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74 Feste und Volksbrauche der Sorben nach einem Begrabnis Brot und Semmeln auf den Armentisch der Kirche. Bemerkenswert ist es, daB die Tieftrauer vier Wochen dauert: Diese Zeit ist bereits in der Antike vorgezeichnet, wo die Totenopfer am 3., 7., 9., 30. (40.) Tage nach dem Tode dargebracht wurden, um dann erst wieder nach einem halben Jahr und einem ganzen Jahr wiederholt zu werden. Die orthodoxe Kirche hat diese alten Termine ziemlich treu bewahrt 1 . Auch fiir die antike Sitte, herabgefallene Speisen und Brosamen fiir die Seelen liegen zu lassen, finden wir nicht bloB bei den Sorben, sondern in ganz Europa Analogien 1 . 54. Damit der Tote seine Ruhe findet, mufi man dessen letzte Wiinsche er- fiillen, darf dessen Kleider nicht vor vier Wochen in Gebrauch nehmen, sonst erscheint er und qualt die Schuldigen 3 . Auch darf man nicht zu viel um sie weinen 4 , sonst kommen sie ins Haus und weinen dort ebenfalls. Im Wochenbett verstorbene Miitter kehren wieder, wenn ihr Kind nicht gut gepflegt wird 5 . Ungetauft verstorbene Kinder werden zu Irrlichtern 6 . Wer iiber Tote Liigenhaftes berichtet, dem erscheinen sie und strafen ihn 7 . Keine Ruhe finden Mdrder, Grenzsteinverriicker, iiberhaupt Menschen, die mit einem Verbrechen auf dem Gewissen gestorben sind, ferner Selbstmorder und solche, die eines unnatiirlichen Todes gestorben sind 8 * . Beim Tod eines Selbstmorders entsteht ein heftiger Sturmwind’'. In diesen Zusammenhang gehort auch der sorbische Brauch, daB die Vor- iibergehenden auf eine Stelle, wo jemand erschlagen worden ist, Zweige wer- fen. Eine solche Stelle, „toter Mann“ genannt, sah Schulenburg (1880) im Weifikulmer Forst. Auch im Revier Mulkwitz an der Spremberger Grenze ist ein solcher „toter Mann“ 10 , zwischen Wittichenau (Kulow) und Rosental (Rožant) ein „totes Madchen" 11 , bei Jenschwalde eine „tote Frau“ (Archiv des Atlas der deutschen Volkskunde, Berlin). Diese Sitte beruht auf dem weitverbreiteten Glauben, daB der Ermordete ebenso wie der Selbstmorder so viele Jahre umgehen muB, wie ihm zu leben bestimmt waren. Die hingeworfenen Zweige (in steinigen Landern Steine) sollen die Seele des Wiedergangers festhalten und ihn hindern, dem Voriiber- gehenden zu schaden. Analogien zu dieser Sitte lassen sich aus Deutschland, Schweden, Polen, RuBland, Jugoslavien und auch aus aufiereuropaischen Landern beibringen 12 . Die Suhnekreuze, die uns auf sorbischem Boden oft begegnen (Ralbitz 1 Murko, Das Grab alsTisch; Fischer 393; Schneeweis, GrundriB Skr. 137; Zelenin, Russ. Volkskunde 332; Sartori, SB. I, 159. — 2 Samter, Familienfeste der Griechen und Rdmer, Berhn 1901, S. 108 ff. — 3 Beispiele bei Schulenburg, W. V. S. 237, 239, 240. — • ib. 237, 238 (Motiv des Tranenkriigleins). — 5 Veckenstedt 451. — • Schulen- burg, Wend. Volkssagen, 109. — 7 Veckenstedt 451. — 8 Schulenburg, W. V. S. 237. — 8 Schulenburg, ib. 236; Veckenstedt 344; Christian Schmidt in Burg, m. — 10 Schulen- burg, W. V. 111. — 11 F. Sieber, „Der tote Mann“, Bautzener Geschichtshefte VIII (1930), 38. — 12 Fischer 361—364, wo reiche Lit.; Zelenin, R. V. 328; Sartori, SB. I, 159, viel Lit.; F. Sieber, op. cit. 33-—48, Lit.; Niederl. Mitt. I, III, VI, 37. Kuhfahi, Die alten Steinkreuze in Sachsen, Dresden 1928, E. Mook, Der Ursprung der mittel- alterlichen Siinekreuze, Leipzig 1929.