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Die Beobachtung der Erdbeben-Erscheinungen und ihre Erklärung bilden eine eigene Wissen schaft, die Seismologie (von «tcpo«, Erdbeben), welche erst in den letzten Jahren den Rang einer exacten Disziplin eingenommen hat. Einer ihrer wichtigsten Zwecke ist die Erforschung der Natur des Innern unseres Planeten und der Reaktionen zwischen dem Innern und seiner Rinde, wie sie sich in den vulkanischen Vorgängen an die'Oberfläche dar stellen. Wenn irgend einStoss oder Druck plötzlich ausgeübt, oder die Stärke eines schon früher vorhandenen gleichförmigen oder gelängen Schwankungen unterworfenen Druckes plötzlich vermehrt oder vermindert wird, mag das bei festen, flüssigen oder gasförmigen und mehr oder weniger elastischen Substanzen statt finden : so entsteht eine Schwingung oder Wellenbewegung, welche sich von dem Stossmittelp unkte aus nach allen Richtungen fortpflanzt, soweit es die Grenzen der erschütterten Materie erlauben. Die Fort pflanzung einer solchen elastischen WeIle ist nichts anderes als das ununterbrochene Vorwärtsschreiten eines Wechsels in der gegenseitigen Lage aller Moleküle oder Theilchen von einem bestimmten. Volumen, welche Fortbewegung allmählig die ganze Masse des erschütterten Mittels ergreift Die gewöhnlichen Töne sind Wellen dieser Art in der Luft. Die Erschütterung des Bodens, welche man in der Nähe eines vorüberbrausenden Eisenbahnzuges fühlt, ist ein Beispiel solcher Wellen in festem Boden oder Gestein. Ein Schall, welchen man unter dem Wasser hört, oder ein Stoss, welchen man in einem Boot empfindet, wenn in der Nähe eine Mine unter Wasser explodirt, sind Beispiele elastischer Wellen in einem flüssigen Mittel. Die Geschwindigkeit, mit welcher eine solche Welle fortschreitet, ist verschieden nach der Verschie denheit des Mittels und hängt vorzüglich von dem Grade der Elasticität und der Dichte ab. Dieser Zeitraum des Durchganges (transit period) ist constant für dasselbe gleichartige Mittel und unabhängig von der Grösse oder Art des ursprünglichen Impulses ; in der Luft beträgt die Geschwindigkeit z. B. (in runder Zahl) 333 Meter, im Wasser über 1400, und im Eisen wahrscheinlich ungefähr 3500 Meter in der Sekunde. In krystalinischen oder halbkrystalinischeii Körpern, z. B. dünnschiefrigem oder anderem Gestein, scheint die Durchgangsperiode nach drei verschiedenen Richtungen anders zu sein. Eine sehr grosse Verzögerung dieser Periode findet bei festen Körpern statt, deren Masse zerbrochen oder von Rissen durchzogen ist, selbst wenn dieselben dem freien Auge völlig unsichtbar sind. Nehmen wir an, es stünde Jemand auf einer Eisenbahnlinie in der Nähe des Geleises, und es würde ein schwerer Schlag auf die Schienen in der Entfernung von einigen hundert Fuss ausgeführt; so würde der Beobachter fast augenblicklich die Welle durch die Eisenschienen vernehmen — gleich darauf würde er eine andere Welle durch den Boden, auf welchem ersteht, fühlen, und zuletzt würde er wieder eine andere Welle durch die Luft hören. Befände sich ein tiefer Wassergraben an der Seite der Bahn, so würde eine im Wasser untergetauchte Person eine Tonwelle durch dasselbe hören, deren Durchgangszeit wieder verschieden von jener aller übrigen wäre. Und doch giengen alle diese Wellen von demselben Punkt im selben Augen blicke aus. Die Grösse einer solchen Welle d. i. das Volumen der gleichzeitig in Bewegung befindlichen Theil chen des Mittels, hängt ab von der Elasticitäts-Grenze der gegebenen Substanz und von der Grösse oder Gewalt des ursprünglichen Anstosses. Unter Elasticitäts-Grenze bei festen Körpern ist die Ausdehnung zu verstehen, bis zu welcher die Theilchen sich aus ihrer gegenseitigen Stellung entfernen können, ohne