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Der Wald ist schön zu jeder Jahreszeit; sei es im Sommer, wenn wir seinen kühlen Schatten suchen, sei es im Herbst, wenn dieLaub- bäume noch einmal in einem Farbenrausch von Purpurrot und Braunviolett, von Ocker, Gold und Gelb ihre letzte Pracht ent falten, oder im Winter, wenn die Silhouetten der Äste und des zierlichen Gezweiges sich gegen den lichtblauen Himmel ab zeichnen und der leuchtend weiße Schnee den Waldbodrn wie eine weiche Daunendecke verhüllt. Aber am schönsten ist er wohl im zeitigen Frühjahr, wenn Ende Februar oder Anfang März eine Reihe sonniger Tage einkehrt und die ersten Frühlings boten erwachen. Noch weht ein kalter, scharfer Wind über die hügeligen Felder, doch an den geschützten Südhängen des Buchenlaubwaldes hat die Sonne schon wärmende Kraft. Die angewärmte Lust, die vom Waldboden aufsteigt, trägt uns einen mandelsüßen, betäubenden Dust entgegen. Der Kundige weiß sofort, daß der Seidelbast blüht, der früheste unter allen Sträu chern und zugleich eine der schönsten und giftigsten Pflanzen Mitteleuropas. Der Seidelbast (Oäxüns MsLersrun) ist ein kleiner, aufrechter Strauch, nicht größer als fls-1,20m, aus der Familie der Seidelbastgewächse (IN^mslseircssn), ein typischer Buchenbegleiter, der als einziger Strauch noch ins dämmerig-schattige Dunkel des Buchenhoch waldes eindringt. Wenn er auch ein Schattengewächs ist, so finden wir ihn doch am häufigsten auf den Sonnenseiten der Bergwälder mit lichterem Baumbestand, wo auch andere Sträu cher ihr Auskommen haben. Her'cieZöaLt (OcL/i/rne ^e2e>eu/7r) I. I'QMr/re.- Die rosaroten Blüten, die sich schon von weitem durch ihren starken Dust verraten, stehen meist zu dritt in den Achseln der vorjährigen, im Herbst abgefallenen Laubblätter unterhalb einer Gipfelknospe, die sich nach dem Abblühen zu einem langen Laubtrieb entwickelt. Was wir als Blüten ansehen, ist in Wirk lichkeit der blumig gefärbte Kelch mit dem ausgehöhlten Blüten stiel, in dem die acht gelben Staubgefäße in zwei Reihen über einander sitzen. Am Grunde dieses „Achsenbechers" befindet sich inmitten einer ringförmigen Honigdrüse der Fruchtknoten. Der fliederähnliche Dust lockt die aus langem Winterschlaf erwachten Hummeln und Einzelbienen (das sind einzeln lebende Bienen arten: wie Pelzbiene, Mauerbiene, Mörtelbiene, also keine staatenbildenden wie die Honigbiene), ferner überwinterte Schmetterlinge, hauptsächlich Füchse und Zitronenfalter, an, die auf der Suche nach dem süßen Honig die Bestäubung vermitteln. Es ist aber sicher, daß auch Selbstbefruchtung eintritt, wenn die Besucher ausbleiben. Die lanzettlichen, 5-8 am langen, an den Zweigenden zusammengedrängten Blätter entfalten sich erst nach der Blütezeit. Die giftigen, erbsengroßen, scharlachroten fleischigen Früchte, die einen schwarzen Steinkern umschließen, reifen im Juni bis"Juli und werden von Drosseln, Hänflingen und Bachstelzen mit Vor liebe verspeist. Merkwürdigerweise hat das Gift auf die Vögel keine Wirkung. Die Steinkerne werden wieder ausgespien und auf diese Weise ausgestreut. Die Verbreitung desSeidel- basts ist daher an das Wohngebiet der obengenannten Vögel gebunden. Der Seidelbast geht im Norden weit über die Buchenwaldzone hinaus, und im Hochgebirge steigt er sogar über die Baumgrenze bis zu 2O00 m Höhe. Der Name Seidelbast, Zeidelbast oder Zeiland ist auf den germanischen Gott „Ziu" zurückzuführen, dem die Pflanze ge weiht war. Die alten Germanen nannten den Strauch LioHntL, in Oberösterreich heißt er noch heute Zwilinde, in der Schweiz Zilande. Die Erklärung, daß der Name Zeidelbast mit der Zeidlerei --- Bienenzucht in Beziehung stehe, ist wohl irrig, da die Hauptblütezeit der Pflanze meist abgeschlossen ist, wenn die Honigbienen ausfliegen. In Süddeutschland ist noch der Name Kellerhals, im alemannischen Schweizerdeutsch „Lhellerhals" geläufig; er kommt von dem Althochdeutschen ottsUsn -- quälen, plagen. Die getrockneten Früchte, die früher in der Volksmedizin als 8smsn LoooAntäii gegen Halsschmerzen angewendet wur den, erzeugen im Rachen und auf der Zunge ein stark brennendes, würgendes, also quälendes Gefühl. Die Pflanze ist in allen Teilen stark giftig. Die gelbgraue Rinde bzw. der Bast enthält das dem Gift der Beeren verwandte Oaxluttn, das, auf die Haut gebracht, Blasen zieht. Empfindlichen Personen ist daher die Berührung mit dem Seidelbast nicht zu empfehlen. Da die Pflanze unter Naturschutz steht, ist das Abpflücken von Zweigen ohnehin verboten. Wenig später, im März oder Anfang April, blüht an den trockenen Standorten am Rande des Buchenwaldes mit leuch tend gelben Blütendolden die Kornelkirsche oder Judenkirsche (Lörnus mss), auch Echter Hartriegel, Dürrlitze oder Herlitze genannt. Sie ist häufig in Gärten und Anlagen angepslanzt und bildet dort kleine Bäume von 3-6 m Höhe. In Mittel- und Süddeutschland wächst sie wild, aber meist in Strauchform. Sie liebt die trockenen Hügel und sonnigen Kalkberge. 2n Thüringen, an der Mosel und in allen deutschen Gauen südlich dieser Gegenden ist sie ziemlich häufig anzutreffen.