Volltext Seite (XML)
Historiker, als Topograph, als Ökonom und als Politiker entgegentritt, verstehen, will man vor allem seine Haltung in den Jahren verstehen, da in der Frage der Reformation historische Entscheidungen fielen, sowie andererseits die starre religiöse Intoleranz seiner Mitbürger gegenüber dem toten Agricola, so kann dies nur aus dem Aspekt der historischen Verkettung seines persönlichen Lebens mit den inner deutschen und weltpolitischen Ereignissen der drei Jahrzehnte zwischen 1525 und 1555 geschehen, die gerade im letzten Jahrzehnt ihre schärfste Zuspitzung erfuhren. Die Niederlage der Bauern und der Sieg der lutherisch-gemäßigten Reformation bedeuteten bekanntlich vor allem für die Fürsten, die die neue Lehre annahmen, einen Machtzuwachs, dessen stärkster Ausdruck der 1531 abgeschlossene Bund zu Schmalkalden war. Die weltpolitische Konstellation dieser reichbewegten Jahr zehnte war durch die vier Kriege KARLs V. gegen FRANZ 1. von Frankreich ge kennzeichnet, durch den Anschluß der skandinavischen Länder an die Reformation, durch den Abfall Englands vom Papsttum und durch die komplizierte Verflechtung der machtpolitischen Auseinandersetzungen in Europa mit den innerdeutschen Ereignissen 08 . Der Schmalkaldener Bund, im Kampf gegen Habsburg sowohl mit Frankreich verbunden als auch aus der Türkennot der Habsburger (erste Belage rung Wiens durch die Türken 1529) seine Vorteile ziehend, konnte bis zum Frieden von Crespy 1544 mit Erfolg lavieren und seine Positionen behaupten. Doch nach dem Frieden zu Crespy, dem ein fünfjähriger Waffenstillstand mit den Türken folgt, ändert sich plötzlich die Situation 69 . KARL V., im Bunde mit dem Papst, der ihm Geld und Truppen sendet, aber auch im Bunde mit dem lutherischen Herzog MORITZ von Sachsen — der die Sache der Schmalkaldener ob der Aussicht, ganz Sachsen unter seine Herrschaft zu bekommen (kaiserliches Patent vom 27. Okto ber 1546), verrät —, hält die Zeit für gekommen, gegen den Schmalkaldischen Bund zum entscheidenden Schlage auszuholen. Es kommt zum Schmalkaldischen Krieg 1546/47, der am 24. April 1547 mit dem Sieg KARLs V. bei Mühlberg endet. Der Schmalkaldische Krieg 1546/47 bedeutet auch einen ernsten Wendepunkt im Leben Agricolas. Der in der gelehrten Welt hochangesehene, mit vielen führen den Geistern in Deutschland und im Ausland persönlich bekannte oder in brief licher Verbindung stehende Agricola erfreut sich auch bei den Bürgern der Stadt Chemnitz höchsten Ansehens. Wie hoch das Ansehen Agricolas war, ersieht man aus dem vielzitierten ,,11 e r Chemnicense" (1543), dem lateinischen Preis gedicht seines Freundes GEORG FABRICIUS, worin dieser seine Vaterstadt Chem nitz preist, sie sei nun hochberühmt, weil das Genie AGRICOLA in ihren Mauern weile 70 . Auch die sächsischen Fürsten gaben Agricola des öfteren Beweise ihres Wohlwollens. Ihnen, deren Macht zum größten Teil auf dem reichen Bergsegen ihrer Länder beruhte, war Agricola insbesondere als Fachmann in Dingen des Berg baus und der Metallverhüttung nützlich und wertvoll, während Agricola seiner seits den sächsischen Fürsten für die wissenschaftliche Förderung dankbar war, die sie ihm angedeihen ließen. Ihnen sind denn auch die Widmungsbriefe zu meh reren seiner Schriften zugeeignet. Für MORITZ von Sachsen, der bereits auf dem “ Siehe PAUL JOACHIMSEN, Die Reformation als Epoche der deutschen Geschichte, Verlag Ch. Kaiser-Oldenbourg, München 1951, Kapitel „Religion und Politik“, S. 229—275 c ’ Siehe KARL MARX, Chronologische Auszüge zur deutschen Geschichte, in: Marx-Engels- Lenin-Stalin, Zur Deutschen Geschichte, Bd. 1, a. a. O. S. 354 ’• Siehe REINHOLD HOFMANN, a. a. O. S. 87