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Wohin der Mensch auch wanderte im Laufe der Jahrtausende^ überall folgten ihm die Unkräuter auf dem Fuße. Mit den Kulturpflanzen, die er in eine neue Heimat mitführte, säte er unbeabsichtigt auch die Unkrautsamen aus, heute noch wie in grauer Vorzeit. Die Völkerwanderung und die Kreuzzüge, die Einfälle der Mongolen und Türken, wie auch die späteren Feld züge, z. B. die Befreiungskriege, die die Kosaken und andere russisch-asiatische Völkerschaften bis vor die Tore von Paris führten, haben zweifellos dazu beigetragen, daß unzählige Un kräuter aus dem Orient und dem Inneren Astens nach Mittel europa eingeschleppt wurden. Auch die weitreichenden Handels beziehungen, die bereits in frühgeschichtlicher Zeit zwischen den Völkern Asiens, Afrikas und Europas bestanden, müssen für die Verschleppung von Unkrautsamen verantwortlich gemacht werden. Wir müssen auch berücksichtigen, daß die auf Wind verbreitung eingestellten Pflanzen selbständig Wanderungen unternehmen, in erster Linie die Korbblütler (Lomposiwn). Indem sie ihre Samen den Herbst- und Winterstürmen anver trauen, sind vor allem die Pflanzen Asiens weit nach Europa vorgetragen worden. Mindestens trifft dies für Ostdeutschland zu, wo vom Spätsommer bis zum kommenden Frühjahr Ost winde, wenigstens zeitweise, vorherrschen, während West- und Süddeutschland mehr denWestwinden und föhnigen Südwinden unterliegen und die Abgesandten der sogenannten atlantischen und der mittelländischen Flora erhalten. Wie Deutschland ver kehrspolitisch das Herz Europas ist, so stoßen bei uns auch vier große Florenreiche zusammen: die baltische Flora vom Nord osten, die pontische Flora vom Südosten, die atlantische Flora vom Westen und die mittelländische vom Süden und Südwesten. Aber es ist unmöglich zu bestimmen, wann diese Pflanzen bei uns Eingang gefunden haben. Erst seit der Entdeckung Ame rikas und dem darauffolgenden Weltverkehr und Güteraus tausch zwischen den Kontinenten, wodurch die Einschleppung nicht europäischer Unkräuter außerordentlich begünstigt wurde, besitzen wir eine genauere Kenntnis der pflanzlichen Einwanderer. Mit jedem Schiff aus Ubersee gelangt mit den pflanzlichen und tierischen Gütern, mit Getreide und Wolle und anderen Pro dukten des Welthandels eine Unzahl fremder Samen aus aller Welt in unsere Hafenstädte. Mit Wagen, mit Eisenbahn und Flußschiffen werden diese Güter weiter ins Innere des Landes gebracht und mit ihnen auch die fremden Unkrautsamen. Soweit Klima und Bodenbeschaffenheit einigermaßen zusagen, kommt wenigstens ein Teil der eingeschleppten Samen zur Keimung und Entwicklung. Daher sind die Umgebung der Hafen- und Stapelplätze, der Verkehrsknotenpunkte, der Lisenbahndämme, der Getreidemühlen und Wollspinnereien und anderer Fabri kationsstätten überseeischer Güter die Sammelplätze dieser Ad ventiv- oder Ballastslora, wie man die mit dem Schiffsballast eingeschleppten Pflanzen bezeichnet. Andrerseits haben unsere europäischen Unkräuter und Schutt pflanzen ebenfalls in allen Teilen der Welt Eingang gefunden. Sie wachsen und gedeihen unter der Glut der Tropensonne ebenso gut wie im Winter der Polarzone. Ob in Buenos Aires oder in Melbourne, ob in Reykjavik oder in Tsingtau, überall finden wir um die Städte und Siedlungen, auf den Ackern und in den Gärten die gleichen Unkräuter wie bei uns. Seit der Kolonisierung Nordamerikas um die Mitte des 17. Jahr hunderts haben sich dort weit über 250 europäische Pflanzen eingebürgert. „Wer aus Europa kommend", schildert der ame rikanische Botaniker Asa Gray, „das atlantische Ufer von Nord amerika betritt, findet die Flora auf den ersten Blick kaum ver schieden von der altheimischen; dieselben Kulturgewächse auf den Feldem, dieselben Bäume in den Gärten und Parken, dasselbe Wollkraut, Schafgarbe, Spitzwegerich, Klee an jedem Rain - ganz so wie in Europa. Doch alle diese Arten sind aus Europa eingewandert; wo immer in Amerika eine neue Siedlung an gelegt wird, siedeln sich auch europäische Pflanzen mit an, und sie reisen mit der Eisenbahn nach dem Fernen Westen." Den naturverbundenen Indianern fiel die Invasion europäischer Un kräuter sofort auf, und in ihrer bildhaften Vorstellung meinten sie, daß der Wegerich aus den Fußstapfen des weißen Mannes hervorwüchse, da sie beobachteten, wie die Pflanze den Europäer auf Schritt und Tritt begleitete. In den Südstaaten der Union, besonders in Virginien, bedeckt unser Gemeiner Natterkopf große, ausgedehnte Flächen, die zur Blütezeit einem azurblauen Meer gleichen; und unser Leinkraut (Häris viüZäriZ) hat sich in den nordamerikanischen Wäldern und Prärien zu einer un ausrottbaren Unkrautplage entwickelt. Der Gemeine Natterkopf Geüiiiu vulgäre), auch Stolzer Heinrich genannt, wächst bei uns überall an wüsten,steinigenOrten,anW egründ ern undBahn- dämmen in kleinen, stachligen, grünblauen Horsten als lästiges zweijähriges Unkraut, an dem eigentlich nur der Imker Freude hat, da die Pflanze eine gute Bienenweide ist. Vielleicht hat auch gerade diese Anpassung an die Honigbiene zu ihrer großen Verbreitung in Nordamerika beigetragen. Denn unsere Biene, die aus Europa eingeschleppt wurde, hat sich in Amerika selb ständig gemacht und sich dort in den Wäldern eingebürgert. Der 6emeine?- t'Vrm/üe ZZüterert.' ör'z Fe/Itelzröe?-