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Es lassen sich also — soviel ist klar geworden — Schlüsse auf die Gestaltung der Produktionsverhältnisse nur mit aller Vorsicht ziehen. Die sozialgeschichtlichen Hintergründe werden nicht so deutlich wie die Zahlenangaben der Bleichrechnun gen. Doch auch hinsichtlich dieser Zahlen stehen noch Fragen offen. Ist die Über lieferung zuverlässig ? Und ist sie vollständig ? Können wir wirklich damit rech nen, daß alle aus dörflichem Bereich stammende Bleichleinwand auch als solche gekennzeichnet wurde und für uns erkennbar ist ? Ich glaube es nicht. Es ist sehr wohl vorstellbar, daß aus anderen Dörfern, vor allem wenn sie eine größere Zahl von Produzenten besaßen und weiter von der Stadt entfernt lagen, nicht dorfansässige Lieferanten, sondern fremde, wahrscheinlich städtische Aufkäufer die Verbindung zur Bleiche herstellten. Das Fehlen von Dörfern der Gruppe C in den Rechnungen kann nur so erklärt werden, wenn nicht die andere Möglichkeit zutrifft, daß nämlich diese großen Dörfer durch Verleger erschlossen und die Lei nenproduktion dem in den dreißiger Jahren bereits erkennbaren Export in die Färbereien zugeführt worden ist. Der ländliche Anteil von 13%, wie er sich nach den Forschungen A. Kunzes ergibt, ist also ein Mindestanteil. Manche Dorflein wand wird durch städtische Lieferanten auf ihren eigenen Namen geführt, da ja die Produktion von Markterzeugnissen dem platten Lande grundsätzlich verboten war. Ohne Zweifel verdanken wir die Angaben über Leinwand ländlicher Her kunft nur der Tatsache, daß die Interessen des Chemnitzer Rates, als Eigentümer und Nutznießer der Bleiche, von denen der Chemnitzer Leineweberinnung, als Lieferanten für die Bleiche und Verfechter des städtischen Produktionsmonopols, weit voneinander abwichen. Wir wissen ja durch die vom Stadtarchiv Karl-Marx- Stadt hergegebenen Forschungen 205 206 * jetzt genau, wie stark die Differenzierung der städtischen Bevölkerung vorangeschritten war und welche sozialen Spannungen sich daraus ergeben hatten. Die Zahlen dörflicher Bleichleinwand sind also Min destzahlen ; hinter mancher städtischen Lieferung verbirgt sich weitere Dorflein- wand, wie denn A. Kunze hat nachweisen können, daß Chemnitzer Bürger fremde, doch wohl auch ländliche Leinwand auf die Bleiche brachten. 208 Schließlich ist die Menge der gar nicht auf die Bleiche gelangten, ja, gar nicht für sie bestimmten Leinwand noch erheblich höher einzuschätzen. Die Aussagen der Bleichrechnun gen sind also direkt, durch Dorf- und Mengenangaben, für uns wertvoll, wie uns auch ihr Schweigen (das Fehlen großer Dörfer) einen deutlichen Hinweis auf die Zusammenhänge zwischen Verleger und Dorfproduzent gibt, auf Zusammenhänge, die sich teilweise bereits außerhalb des Bleichprozesses und damit des Bleich monopols abspielten. Nehmen wir noch hinzu, daß die starke Bevölkerungszu nahme infolge des zweiten Bergsegens allenthalben die Nachfrage auf dem inneren 205 y-gi Kunze, Arno, Produktivkräfte, a. a. 0., S. 35 und ders., Der Frühkapitalismus, a.a. O.,S. 62 ff. 206 1533 waren von 4781 Ballen Leinwand, die von Chemnitzer Bürgern auf die Bleiche gebracht wurden, nachweislich 2261 (d. h. 47,2%) von auswärts, ,,von den Weber ¬ städtchen und von den Dörfern“, wie Kunze, Arno, Der Frühkapitalismus, a. a. O., S. 31 formulierte.