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AUS DEM YORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE Die Anregung zur Abfassung des vorliegenden Buches verdanke ich Herrn Univ.- Prof. Dr. Max Vasmer, der mir nach einer Gastvorlesung iiber das serbokroatische Brauchtum, die ich im Juni 1929 im slawischen Institut der Universitat Berlin halten durfte, nahelegte, mich auch in das Studium des Volkslebens der Lausitzer Sorben zu vertiefen und auf Grund eigener Erhebungen und der bisher gedruckten und ungedruck- ten Literatur eine zusammenfassende Darstellung des sorbischen Brauchtums zu geben. Ich habe diesen Vorschlag dankbar angenommen und im Somrner 1929 die Ober- und Niederlausitz bereist. Bautzen, Crostwitz, Grdditz, Kdnigswartha, Hoyerswerda, Lohsa. Nochten, Schleife, Cottbus, GroB-Lieskow, Janschwalde, Dissen, Guhrow, Burg im Spreewald waren die wichtigsten Stutzpunkte bei meiner von herrlichem Photographie- wetter begiinstigten Bereisung, von der ich mit reichem Material heimfahren konnte. Schon im Feber 1930 war ich in der Lage, als Gast des slawischen Instituts in Berlin einen Vortrag iiber die Hochzeitsbrauche der Lausitzer Sorben zu halten, auch auf dem KongreB der slawischen Geographen und Ethnographen in Belgrad im Mai 1930 trug ich einige neue Deutungen sorbischer Hochzeitsbrauche vor. Im Sommer 1930 arbeitete ich in Bautzen, um dem lebendigen Volksleben und der Bibliothek der Maćica serbska nahe zu sein, die mir ihre Biicher und Sammlungen mit grdBter Zuvor- kommenheit zur Verfiigung stellte. Im Verein fiir Geschichte und Vorgeschichte in Bautzen, der eine sehr rege Tatigkeit entfaltet, hatte ich wiederholt Gelegenheit, die interessantesten Probleme meiner Arbeit zur Diskussion zu stellen. Das Ziel meiner Arbeit war nicht bloB, die sorbischen Brauche zusammenfassend darzustellen, sondern sie auch zu deuten, soweit es nach dem heutigen Stand der volks- kundlichen Forschung moglich ist. Langjahriges Studium des noch frischen und unbe- riihrten siidslawischen Brauchtums hat es mir ermoglicht, eine Reihe von verblaBten und miBverstandenen sorbischen Brauchen in ihrer Urform zu erkennen. Ich verweise auf den Hirtensprung, auf die Kette um den Weihnachtstisch, auf die Hochzeits- brauche mit dem Sauerteig, mit der Brauthenne und mit dem Herdfeuer. Eingedenk des Grundsatzes, daB Worter und Sachen zusammengehoren, habe ich der Terminologie des Brauchtums mein besonderes Augenmerk zugewandt, denn sie gibt uns wichtige Fingerzeige fur die Herkunft der kulturellen Erscheinungen. Schon aus ihr spricht der starke deutsche EinfluB, dem das Sorbentum auf allen Gebieten ausgesetzt war, was uns bei dem engen Zusammenleben der beiden V61ker nicht wundern darf. Andererseits weiśt aber auch die Terminologie des Brauchtums der deutschen und ein- gedeutschten Dorfer der Lausitz zahlreiche Ausdrucke slawischer Herkunft auf. Fur die Entwicklungsgeschichte des sorbischen Brauchtums ist das groBe hand- schriftliche Werk von Abraham Frenzel, Historia populi ac rituum Lusatiae superi- oris, das die Zustande um 1700 schildert und das bis auf die „Heyratshochzeit“ un- gedruckt ist, von besonderer Wichtigkeit. Die Handschrift wurde mir von der Ober- lausitzer Gesellschaft der Wissenschaften in Gorlitz (Dr. Jecht) mit groBter Bereit- willigkeit zur Verfugung gestellt, wofur ich an dieser Stelle meinen Dank ausspreche. Grundlich und zuverlassig ist die beschreibende Darstellung der sorbischen Brauche in Haupt und Schmalers „Volkslieder der Wenden", Grimma 1841—1843. Sehr ver-