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Winter - Exkurs iiber slawische Neumondbrauche 97 wird erwahnt, daB man hierbei auf dem Herdfeuer griine Zweige verbrannte, ein Brauch, der meiner Meinung nach in dieselbe Reihe gehort wie das Ver- brennen des serbischen badnjak (Zweige oder Baumchen oder Klotz, stets von griinem Holz!). Die Ubereinstimmung dieser primitiven Festelemente mit denen unserer Jahresfeste ist verbliiffend, und es ist ein verlockender Gedanke, dafi auch dieses altromische Hirtenfest (21. April) urspriinglich mit dem ersten Aus- trieb zur Neumondzeit und vorhergehendem Absetzen der Lammer und Zick- lein von den Muttertieren zusammenhangt. Dafi der Hirtenstab neun Kriim- mungen aufweisen soll (Sartori SB. II, 152), erscheint mir in diesem Zu- sammenhang bemerkenswert. Wie stark der Glaube des Volkes an die Segenskraft des Neufeuers, des zu gewissen Zeiten eingeholten Wasser und Griins war, erhellt auch daraus, dafi ihnen die Kirche die Weihe geben mufite: Wasserweihe, Palmzweige, Osterfeuer, Flurumgange, Krauterweihe usw. 1 . 68. Nun noch ein schlagendes Beispiel dafiir, wie sich urspriinglich all- monatlich geiibte Neumondbrauche an ein wichtiges Jahresfest anschliefien und dann jahrlich blofi einmal geiibt werden: In der Christnacht steckt das slawonische Madchen den ersten Bissen des Abendessens in den Busen und legt ihn beim Schlafengehen nebst Kamm, Spiegel und Weberschifflein unter das Kopfpolster, damit sich im Traum der Zukiinftige zeige 2 . Nach Vuk Karadžić 3 wurde dieses Traumorakel in Syrmien noch in jeder Neu- mondwoche angestellt, in Serbien aber nur in der Georgsnacht 4 . Ankniipfend an dieses Beispiel habe ich schon 1924 in meinem Buch iiber die Weihnachtsbrauche der Serbokroaten, S. 200, gesagt: „In analoger Weise mogen noch viele andere Brauche periodisch in der gliickverhei£enden Neu- mondwoche begangen worden sein, so die Einholung des ,kraftigen‘ Wassers, heute finden wir sie nur mehr an die zauberkraftigsten Tage des Jahres ge- kniipft." Zauber vom Dach aus iiben die Armenier bei Neumond, die Serben in der Christnacht, wahrend Burchard von Worms das Ausspahen nach Augurien vom Dach aus als Kalendenbrauch riigt. Wie stark der Neumondglaube auf den Neujahrsglauben eingewirkt hat, erkennen wir aus den Klagen der Kirchenvater. So klagt Chrysostomus in der 23. Homilie: „... putant, si novilunium mensis hujus cum voluptate et laetitia degant, reliquum se annum sic transacturos." Und in Th. Balsamons Kommentar (12. Jahrh.) zum 62. Kanon des trullanischen Konzils heifit es: „Die Bauern gedenken nicht nach rdmischer Sitte der Kalenden ..., sondern tun es deshalb, quod Luna tunc temporis renovetur, et ejus fundamentum ab 1 Franz, Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter. — 2 Zeitung Zastava (Bel- grad) vom 6. Janner 1923. — 3 Život i običaji naroda srpskoga, Wien 1867, S. 323. — ’ Milićević, Život Srba seljaka, Belgrad 1900, S. 171. 7 Feste und Yolksbrauche