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DAS BERGMANNSLIED ZUR ZEIT DES GEORGIUS AGRICOLA Von GERHARD HEILFURTH, Schloß Friedewald Im gegenwärtigen Zeitalter des Journalismus, der Schulung, der Information und der Propaganda ist schwer zu ermessen, welche bedeutsame Rolle das volkläufige Lied dereinst als Kommunikationsmittei spielte. Es hatte in weiten Teilen aus gesprochenen Offentlichkeitscharakter, denn es beschränkte sich ja keineswegs auf die Intimschichten des Singens, die wir im allgemeinen meinen, wenn wir vom „Volkslied" reden 1 . Sein Aussage-, Bildungs- und Funktionswert erstreckte sich auf viel größere Bereiche sachlicher und sozialer Art. Man kann dem Bergmannslied der Agricola-Zeit nur gerecht werden, wenn man es unter diesem weiten Aspekt sieht. Dann erst gewinnt es seine große Bedeutung für die Aufhellung der inneren Struktur, des ständischen Gefüges des damaligen Montanwesens. Ja, dann erst erscheint es als Geschichtsquelle ganz besonderer Art im Hinblick auf das ungemein vielfältige sozial-kulturelle Leben im Bergbau jener Jahrzehnte der anlaufenden Neuzeit, und zwar in doppelter Weise, denn einmal legt es schon durch sein Dasein Zeugnis für dieses Leben ab, zum andern aber gibt es durch seinen Inhalt in zahlreichen Einzelheiten Kunde davon. Das Bergmannslied hat in der alten Zeit mancherlei Aufgaben. Es ist Mittel der Unterrichtung und Belehrung nach innen und außen. Aber mehr noch: Es gibt An regungen; es ermuntert und erbaut; es wirbt; es erzählt. Es lobt und preist und es bramarbasiert. Es dient dem Selbstverständnis, der Selbstbestätigung, dem Zu sammengehörigkeitsbewußtsein und dem Gemeinschaftsgefühl. Es ist ein wesent liches geistiges und funktionales Bindeglied zwischen allen denjenigen, die im Bergbau Zusammenwirken 2 3 . Der gesellschaftliche Hintergrund, auf dem das Bergmannslied des 16. Jahr hunderts steht, ist bunt genug. Es handelt sich um eine Zeit großer Umschichtungen auf wirtschaftlichem Gebiet, die Zeit des Frühkapitalismus, und es ist eine Epoche großer innerer schöpferischer Bewegungen, die Epoche des Humanismus und der Reformation. Diese Auseinandersetzungen greifen tief in die Lebenswirk lichkeit des Bergbaus ein, der damals einen Aufschwung von wirklichem Rang erfuhr a . 1 Zur Kategorie „Volkslied“ vgl. WIORA, W.: Das echte Volkslied. Heidelberg 1950 (Musikalische Gegenwartsfragen, Heft 2). - HEILFURTH, G.: Das Bergmannslied. Wesen, Leben. Funktion. Ein Beitrag zur Erhellung von Bestand und Wandlung der sozial-kulturellen Elemente im Aufbau der industriellen Gesell schaft. Kassel und Basel 1954. S. 354 ff. u. anderwärts (im Folgenden zitiert als Heilfurth: Berg mannslied). 3 Hier wäre eine Fülle von Literatur anzuführen, wir begnügen uns mit dem Hinweis auf das ausgezeichnete Kapitel über den Bergbau bei ANDREAS, W.: Deutschland vor der Reforma tion. Eine Zeitenwende. 5. Aufl. Stuttgart 1948, S. 320 ff.