Volltext Seite (XML)
6 Feste und Volksbrauche der Sorben Aus dem Hause, wo eine Wochnerin mit einem Neugeborenen liegt, darf man nichts verleihen, sonst kdnnten die Hexen mittelst dieser Dinge Schaden- zauber ausiiben 1 . Damit das Kind nicht vom bosen Blick leide, mufi jeder, der es zum erstenmal ansieht, sprechen: „Bog jo če peřej widźeł hako ja!" »Gott hat dich friiher gesehen als ich!« 2 Im Falle einer Totgeburt geht die Mutter drei Wochen nicht aus dem Haus, erst dann erfolgt die Aussegnung. Es ist vorgekommen, dafi das Grab eines solchen Kindes gedffnet und der Leiche der kleine Finger abgeschnitten wurde, dem man magische Krafte zuschrieb 3 . Aus ganz Europa ist der Aberglaube bezeugt, dafi eine Kerze, hergestellt aus dem Finger eines zu friih geborenen Kindes (franz. main de gloire, engl. hand of gloryj, den Dieb unsichtbar macht und die Bestohlenen in tiefen Schlaf versenkt. Die Ge- richtsakten vieler Lander berichten iiber zahlreiche Verbrechen, die in diesem Glauben wurzeln 4 . Ungetauft verstorbene Kinder werden zu Irrlichtern. Die Wdchnerin, os. njedźelniča, šesćnjedźelniča, ns. ńeźelnica 4. Nach Samuel Grofier 6 war es bei den heidnischen Wenden Sitte, dafi die Weiber, wenn sie ihrer Leibesfrucht entbunden waren, die neugeborenen Kinder iiber ein Feuer hielten und zu den Geistern beteten, dafi sie ihnen giinstig werden und verbleiben sollten. — Die Nachricht ist glaubhaft, denn Beraucherungen der Mutter und des Kindes waren bei den Sorben bis vor kurzem iiblich 6 . Mutter und Kind durch Feuer oder Licht vor den im Dunklen schwarmenden Damonen zu schiitzen, ist schon der Antike ge- laufig, und auch aus neuerer Zeit lassen sich viele Parallelen beibringen 7 . Die Wochnerin liegt sechs Wochen lang von der Familie abgesondert im Wochenbett, šesčnjedźelničine łoźo, das mit langen weifien Tiichern, njed- źelske płahty, njedźelsky rub (verwandt mit r. rubdška, Hemd, p. robek, Vor- hang, robač, hauen, č. rubdš, Hemd, Totenhemd) verhangt ist. Auch Be- zeichnungen wie nedźelje, pl. 8 und njedźelske twjelchi (Schopsdorf = Sepšecy, Heide) begegnen. Die Wdchnerin soll durch diese Vorhange einerseits profanen Blicken entzogen, anderseits soll urspriinglich auch ihre Umwelt vor schadlichen Einwirkungen (bdser Blick) von seiten der als unrein gelten- den Wdchnerin geschiitzt werden. Der Abwehr dient auch das an die Vor- hange geheftete Taufhemdchen und die Schleifen des Taufbettes. 1 M. Handrik im CMS. 54 (1901), 110: Schleife. — * ib. 110: Schleife. — ’ Schleife, Hebamme Habrink, miindlich; auch Schulenburg, W. V., S. 245. — * Beispiele bei Biegeleisen, Matka i dziecko, 104—106. — 5 Lausitzische Merkwurdigkeiten, Leipzig und Budissin 1714, II, 9. — 8 Łužica X (1891), 5. — 7 Samter, GHT. 82: Sibirien, mittelalterliches Deutschland, Albanien, Estland usw.; Sartori, SB. I, 24, viel Lit. — 8 Schmaler, Volksl. II, 249.