Volltext Seite (XML)
gungslos, beide Hände gegen die Stirn gepreßt. Eine tiefe Ver zweiflung kam über den alten Mann, ein ehrlicher, tiefempfundener Schmerz, eine Hilflosigkeit wie sie ihm ganz fremd war. Erst das Schlagen der Schwarzwälder Uhr riß ihn aus feiner Ver sunkenheit. Fast seine ärztlichen Pflichten, feine Patienten hätte er versäumt — er griff nach Hut und Stock und stürmte aus dem Hause. Die Wohnung Hellfrieds lag ihm auf dem Weg; er klingelte und die Wirtin öffnete, teilte ihm aber auf seine Frage mit, Herr Hellfried fei ausgegangen. Dxr Sanitätsrat überlegte ein paar Augenblicke, es war ihm fast lieb, daß er Hellfried nicht antraf, er wollte erst mit sich zur Ruhe kommen. „Sagen Sie Herrn Hellfried, ich ließe ihn bitten, heuta nach mittag zwischen vier und fünf Uhr bei mir vorzufprechen", be stellte er der Wirtin und ging fort. Hellfried saß zur selben Stunde im Hinterstübchen „Zum mutigen Ritter" und trank eine Flasche Rheinwein, um aus dem goldigen Naß Begeisterung für die Komposition eines Liebes liedes zu gewinnen, das er Hermine widmen wollte. Das Mittagessen zwischen Vater und Tochter verlief an diesem Tage sehr schweigsam; beide waren von einer innerlichen Un ruhe erfüllt, die sie nur schlecht voreinander verbergen konnten. Die Nachmittagsruhe war dem Sanitätsrat auch gründlich ge- Zwei Schwestern. Erzählung von B. von der Lancken. (Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) underte von Künstlern haben ihre Zukunft auf ihre Liebe und ihr Talent aufgcbaut", beharrte Hermine. - „Jawohl, jawohl, aufgebaut — aufgebaut. Was heißt aufbauen? Sie sind elend zugrunde gegangen; — das ist auch Hunderten von Malern das Ende mttelte mit einer sanften, aber energischen Be- »öne, blonde Haupt. stört, was seine Stimmung nicht gerade besserte. Zwischen vier und fünf Uhr wurde Hellfried gemeldet. „Lieber Oskar," so uannte Roderich den Maler in Anbetracht derJugendfreundschafl mit seinem Vater, „lieber Oskar, Sie wer den sich vielleicht denken, weshalb ich Sie um Ihren Besuch und diese Unterredung gebeten habe." „Doch nicht, Herr. Sanitätsrat, nein", antwortete Hellfried unbefangen. „So, hm! Nun — meine Tochter hat mir heute morgen gesagt, daß zwischen Ihnen und ihr so etwas besteht — so etwas. — Na, ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll - " „Ah, ich verstehe," fiel der Maler lebhas! ein, „Hermine hat Ihnen von unserer Liebe zueinander gesprochen. Ja, Herr Sanitäts rat, wir lieben uns, tief und innig, und ich habe keinen größeren Wunsch, als Hermine mein Weib zu nennen." „Daraus kann niemals etwas werden!" rief der Sanitätsrat schroff. „Aber bester, Verehrtester Herr Sanitäts rat", Hellfried war bleich geworden und seine Stimme zitterte. „Nein, nein, niemals; was können Sie denn einer Frau biete»? Nehmen Sie's nicht übel, wenn ich sehr offen bin, aber es ist doch Tatsache und Herminens Vermögen ist nicht bedeutend genug, um damit rechne» zu können." „Habe ich nicht mein Talent? Beweste ich mich nicht als Künstler in aufsteigender Linie, bin ich nicht fleißig und schafsensfreudig?" „Das gebe ich alles zu, aber das genügt doch nicht, um darauf hin einen Haushalt zu gründen. Die Sache ist unsicher, nein, es geht nicht, geht absolut nicht und ich muß Ihnen sagen, daß es eigentlich unverantwortlich von Ihnen gehandelt ist, einem jungen Mädchen daraufhin von Liebe und einer gemeinsamen Zukunft zu sprechen. — Ich habe Ihnen vertrauensvoll mein Haus ge öffnet, Sie durften dies Vertrauen nicht täuschen." gewesen und dazu gebe ich meine Tochter nicht her." Hermine schüttelte mit einer sanften, aber energischen Be wegung das schöne, blonde Haupt. „Es wird oir alles nichts nützen, lieber Vater; wir wissen, was wir aneinander haben und sind gesonnen, fest zusammen zu stehen." Der Sanitätsrat raufte sich die Haare und lief im Zimmer hin und her. „Aber das ist ja Heller Wahnsinn, Kind! Siehst du denn nicht ein, daß es Wahnsinn ist?" „Nein." „Ja, wie denkst du dir denn das eigentlich? Wovon wollt ihr denn einen Hausstand gründen? Wovon leben, he?!" Er blieb vor seiner Tochtsv stehen, die Hände unter den Rock schößen auf den Rücken gelegt, und sah sie mit zomig erregten Blicken an. Hermine schwieg. „Nun? antworte mir, ich bitte darum." „Ich habe doch ein Erbteil von der Mutter her." Roderich lachte zornig auf. „Erbteil von der Mutter her, — freilich, das hast du, es sind fünfundzwanAigtausend Mark; ich kann und werde es dir nicht vorenthalten. Aber überlege doch nur, was bedeuten fünf undzwanzigtausend Mark heutzutage, wenn du deine Aussteuer beschaffen und noch von den Zinsen leben willst! Das gibt's doch gar nicht." „Und du, würdest d.u nichts für mich tun?" ihre Stimme zitterte. „In diesem Fall — nein — rundweg 'nein. Sonst, ja! Ich würde dir den Rest des Vermögens, der auf mich gekommen ist, für jede von euch macht's fünfzehntauseud Mark, dazu geben. Unter diesen Umständen würde ich's für unverzeihlichen Leichtsinn halten." „Dann", Hermine richtete sich stolz auf, „dann müssen wir uns auf uns selbst verlassen." „Ihr sollt euch aber nicht auf euch selbst verlassen, ihr sollt den verrückten Gedanken Atteste «atro,, der deutsch,» Mart»-, an eme Heirat aufgeben. Ich werde mit (murero Hellfried sprechen." „Es wird dir nichts nützen, Vater; ich sagte es dir schon, wir sind eins in unserer Liebe; sie ist uns etwas Großes und Heiliges." „Eine Tollheit, ein Hirngespinst ist sie. Hellfried muß das ein sehen. Bitte, kein Wort weiter", er streckte die Hand gegen sie aus, als sie etwas sagen wollte. „Ich werde mit Hellfried reden." „Und ich lasse mcht von ihm, niemals!" rief Hermine mit glühenden Wangen und flammenden Augen, „ich werde sein, wenn nicht mit dann ohne deinen Willen. Ich bin majorenn und bedarf nach dem Gesetze deiner Einwilligung nicht mehr." Hermine verließ das Zimmer und der Sanitätsrat stand re-