäre der Aufmarsch des russischen Heeres beendet, da Linien.ruppen dann östlich von Moskau nicht mehr zu finden sein werden. Allerdings liegt Moskau von der dentschen Grenze immer noch so weit entfernr, wie Stet tin von Pari». Aber immerhin ist uns das drohende Ge witter näher gerückt. Allein entlang der oslpreußischen Grenze stehen russische Truppen in der Stärke von 5 deutschen Armeekorps, wobei die in zweiter Linie in Riga, Düuaburg, Minsk und Warschau flehenden Divisionen, die Reserve- und FejtungStruppen, sowie die Grenzwache noch gar nicht berücksichtigt sind. Es ist durchaus unrich tig, wenn die Unterkunft der im Grenzgebiet stehenden Truppen als überaus kläglich bezeichnet wird; im Gegen- . teil, die Truppen liegen in den m den letzten Jahren er bauten riesigen Kasernen weit vejser, als im Innern Ruß land». Endlich wäre noch eines Punktes Erwähnung zu lhun, der beim Abwägen der beiderseitigen Truppenstärken, fast nie berücksichtigt und doch außerordentlich wichtig ist: nämlich der Friedensstärke der einzelnen Truppenteile. Diese hat in Polen in den letzten Jahre» andauernd zu genommen so daß die Infanterie sich schon beinahe aus. Kriegsstärke befindet und bei der fahrenden Artillerie sämt» ! liche Geschütze bespannt sind. Bei der Leichtigkeit mit der «die Russen unter Zuhilfenahme der Grenzwache ihr Ge- Iblet hermetisch abschließen können, sind sie wohl imstande .jene Truppenteile vollständig aus Kriegsfuß zu bringen,.. richtshof un» da- Publicum bis dicht zu dem Angeklagten hin, streckte ihm die Arme entgegen und jagte mit herz zerreißender Stimme: „Karl, Karl, hier bin ich, sei ruhig l" Dabei glitt über ihr oerwüfteteS Gesicht ein Lächeln, «in Schimmer jener Verklärung, wie es aus den Zügen' der Märtyrer erscheinen mochte, wenn der Blutstahl de» Verfolger» ihr Herz durchbort. Dieser Ton ter Liebe und des Jammers rief den be wußtlosen Angeklagten in die Wirklichkeit zurück. Ein Seufzer theiltr seine Lippen, er erhob da» Haupt un» blickte um sich. - Ueber sein blasse-, düstere- Gesicht, die Stirn in jtvei Hälften theitend, zog sich eine furchtbare, grellrothe Narbe,» das Zeichen jene, Säbelhiebes, mit dem ihm die Hüter der Ordnung »en Kopf zerspalten hallen, wie er in bitterem seelischen Zwiespalte dem Gebote der Ehre folgte und die Sache der Unterliegenden zu der seinigen gemacht. AkS er sein Weib so vor sich sah, vergehend, verhärmt, und doch mit dem Abglanz jener unendlichen Lieb« ik^ de» Augen, die nicht nach Elend und Schmerzen fragt da begann es in seinem leblosen Gesicht zu arbeiten, di« Muskeln seines starren Körpers zuckten, er erhob sich, stützte sich auf die Barriere und streckte ihr den Arm hin über. „Marie," sagte er, während seine Lipprk zitterten. - „Du lebst, Du bist gesund? Golt sei gelobt. Ich hab« fast den Verstand darüber verloren, daß ich Dich vor zwei Monaten verlassen mußte, und keine Nachricht wieder von Dir bekam. Sage mir, wo ist unser Kind, lebt e«, ist «» gesund?" „Dein Kind?" fragte sie und sah ihm mit geisterhaftem Lächeln in di« Augen, — „unser Kind — ist — wohl ausgehoaen."