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Essen am sorbischen Weihnachtsabend os, swačina, ns. swacina (nach Miklo- sich, E. W. 329 aus * *sv(ti,čina zu *svfti>, »heilig«) nach altem Brauch die heilige Neunzahl der Speisen oder wenigstens der Zutaten vorgeschrieben’. Wahrend bei der Einftihrung des christlichen Weihnachtsfestes fiir den 24. Dezember bloB Tagfasten geboten war, fur welches ein iippiges Abend- essen mit Fleischspeisen, besonders Schweinsbraten, entschadigte 2 , wurde spiiter der Genufi von Fastenspeisen auch fiir das Abendessen vorgeschrieben, so dafi das Braten des Weihnachtschweins (heute noch sehr zeremoniell bei den Siidslawen) auf den Christtag abwanderte. Die Sorben essen vor allem Hering mit Erbsen, von denen sie vielfach einen Loffel voll in die Ecke werfen 3 . Ein beliebtes Gericht sind fingerfdrmige Klofie aus Mehl und Mohn, in Milch gekocht 4 . Der Name dieser Speise palc, demin. palck, steckt meiner Meinung nach ganz sicher in der Bezeichnung des hl. Abends, „Balz- kentag“, die K. Gander in seinen „FestgebrauchenausdemGubenerKreise“ 6 bringt. Aus dem Sorbischen stammt auch die deutsche Bezeichnung (H)obrizze: „In den (deutschen) Ddrfern am Schwilochsee essen die jungen Leute am hl. Abend gemeinschaftlich verschiedenerlei Gerichte, und dabei bewerfen sie sich mit Erbsen (wie bei allen Hochzeiten), das heifit ,Obrizze‘ oder ,Ho- brizze'“ a . Ich stelle das Wort zu ns. hopor, »Opfer« (aus md. oppern, lat. operari, vulg. lat. oprare). Der Opfercharakter dieser Erbsen erhellt auch daraus, dafi sie vielfach als Bestandteil eines neun Getreidearten enthaltenden Fruchtgemenges gekocht werden, von dem alle Familienmitglieder essen miissen und von dem auch die Haustiere bekommen 7 . Wir erkennen in diesem Fruchtgemenge die uralte bei fast allen indogermanischen Volkern nachweisbare Panspermie, wie sie die alten Griechen den Gottern der Frucht- barkeit (Demeter) und den Seelen der Verstorbenen sowie dem Seelenfiihrer Dionysos am dritten Tag der Anthesterien, da die Unterwelt offen stand, opferten 8 , und wie sie die Neugriechen am 21. November (alten Stils) der hl. Maria darbringen 9 . Die Serben kochen in der Nacht auf den 4. Dezember ein Fruchtgemenge aus allen Getreidearten des letzten Jahres, varica (volks- etymologisch angelehnt an den Namen der Festheiligen P'arvara), von dem alle Menschen und Tiere des Hauses essen miissen, damit sie gesund bleiben und gedeihen. Sie stellen Orakel beziiglich der Fruchtbarkeit des kommenden Jahres damit an, opfern davon den Quellen und Biichen und mischen davon dem Saatgut bei 10 . Die Bulgaren kochen eine solche Mischung am Andreas- tag 11 . Die doppelte Beziehung der Panspermie einerseits zur Fruchtbarkeit 1 Parallelen bei Sartori, SB III, 28. — 2 H. Usener, Das Weihnachtsfest (Bonn 1911), S. 279. — 3 Handrik im ČMS. 54 (1901), 121: meiner Meinung nach ein Opfer fur die Seelen. — ’ Schulenburg, W. V. 129: in Preilag (Pśilug), palce, Finger, genannt: Mucke, Wb. s. v. falc. — 5 Niederl. Mitt. I, 6. Heft (1889), 493; Dorf Koschen. — • Niederl. Mitt. I, 500. — 7 Niederl. Mitt. I, 500: in den eingedeutschten Dorfern zwischen Liibben und Guben. — ” Hock, Grierh. Weihebriiuche, 60 ff., viel Lit. — • Schmidt, Volksleben der Neugriechen, I, 60: Arachona am Parnassos. — 10 Einzel- heiten bei Schneeweis, Weihn. Skr. 4—7. — 11 Marinov, Narodna včra (Sofia 1914), 53.