Volltext Seite (XML)
Sommer - Johannes der Taufer 143 Kirchenfeste einsetzte, zu den hochsten Festen der christlichen Kirche, war mit einer Vigilie verbunden und vielfach mit drei Messen ausgestattet wie das Christfest 1 . Wie das Weihnachtsfest iiberall die meisten Volksbrauche der dunklen Jahreszeit mit dem starken Vorherrschen des Seelenkults an sich gerissen hat, so hat das Johannisfest die meisten volkstiimlichen Begehungen der sonnigen Zeit auf sich vereinigt, in der die Natur ihre grofite Kraft und Pracht entfaltet. Dort Totengedenken und bange Hoffnungen beziiglich der schlummernden Saaten, hier hochste Freude am Leben und an den gesegneten Fluren. Als die wichtigsten Zeitabschnittsfeste sind beide mit Orakel- und Zauberwesen sowie mit Abwehrriten gegen feindliche Machte iiberladen. Wie in ganz Europa, so herrscht auch bei den Sorben der Glaube, daB in der Johannisnacht alle Krauter und Wurzeln heilkraftig sind. Viele flechten aus neunerlei Blumen einen Kranz und hangen ihn in der Mitte der Stube auf, „der dreht sich dann immerfort und wendet sich das ganze Jahr um“ 2 . Das Jahr iiber helfen die Krauter aus dem aufgehangten Kranz oder Straufi gegen die verschiedensten Krankheiten (Trank oder Raucherungen). Zu Jo- hanni verbrennt man den alten Kranz und berauchert damit das Vieh, damit es vor Krankheit und Ungliick bewahrt bleibe. Vielfach wirft man den neuen StrauB durchs Fenster in die Stube 3 . Schon neun Tage vorher kann man mit dem Sammeln der Krauter beginnen. Als besonders heilkraftig gelten jański kwĕtk (Hypericum perforatum) »Johannisblume, Hartheu« (gegen Viehkrankheiten und zur Abtreibung); torant (os. dorant, doranćikj: unter diesem Namen gehen verschiedene gleichartige Pflanzen, so das wilde Ldwen- maul (Antirrhinum orontium), der Andorn (Marrubium vulgare), das Zym- belkraut (Cephalanthera); ns. beły torant »Sumpfgarbe« (Achillea ptarmica) — auch im deutschen Volksglauben als Beschreikraut; ns. cerweny torant »Wald- kreuzkraut« (Senecio silvatica); ns. žołty torant »Wurmkraut« (Tanacetum vulgare) i . Ferner sammelt man stroželinowe zele (o. Gr. DiaL), »Schreck- kraut« (Centaurea jacea), auch boz »Holunder« (d. Grz. Dial. bez, ns. bazj. In der Johannisnacht bliiht das Farnkraut (os. paproš, ns. paprośj, dessen Bliite die Gabe verleiht, die Tiersprache zu verstehen 5 . Farnkraut, zu Jo- hanni ausgestreut, vertreibt Kroten 6 . In Schleife (Slepo) pflegten friiher die Madchen den Burschen zu Johanni Blumenstraufle zu schenken, mit denen sich letztere zum Kirchgang schmiickten. Welche groBe Rolle der BeifuB (Artemisia vulgaris) in den alten Ober- lausitzer Johannisbrauchen spielte, erzahlt uns Abraham Frenzel 7 : „Ferner den Abend vor dem Fest Johannis des Taufers geben sowohl die Deutschen als Wenden unterschiedliches Wesen an. Erwachsene Leute tragen auf ihren Hauptern Kranze von Beyfufi-Zweigen zuammengewunden: soll dazu dienen, dafi des Jahres der Kopf nicht wehe tue. Die Kinder laufen auf den Gassen 1 Kellner, Heortologie 138. — 2 Schulenburg, W. V., 145. — 3 Veckenstedt 443; Miiller 164. — 4 Mucke, Wb. II, 765. — 5 Russ. Parallele bei Zelenin 370; Schulen- burg, W. V., 145, 164. -— 6 Yeckenstedt 443. — 7 Historia, Hs., S. 100 ff.