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256 Rudolph Strauß - Agricolas Tätigkeit als Bürgermeister und als Diplomat 1546/47 intendenten TETTELBACH etwa mit Rücksicht auf eine feindliche Stimmung in der Stadt geschah, ist bei dem Fehlen archivalischer Quellen heute nicht mehr zu ent scheiden. Von einem „Volkszorn gegen Agricola”, dem sich der Superintendent hätte fügen müssen, schreibt FABRICIUS kein Wort. Dabei spürt man, daß er seinen Freund TETTELBACH bei MELANCHTHON für seine Beteiligung an dem schänd lichen Streich entschuldigen möchte. Hätte er auf dieses Argument verzichtet, wenn das, was erst spätere Chronisten behaupten, Tatsache gewesen wäre? Natürlich hatte Agricola Feinde in der Stadt. Ihr Einfluß kann aber nicht groß gewesen sein, wenn ihn der Rat noch zu Beginn des Jahres als Beauftragten zu den für die Stadt und namentlich die Handwerker so außerordentlich wichtigen Ver handlungen um die Bannmeile nach Grimma sandte. Wie dem auch sei, der Kurfürst kannte die Gesinnung des Gelehrten seit langem aus den Widmungsbriefen und aus den „Stammtafeln”. Es paßt durchaus in das Charakterbild AUGUSTs, daß er den berühmten und um sein Land hochverdienten Forscher, als er sich von ihm keinen Nutzen mehr versprach, dem blindenHaß einer unduldsamen Geistlichkeit auslieferte. Vier Tage lag der Leichnam des großen Toten unbestattet in Chemnitz, wo er ein Vierteljahrhundert gelebt und zum Ruhme seines Vaterlandes gewirkt hatte. Dann bereitete JULIUS PFLUG dem verblichenen Freund im Dom zu Zeitz eine würdige Ruhestätte. Dr. GEORGIUS AGRICOLA hat das Amt des Bürgermeisters von Chemnitz, das ihm ohne seinen Willen übertragen wurde, mit der ihm eigenen Sachlichkeit, Ge wissenhaftigkeit, Makellosigkeit und Treue geführt. Sein weiter Blick, sein tiefes Wissen, sein offenes Wesen und die Furchtlosigkeit, mit der er das für richtig Er kannte verfocht, mußten ihm Achtung verschaffen. Als Diplomat diente er seinem Fürsten mit derselben Hingabe und Zuver lässigkeit wie der Stadt. Freilich war er ein viel zu vornehmer und geradliniger Charakter, als daß er fähig gewesen wäre, sich die damals aufkommende Staats kunst eines MACCHIAVELLI anzueignen. Sein diplomatischer Auftrag im Schmalkaldischen Krieg brachte ihn in Wider streit mit seiner Pflicht als Stadtoberhaupt, den seine Gegner ganz zu Unrecht dazu benutzten, ihm den Vorwurf der Untreue zu machen * 30 . Schon REINHOLD HOF MANN 31 hat anhand der von UHLE veröffentlichten Briefe (vgl. Anmerkung 23) die Haltlosigkeit dieser Behauptung nachgewiesen und damit das Lebensbild des her vorragenden deutschen Humanisten von dem dunklen Fleck gereinigt, den die Ver leumdung hinterlassen hatte. 39 RICHTER, ADAM DANIEL: Umftänblid)e... Übronica... bcr (stabt (Sbcmnit}, St. Annaberg, 1753, S. 357 31 HOFMANN, REINHOLD: Dr. Georgius Agricola aus Glauchau ... Sonderdruck, Glauchau 1898, S. 67