Volltext Seite (XML)
lieh, meist nur von einer „Wiederentdeckimg" oder „Wiedergeburt" der Antike sprach. Auch GEORG AGR1COLA ist Renaissancemensch, d. h. Vertreter jener Epoche in der kulturellen und ideologischen Entwicklung der Länder West- und Mitteleuropas, die durch die Entstehung kapitalistischer Verhältnisse in diesen Ländern aus gelöst wurde. Es war eine Zeit, deren große Persönlichkeiten unter Verwendung aller bisherigen Errungenschaften materieller und geistiger Kultur den Kampf gegen das Alte, Hemmende aufnahmen und den Grund für vieles legten, das für alle Zeiten nützlich blieb, weil es, um mit HERDER zu sprechen, die Humanität be förderte. Vor der Aufgabe, die volle Wirklichkeit dieses Zeitalters mit all den ihr eigenen Widersprüchen zu erfassen, steht auch die heutige Agricola-Forschung. Nachdem unsere Historiker in der DDR durch ihre Diskussionen bei der Abfassung des Hoch schullehrbuches für Deutsche Geschichte in den letzten Jahren, unter Ausnutzung der wegweisenden Gedanken von MARX und ENGELS, bereits zu beachtlichen Er folgen in der Behandlung der großen Zusammenhänge der Geschichte unseres Volkes gekommen sind, kann die monographische Forschung auf solchem Fundament auch auf dem uns hier interessierenden Gebiet fruchtbar weiterbauen. Und hier gilt es für die Agricola-Forschung — natürlich aber nicht nur hier — viel Versäumtes nachzuholen. Wie soll man den Humanisten, Agricola würdigen, solange sich mit dem Begriff Humanismus noch die sehr formale Auffassung verbindet, daß es sich dabei lediglich um die Wiedererweckung bestimmter Bildungselemente der Antike handle? Ist doch der Humanismus jene vielschichtige neue Weltanschauung und neue Kultur, die den gesamten geistigen Grundgehalt der Renaissance ausmacht. Und diese neue Weltanschauung und Kultur bildete sich heraus im Kampf gegen die feudale Ideologie, und zwar in weltlicher Form, zum Unterschied von der Reformation, die vor allem in Deutschland zu einer Volksbewegung wurde. Diese klare Trennung einer religiösen Verbrämung gesellschaftlicher Interessen von dem unmittelbar weltlich orientierten geistigen Grundgehalt der Renaissance ist wissen schaftlich unerläßlich, wenn man die widerspruchsvolle Verknüpfung beider Seiten im Leben und im Werk einer einzelnen Persönlichkeit des ausgehenden 15. und der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erforschen will. Es ist vom Verfasser an anderer Stelle 1 bereits auf die dominierend welt liche Orientierung Agricolas hingewiesen worden, durch welche er dank seines Reichtums an klassischer Gelehrsamkeit und dank seiner Verbundenheit mit dem Quell alles Wissens, der Produktion, über die Schlüsselposition der Medizin zum Begründer der Montanwissenschaften wurde. Mit dem vorliegenden Aufsatz wird ein enger begrenztes Thema gewählt, das durch historisch-materialistische Sicht manch neuen Ausblick auf Agricolas gesamtes Werk und seine Zeit eröffnet. Es soll untersucht werden, welche Bedeutung die sehr umfangreichen Arbeiten Agricolas über Maße, Gewichte und Münzen haben. Eine Untersuchung dieser Art ist auch deshalb erforderlich, da das vom Verfasser angeregte Unternehmen, in 1 Vgl. „Bergakademie“, Heft 2, 7. Jahrg. 1955, S. 73—82. Dieser vorerst nur programmatisch ab gefaßten Arbeit des Verfassers wird in Kürze eine ausführliche Untersuchung der sozial ökonomischen Zusammenhänge und der weltanschaulichen Leistung Agricolas folgen. Das an dieser Stelle Folgende ist zum Teil der erwähnten Untersuchung entnommen.