Volltext Seite (XML)
-W'»- ' -,»«-,^'1. —-«ü»—-- gr't es ging. An solchen trüben Tagen pochten die Sorge und die Sehn sucht immer ganz besonders laut an des liebenden Mädchens Herzenstür. Sie wußte gar oft nicht mehr, wie sie sich ihrer er wehren sollte. In trübster Stimmung sah sie denn heute, an einem naßkalten Dezembertage, dem großen Souper entgegen, an dem sie in einem der Nachbarhäuser teilnehmen sollte. Am liebsten wäre sie zu Hause geblieben; doch sie konnte das un möglich, da sie sich bereits ein paarmal ohne triftigen Grund gedrückt, hatte. Paulsens mochten offenbar gern mit ihrer auf fallend schönen Gouvernante ein wenig Staat machen. Darum boten sie immer alle nur möglichen Überredungskünste auf und nähmen es übel, wenn das Hauptmannstöchterl-.in nicht mit- Westend, den Stadtteil der Aristokratie. Dort bot sich ihren staunenden Augen ein angenehmeres Bild, und sie atmete er leichtert auf. Herrliche grüne Plätze, wundervolle Parkanlagen, spielende Kinderscharen, Menschen, die sich in ruhigem Genießen der schönen Welt freuten, erblickte sie, und vor einem palast ähnlichen Gebäude mit prachtvollem, blumenreichem Vorgarten hielt die Droschke. Hier wohnten Paulsens, ihre Landsleute, zu denen sie fortan als ein Glied der Familie zählen sollte, wie ihr geschrieben worden war. Vier blondköpfige, blauäugige kleine Mädel standen in stummer Erwartung an der Terrasse neben einer mächtigen Agave, reichten ihr zutraulich die Händchen und benachrichtigten dann sofort die Eltern. Lili lernte diese wenige Minuten später als prächtige Leute kennen und wußte in der ersten Minute, daß sie gut aufgehoben war. Ein Diener in grüner Livree nahm ihr Gepäck in Empfang, man begleitete sie in ein freundliches, nach dem Garten zu ge legenes Zimmer, gönnte ihr gern ein paar Stunden der Ruhe nach der anstrengenden Fahrt und freute sich offensichtlich, sie heil und gesund da zu haben. Ja, in diesem Haus» sollte Lili es gut haben. Sie wurde mit der vornehmen Welt bekannt, durfte Paulsens ins Theater, iwdie Oper, zu Konzerten und sonstigen Vergnügungen begleiten, fuhr täglich mit ihren kleinen Schutzbefohlenen in hochfeiner Kutsche spazieren und lernte bald alle Sehenswürdigkeiten der Riesenhauptstadt kennen. Der Unterricht der hoch- begabten, wohlerzogenen Kinder machte ihr zu dem große Freude, und sie durfte den Eltern freudig berichten, es fehle ihr an nichts. Ach, wenn der eine große Kummer nicht gewesen wäre, dieses nagende Weh der Unge wißheit über des Geliebten Schicksal! Schon oft hatte sie Paulsens gegenüber seiner Erwähnung getan, so daß diese wohl ahnten, wie sie zu dem unglücklichen jungen Offizier stand, doch einen Leutnant seines Namens gab es offenbar nicht in der großen englischen Armee. Ein alter, sehr liebenswürdiger Lord, der häufig im Hause verkehrte und den sie ins Vertrauen gezogen, konnte in den Listen wenigstens keinen solchen l auffinden. So verging denn der Herbst, und Weihnach ten stand vor der Tür. Dichte Nebel lagerten vom Morgen bis zum Abend über der Themfe- ftadt, und die Spazierfahrten in den Hydepark und nach sonstigen gern besuchten Plätzen wur- den für Lili und die vier kleinen Mädel wegen Ziel ihrer Reise er- ^eh. Lberpoftrat «eorg Lomizlafs, der ungemütlichen Witterung immer seltener, af einmal mitten im Lb-rp°stdirettor in Leipzig. Ph°i. P-Mcid. Man mußte sich drinnen die Zeit vertreiben, so Der falsche Freiherr. Roman von Lndwig Blümcke. ce»lu».) AA8sine Stunde später hielt ein Krankenwagen vor der Villa und ein Sanitätssergeant mit zwei Sanitätssoldaten sorgte für die Überführung des Verwundeten nach dem MWH Garnisonslazarett. Dort legte der falsche Baron schon in den ersten Morgenstunden, da er seinen Tod nahe wähnte, ein umfassendes Geständnis ab, berichtete auch über den Vorgang auf der Bärenschanze völlig übereinstimmend mit dem, was Achim v. Nordendahl ausgesagt, und verheimlichte seinen wahren Namen, seine Herkunft ebenfalls nicht länger. Er hieß in Wirklichkeit Justus Schäffer, war der Sohn eines vor meh reren Jahren verstorbenen höheren österreichischen Offiziers, hatte als Schiffsingenieur aller Herren Länder kennen gelernt und an fänglich nebenbei, nachher ausschließlich durch Spionage und Falschspiel große Summen verhient. Bald war er als Freiherr von Soundso, bald als Graf, gelegentlich sogar als Fürst in den verschiedensten Garnisonen aufgetaucht, hatte überall Helfers- Helfer gefunden — hier jenen Kapitän und den Volontär — und durfte sich eines schier unglaublichen Glücks rühmen. Nun stand er am Ende seiner Taten. Da von der Kugel edlere Organe verletzt worden waren, so gaben auch die Ärzte ihn auf und er sah seinem Tode, nach dem offenen Bekenntnis, gefaßt entgegen. Aber er starb dennoch nicht. Seine zähe, eiserne Natur half ihm noch ein- < mal über die Krisis hinweg, und langjährige Festungshaft sollte der Lohn seines verwegenen Treibens sein. Am Nachmittag des nächsten Tages hatte LÜi ihr Elternhaus verlassen. Was ihr die dunkle Zukunft bringen würde, wußte sie nicht, aber ihr junges Herz war voll Zuversicht und froher Hoffnung. Vielleicht würde sie Achim in Eng land Wiedersehen, vielleicht erführe sw in London etwas von ihm. Sie hielt es nämlich nicht für ausgeschlossen , daß er in die britische Armee eingetreten sei. Jedenfalls ging einer der man nigfaltigen Pläne, die er in der Scheidestunde vor ihr entrollte, dahin. Freilich umdüsterte nur zu schnell wieder bange Sorge ihren eben noch so heiteren Sinn: Er lebt nicht mehr, sonst hätte er einmal an dich geschrieben. Oder er liegt irgendwo in einer fernen Kolonie, in den Tropen, hoffnungslos darnieder, ohne treue Pflege, ohne Hilfe, ohne Trost. Endlich hatte Lili das 5" " reicht. Da stand sie nun au> Gewirr der Riesenstadt, mit ihren vom Stein kohlendampf geschwärzten, gewaltigen Häusern, mit dem rast losen Hasten und Jagen auf den breiten Straßen, da stand sie — eine Fremde unter Fremden. Welch ein Gewühl um sie, welch ein ohrenbetäubender Lärm in dem Getümmel! Da rollten hoch über den Straßen hinweg die Eisenbahnen, an den Dächern vorüber, da folgte Wagen auf Wagen in endloser Reihe, die Straße auf, die Straße ab, schwere mit plumpen Pferden, hochelegante mit edelsten Vollblutrassen. Da schärte sich die Menge zusammen in dichtem Knäuel, als sei etwas Besonderes vorgefallen, und war doch nichts zu sehen. Aber nun saß sie wohlbehalten in einer Droschke und gelangte aus der für die Verkehrsmassen viel zu engen City bald in das Beilage zam „Sächsischen GrzcMer«. Verlag von Friedrich May, Bischofswerda. Vie militärische rem Nordbahn- utschen Jnfan- fahrer. Gene- e Ansprache an ges Hurra auf rgendem Spiek ademarsch, wie de. hen L lstenS 's. Str. S0.