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immer 25. Sonnabend, 31. Januar 1S14. 68. Jahrgang. Der SäGsche LrMer Mschofswerdaer Hageökatt. MU de« wöchentliche« Beilage«: Dienstags: Belletristische Beilage; Donnerstags: Der Sächsische Landwirt; Sonntags: Illustriertes Sonntagsblatt. Amtsblatt der Königlichen Amtshauptmannschaft, der Königlichen Schulinspektion und des Königlichen Hauptzollamtes zu Bautzen, sowie des Königlichen Amtsgerichts und des Stadtrates zu Bischofswerda, und der Gemeindeämter des Bezirks. Artzelgeblatt für Bischofswerda, Stolpen und Umgegend, sowie für die angrenzenden Bezirke. Aelteste» Blatt im Bezirk. Erscheint seit s8§6. Telegr.-Adr.' Amtsblatt. Fernsprecher Nr. 22. Erscheint jeden Werktag abends für den folgenden Tag. Der Br- zugspreis ist einschließlich der 3 wöchentlichen Beilagen bei Abholung ln der Lxpediton vierteljährlich 1 Mk. SO Pfg., bei Zustellung in« Haus 1 Mk. 70 Pfg.; durch die Post frei ins Haus viertel- rShokch 1 Md. «2 Pfg., am Postschalter abgeholt 1 Mk. SO Pfg. 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Die Sitzung wurde bis in di« späten Abendstunden fortgesetzt. * In Braunschweig kam es am Donnerstag nachmittag zu Strntzendemonstrationru gegen das Dreiklassenwahlrecht. Die Menge wollte in den Schloßhof eindringen, wobei es zu «ine« Zusammenstoß mit der Polizei kam. * Das schwedische Panzerschiff „Tapperhetcn" ist bei Sandhamn aufgelaufen und befindet sich in kritischer Lage. * In Brasilien haben große Ueberschwemmungen bedeu tenden Schaden angerichtet. Zweitausend Menschen werden »ermißt. (Weitere Nachrichten unter Letzte Depeschen.) ArbettSwiüigenfchutz und Uoalitionsrecht im sächsischen Landtag. Dresden, 30. Januar. Die gestrige Tagesordnung der Zweiten Kammer — Schutz der Arbeitswilligen und Gewährleistung der Koa litionsfreiheit — ließ von vornherein lebhafte Meinungs kämpfe erwarten und die Tribünen hatten sich daher mit Publikum stark gefüllt. Eine besondere Auszeichnung wurde der Sitzung durch die Anwesenheit des Kronprinzen zuteil, der mit seinem militärischen Begleiter schon vor Beginn der Sitzung in der Diplomatenloge Platz nahm und den Ver handlungen mit gespanntem Interesse mehrere Stunden Hindurch folgte. Es standen zwei Interpellationen von nationalliberaler und von sozialdemokratischer Seite und ein konservativer Antrag zur Beratung. 1. Die «atioualliberale Interpellation: In weiteren Kreisen von Industrie und Gewerbe herrscht eine Beunruhigung, weil man den Schutz der Gesetze zur Abwehr des sozialdemokratischen Terrorismus gegenüber den Arbeitswilligen nicht für ausreichend hält. Glaubt die Königliche Staatsregierung im Gegensatz hierzu, daß die be stehenden Gesetze für diesen Schutz ausreichen, und glaubt sie diesfalls, eine Beruhigung dadurch zu erzielen, daß sie an die in Betracht kommenden Behörden eine schriftliche In struktion erläßt, die durch eine Zusammenstellung der ein- fchlagenden gesetzlichen Bestimmungen und der hierzu er- gangenen obergerichtlichen Entscheidungen einheitliche Richt linien für das Verhalten insbesondere der polizeilichen Or gane in derartigen Fällen schafft? 2. Die sozialdemokratische Interpellation: 1) Was gedenkt die Staatsregierung zu tun, um das gesetzlich gewährleistete Koalitionsrecht gegen Angriffe stcherzustellen? 2) Welche Gründe hatte die Staatsregierung zu dem ikrlaß des Justizministeriums vom 11. Dezember 1912 we- gen Beschleunigung des Strafverfahrens bei sogenannten Massendelikten? 3. Der konservative Antrag: Die Kammer wolle beschließen: 1. Die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, im Bun desrate dafür einzutreten, daß baldmöglichst durch Ausbau der Reichsgesetzgebung ein ausreichender Schutz der Arbeitswilligen und der Freiheit deS Ge werbebetriebes geschaffen werde. 2. die Erste Kammer zum Beitritt zu diesem Beschlüsse einzuladen. Die Rationalliberalen schickten zur Begründung ihrer Interpellation als Experten Hm Rechtsanwalt Dr. Kaiser vor. Er führte sich mit der Behauptung ein, daß seine Partei keinen Angriff auf die Koalitionsfreiheit beabsichtige. Die Sozialdenwkraten äu ßerten hieran lauten Zweifel, dem der Redner dadurch zu begegnen suchte, daß er das Streikrecht ausdrücklich aner- kannte, aber von den Sozialdemokraten auch die Anerken nung des Aussperrungsrechts der Unternehmer verlangte. Für ein Verbot des Streikpostenstehens ist er nicht zu haben, da er hierin nur ein Agitationsmittel für die Sozialdemo, kratic erblickt, die gerade gegenwärtig auf ihrer Höhe an gelangt sei. Die Sozialdemokraten benutzten die Gelegen heit, dazwischen zu rufen, daß sie noch keine Lust haben, von dieser Höhe wieder herabzusteigen. Viel schwerere Folgen als das Streikpostenstehen zeitigte der Terror, den die So- zialdmokraten auf Arbeitswillige und ihre Angehörigen ausllben. Aber hier genügten, so meinte Dr. Kaiser, die gesetzlichen Bestimmungen vollständig, und wenn sie nicht genügten, so liege das nur an ihrer praktischen Anwendung. Er empfahl als Heilmittel zum wirksamen Schutz der Ar beitswilligen eine schärfere Anwendung der bestehender: Vorschriften, die, mit den obergerichtlichen Entscheidungen zusammengefaßt, den Polizeiorgnnen ausgehändigt werden sollen, um so einige Richtlinien für das Verhalten der Poli zeibeamten hinsichtlich des Schutzes der Arbeitswilligen zu schaffen. Die Sozialdemokraten haften mit der Vertretung ihrer Interpellation den Gewerk- schaftssekretär Heldt betraut, einen der wenigen sozial- demokratischen Abgeordneten, die in der Regel sachlich blei ben. Diese Sachlichkeit ließ Heldt aber in manchen Punkten vermissen. Er behandelte das Thema ztrvi Stunden lang und suchte nachzuweisen, daß das Koalitionsrecht der Arbei ter von den Unternehmern und der Regierung ständig be droht werde. Zum Beweise hierfür zog er einige Dutzend Fälle heran, deren Kenntnis er der sozialdemokratischen Presse verdankt und die er entsprechend aufgeputzt dem Hause mit behaglicher Breite vortrug. Er ließ sich auch nicht stören, als die Rechte des Hauses seinen Behauptungen nut lebhaftem Widerspruch und lautem Zweifel begegnet. Für seine Partei gibt es nur absolute Koalitionsfreiheit, und wer Maßnahmen zum Schuhe der Arbeitswilligen vorschlägt der sucht nach seiner Meinung das Koalitionsrecht zu durch brechen. Dagegen kündigte der Redner Kamps bis aufs Messer an. Dem Zentralverband Deutscher Industrieller sagte Heldt nach, daß er die Entrechtung der Arbeiter und die Aenderung des Neichstagswahlrechtcs bezwecke, wobei er auch auf die bekannte Rede des .Königs in Leipzig zu spre- chen kam, die sich angeblich mit den Zielen des Zentralver- bandes einverstanden erklärt habe, eine Behmiptung, gegen die der Minister des Innern mit einem erregten Zwischen- ruf protestierte. Lebhafter wurde der Redner dann, als er der Regie- rung nachsagte, sie arbeite nrit geheimem Material gegen die Arbeiter, was am Ministertische ein erstauntes Kopf schütteln hervorruft und dem Präsidenten Anlaß zu einer Rüge gegen den Redner gab. Heldt kritisierte dann in der üblichen demagogischen Art den Erlaß des Justizministers vom Dezember 1912 »vegcn Beschleunigung des Strafverfah rens bei manchen Delikten, dem er eine ganz unheilvolle Wirkung auf die Rechtsprechung nachsagte, »vas er durch eine Menge Urteile zu belegen suchte, mit deren Verlesung er die Geduld des Hauses über Gebühr in Anspruch nahm. Als er endlich am Ende war, nahm GrafDitzthum Ge legenheit, die sozialdemokratischen Unterstellungen Hinsicht- lich der Königsrede in Leipzig in sehr scharfer Weise zurück- zutreisen. Für die Konservativen begründete der Abg. Dr. B ö b mc den Antrag. Er wendete sich erst gegen die Ausführungen des sozialdemokratischen Redners und führte aus: Ter Abgeordnete Heldt meinte, man würde Sturm ernten. Ich meine, daß der Sturm schon da ist, und daß von Staats wegen etwas geschehen muß, um ihm zu begegnen. Unser ganzes Beginnen ist darauf ge richtet, die Rechte muh des Arbeiters im Staate wahrzu nehmen. Das Koalitionsrecht kann aber nur durchgeführr werden, wenn es da aufhört, wo das Recht des Gegners be ginnt. Nur in diesem Sinne ist es vom vernünftigen Stand punkte diskutierbar. Die vielen Einzelfälle, die der Vor redner zur Sprache gebracht hat, lassen sich gar nicht nach prüfen. Aber selbst wenn sie richtig sind, so kann ihre Mit- teilung uns der Lösung des Problems, ob die Arbeitswilli gen genügend geschützt sind oder nicht, keinen Schritt näher bringen. Redner gibt dann eine ausführliche Darstellung der Streikpraris, der sozialdemokratischen Organisationen und schildert, wie der Boykott, die Material- und Kundensperre nicht nur große Unternehmer, sondern gerade auch kleine Handwerker treffe, und dasStreikpostenftehen durchaus nicht so harmlos gedeutet werden könne, wie es von sozialdemo kratischer Seite geschehe. Er bitte die Regierung ein wach sames Auge aus das Endziel der sozialdemokratischen Orga nisationen zu haben: die Monopolisierung der Arbeit durch die sozialdemokratischen Gewerkschaften. 1904 wären den: sozialdemokratischen Deutschen Buchdruckerverband 69,2 1910 aber 93,6 der Buchdrucker angeschlossen gewesen. Darin liege auch die Erklärung, warum von allen geheimen Druckarbeiten in irgendwelchen Betrieben die Sozialdemo kratie jftmntnis habe. Tas überaus schwierige und vielge staltige Problem könne nur richtig angefaßt werden, wenn man sich aus den gemeinschaftlichen Boden stelle, wo die In teressen aller Jnteressenvertreter zusammenträfen. Dieser gemeinschaftliche Boden könne nur dort gefunden werden, wo es sich um die Freiheit der Einzelpersönlichkeit, des ein zelnen Staatsbürgers handele. Hierzu trete die Verpflich tung des Staates, diese Freiheit zu schützen. Jeder Willens zwang müsse ausgeschlossen sein. Deshalb sei auch die Koa litionsfreiheit nur ein relativer Begriff; sie müsse vor der Willensfreiheit des anderen Haltmachen. Auch der „Vor wärts" erkenne an, daß es für das Koalitionsrecht eine Grenze gibt. Anläßlich des Streites zwischen Krankenkassen und Aerzten schrieb er, vom Koalitions- und Streikrecht könne dann nicht mehr die Rede sein, sobald der kollektive Arbeitsvertrag wichtige Interessen der Gesamtheit, in die sem Falle die öffentliche Gesundheitspflege, berühre. Ter Kampf der Linken tverde einseitig vom Jnteressenstandpunkt einer einzelnen Gruppe geführt, sei daher für eine objektive Lösung des Problems von vornherein ungeeignet. JmStreik- postenstehen werde die Willensfreiheit unterbunden. In England habe sich eine Wandlung der Anschauungen vollzo gen. Auf einen: Kongreß des Verbandes der Handelskam mern 1912 habe man das strikte Verbot gefordert. Die Mei nung, daß das Streikpostenverbot die Gegensätze verschärft, sei in England rviderlegt. Mit den bestehenden Gesetzen ser kein ausreichender Schuh der Arbeitswilligen gewährleistet; eine Ausdehnung der Rechtsgcwalt werde nicht erreicht durch den Vorschlag des Abgeordneten Dr. Kaiser, die Polizeige walt zu stärken. Er hoffe, daß seine Ideen auch noch in den Kreisen der Arbeiter Eingang finden würden. (Beifall rechts.) Die Antwort des Staatsministers Graf Vitzthum v. Eckstädt. Was der Minister sagte, läßt im wesentlichen eine Acn- dernng der bisherigen Haltung der sächsischen Regierung nicht erkennen. Bemerkenstvert war die Absage, das Streik- postenstehen zu verbieten. Dieses Recht will der Minister den Streikenden solange nicht beschneiden, als sie dabei den gesetzlichen Rahmen deS Koalitionsrechts nicht ülcrschreiten. Ten nationalliberalen und konservativen Wünschen auf stär keren Schutz der Arbeitswilligen will die Regierung — und daß ist besonders bemerkenswert — dadurch nachkommen, daß sie im Bundesrat bei der Revision des Strafgesetzbuches für einen Ausbau der gesetzlichen Bestimmungen einfteteir will, denn der Minister mußte zugeben, daß die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen sich in sehr vielen Fällen nicht mehr als ausreichend erwiesen haben. Das von den Na- tionaliberalen enchfohlene System der Streikgcndarmen lehnt der Minister ab stellt jedoch in Aussicht bei Streik»»- ruhen sofort ein größeres Polizeiaufgebot zu entsenden, was der Linken mit ersichtlichem Mißbehagen ausgenommen wird.