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Ler »riegvhafen von Lover, einer de» HanptftAtztzmtttt der englischen Kiotte. (Mit Text.) „Ah, da sind Sie ja, Fräulein Dagmar! Bor einer halben Stunde schon hatte ich den Kakao gebrüht. Lina meinte, Ihnen sei nicht wohl, weil Sie keinen Appetit hatten." Etwas besorgt blickte die rundliche Pfarrerin in das Gesicht ihres jungen Gastes. „Dann hat Lina eben falsch gemeint, mir ist ganz Wohl!" lächelte Dagmar liebenswürdig. Trotz ihrer Launen und An- spräche hatte sie sich doch die Herzen der Pfarrersleute gewonnen. Wenn sie wollte, konnte sie unwiderstehlich sein. „Na, das ist ja gut! Da fällt mir ein Stein vom Herzen! — Gehen Sie nur immer in den Garten; mein Mann sitzt schon dort in der Laube bei seinem Kaffee. Bis jetzt hat er auf Sie gewartet — Sie wissen doch, ohne Sie schmeckt es ihm gar nicht mehr! — Ach ja, der Briefträger hat auch außer der Zeitung noch etwas für Sie gebracht! — Ich komme gleich nach, will nur schnell frischen Kakao für Sie aufbrühen." Und wichtig trippelte die freundliche Frau da von. Dagmar schlenderte über den Hof nach dem ziemlich großen Garten, der in seiner Anlage ein wahres Kunstwerk zu nennen war. Jeder Platz war ansgenutzt, und das Gemüse und das Obst aus dem Pfarr garten waren berühmt. Als der Pfarrer sei nen jungen Gast kom men sah, legte er die Zeitung aus der Hand und erhob sich. Mit herz lichen Worten begrüßte er Dagmar, die in dem bequemen Korbstuhl Platz nahm, der vor ihrem Gedeck stand. Die Sonnenstrahlen drängten sich durch das üppige Blattwerk des wilden Weins und leuch teten in grüngoldigem Schimmer auf den mit einem blütenweißen Tuch gedeckten Tisch, in dessen Mitte sich ein großer Rosenstrauß ne ben frischgebackenen goldgelben Waffeln be fand. Es war so einladend, so traulich, daß Dagmar wider Willen davon ein genommen wurde. Sie wechselte einige liebenswürdige Worte mit dem Pfarrer, und zriff dann nach den für ie gekommenen Post- achen. Es waren meh rere Ansichtskarten und Briefe von Freundinnen und Bekannten, die be ¬ geistert von ihrem Amüsement aus verschiedenen Modebädern schrieben und sie ein wenig mit ihrer diesjährigen Sommerfrische neckten, in der es sicher bedenklich nach Kuhstall röche und so weiter. Vor Dagmars geistiges Auge trat die ganze lebensfrohe Ge sellschaft, die ihr im Grunde eigentlich herzlich gleichgültig war — und ohne die sie doch nicht leben konnte. „Nun, Fräulein Dagmar, haben Sie gute Nachrichten er halten?" fragte Pfarrer Wagner, „haben die Eltern anch ge schrieben? Sie erwarteten doch schon gestern einen Brief —'' »Ja, Herr Pfarrer, man hat große Sehnsucht nach mir" — sie spielte mit dem silbernen Kaffeelöffel und ließ ihn auf ihrem Zeigefinger balanzieren —, „ich muß deshalb an die Heimreise denken." „O nein, Fräulein Dagmar! Das liegt doch noch in weitem Felde! Von den ausgemachten acht Wochen sind ja kaum fünf verstrichen!" „Wenn auch, Herr Pfarrer! Ich habe Sehnsucht nach meinen Elrern bekommen; Mama schreibt eben, daß sie nächste Woche schon nach Ostende reisen. Papa bleibt nur wenige, Tage dort, well er nach England will. Da ich ihn nun vor Antritt seiner Reise gern noch sehen möchte, muß ich doch wohl daran denken, über morgen zu fahren — so leid es mir tut, von hier fortzugehen." Ein lebhaftes Bedauern zeigte sich auf dem gütigen und sympathischen Gesicht des Pfarrers. „Ach, Fräulein Dagmar, das kann doch Ihr Ernst nicht sein! — Hör mal, Mütterchen," rief er seiner eben ankommenden Gattm entgegen, die auf einem Tablett das übliche Nachmittags getränk Dagmars vor sich hertrug, „hör mal, Mütterchen, Fräulein Dagmar wrll uns übermorgen schon verlassen." „Ach nein!" förmlich erschrocken setzte die Angeredete das Tablett nieder, „wie kommt denn das so plötzlich?" »Ich sagte schon zum Herrn Pfarrer, daß ich die Eltern gern sehen möchte, ehe sie ihre Reise antreten, auch sie haben Sehnsucht nach mir. Überdies kann ich doch Ihre Gastfreundschaft nicht noch länger in An spruch nehmen." „Ach, es gefällt Ihnen nicht mehr bei uns!" klagte die Pfarrerin. Begütigend faßte Dagmarnach ihrerHand. „Im Gegenteil, zu gut! Ich fürchte sogar, wenn ich noch länger bleibe, werde ich so dick sein, daß man mich kaum wieder erkennen wird. Mir passen meine Kleider gar nicht mehr — es ist beängstigend, Sie mästen mich ja förm lich, und leider schmeckt es mir auch so gut — viel besser als selbst zu Hause/' „Freuen Sie sich da rüber! Immer tüchtig essen und trinken, das hält Leib und Seele zusammen!" Mit stol zem Blick, der deutlich ihre Genugtuung ver riet, blickte Frau Pfar rer Wagner auf das vor ihr sitzende Mädchen: „Wie wohl Sie aus eben ! Gott behüte Sie! Wenn ich daran denke, wie blaß und spitz Sie waren. als Sie herkamen — und jetzt — wie das Leben selbst, wie Schnee wittchen, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut, so schwarz wie Eben holz —" „Und das hab' ich Ih ¬ nen zu verdanken, liebe Frau Pfarrer!" entgegnete Dagmar herz lich, „die Eltern werden sehr überrascht sein, wenn sie mich sehen." „Von Abreisen wird jetzt nicht mehr gesprochen, wenn Sie mich nicht ernstlich böse machen wollen!" erklärte Frau Wagner in bestimmtem Tone, „trinken Sie erst mal ihren Kakao und machen dann Ihren Spaziergang!" Sie goß das würzige Getränk in Dagmars Tasse und reichte dem jungen Mädchen den Zucker und die frischen Kuchen. Dagmar ließ es ruhig zu, daß die Pfarrerin sie bediente. Es schmeckte ihr sehr gut. Der Kakao war mit Ei abgequirlt und die Waffeln waren heut besonders gut geraten. Doch trotz allen Zuredens beharrte Dagmar auf ihrem Vor satz, abzureisen. Die Langeweile war zu drückend geworden, um so mehr, da sie sich gar nicht beschäftigte. Und nur auf die beiden ältlichen Leute angewiesen zu sein, ging ihr allmählich auf die Nerven. Gekränkt und traurig sah die Pfarrerin Dagmar nach, als