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1527 zugleich als Stadtarzt und Apotheker wirkte und dessen Nachfolger Agricola werden sollte? War es, wie vom ältesten Biographen PETRUS ALBINUS berichtet, der Umstand, daß Agricola, in der Nähe des Erzgebirges geboren und erzogen, gern in die Dienste seiner Landesherren trat, die sich des jungen, schon weithin bekann ten Gelehrten für ihre Bergstädte versichern wollten? Wie aus verschiedenen Äußerungen Agricolas selbst hervorgeht, werden wohl alle diese Beweggründe bei seinem Entschluß, nach Joachimsthal zu gehen, mitgespielt haben. Zurückhaltend im Persönlichen, bringt Agricola in seinem riesenhaften Lebenswerk sich selber nur selten zur Sprache. Erst in seinem Widmungsbrief an den kurfürstlichen Rat GEORG COMERST ADT zu seinen „L i b r i de v eter ibus et n o v i s m e t a 1 - 1 i s" 1546 sagt er darüber: „Als ich einstmals aus Italien, wo ich etliche Jahre Medi zin und Philosophie studiert hatte, nach Deutschland zurückgekehrt war, lag mir nichts mehr am Herzen, als mich nach dem Erzgebirge, gegenwärtig dem silberreich sten in ganz Europa, zu begeben. Ich war kaum dort angelangt, als ich vor Begierde brannte, das Bergwesen kennenzulernen, weil ich fast alles über meine Erwartung fand. Ein Jahr später ließ ich mich auf Anraten einiger Freunde, die viel über mich vermochten, in Joachimsthal als Arzt nieder.“ 31 32 Will man die Bedeutung des Entschlusses von Agricola, nach Joachimsthal zu gehen, in seiner ganzen historischen Tragweite ermessen, so muß man die Lage des deutschen Berg- und Hüttenwesen zu dieser Zeit kennen. Um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert beherrschten vor allem der Berg bau und das Hüttenwesen sowie der Handel mit ihren Produkten Deutsch lands Wirtschaft und begründeten seine wirtschaftliche Vorrangstellung in Europa 22 . Der deutsche Bergbau im Harz und Erzgebirge, reich an Eisen, Kupfer, Zinn, Blei, Gold und Silber, gehörte schon seit dem 12. Jahrhundert zu den ergiebig sten in Europa. Kaiser KARL V. schätzte den Wert der jährlichen Produktion an Gebrauchs- und Geldmetall aus deutschen Bergwerken auf zwei Millionen Gold gulden, eine ungeheuere Summe, wenn man sie in die Kaufkraft jener Zeit um rechnet. Bis 1545, da Spaniens Silberreichtum aus Peru und Mexiko in Europa auf den Plan trat, hatte Deutschland alle übrigen Länder in der Gesamtproduktion an Silber weit übertroffen 33 . Eine besondere Rolle für die Ausrüstung der Söldnerheere und die neue Kriegstechnik (Geschützrohre!) spielte Deutschlands Kupferpro duktion, so daß zur Zeit des großen deutschen Bauernkrieges wohl an die Hunderttausend Menschen im Bergbau tätig waren 34 . Deutschlands Berg- und Hüttenwesen war es, das nicht nur den für den inter nationalen Absatz seiner Produkte erforderlichen Großhandel hervorbrachte, son dern auch die großen deutschen Handelsherren dieser Zeit, die FUGGER, HÖCH STETTER, WELSER, PAUMGARTNER und IMHOF, mit ihren weltweiten wirt schaftlichen und politischen Interessen und ihrem Millionenreichtum, den sie vor nehmlich den montanistischen Unternehmungen verdankten. Nirgends war der 31 Zitiert bei REINHOLD HOFMANN, a. a. O. S. 31/32 32 Siehe RUDOLF KÖTZSCHKE, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, Gustav Fischer, Jena 1924, S. 519/520, ferner JOSEF KULISCHER, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Verlag Rütten & Loening, Berlin 1954, I. Bd., S. 222 ff. 33 Siehe C. MATSCHOSS, Große Ingenieure, Lebensbeschreibungen aus der Geschichte der Tech nik, I. F. Lehmanns-Verlag, München/Berlin 1937, S. 63 ff. 34 derselbe, ebda.