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des Passauer Vertrags und stellte damit das Gleichgewicht der Kräfte wieder her. So stand MORITZ 1552 als Retter der fürstlichen Libertät, als Retter des Protestantis mus und zugleich als Vertreter eines konfessionellen Ausgleichs im Blickpunkt der Ereignisse. Sicher hätte sich ein Mann von dem Charakter Agricolas für die Winkel züge dieser neuen, skrupellosen Politik nicht geeignet. Vielleicht konnte er das Vorgehen seines Landesherrn gegen den Kaiser nicht gutheißen, vielleicht hatte er aber auch bei seiner diplomatischen Tätigkeit während des Schmalkaldischen Krie ges selbst genügend Einblick gewonnen, um Moritz' Wendung zu verstehen; ja, viel leicht sah er in MORITZ nun den Herrscher, der das erreichen würde, was der alternde Kaiser nicht zustande gebracht hatte: die Beseitigung der kon fessionellen Spaltung im Deutschen Reich. Wir wissen nicht, wie Agricola damals darüber dachte. Seine „Stammtafeln", in denen er bei der Lebensbeschreibung seiner Landesherren mutig auch seine religiöse Auffassung niederschrieb, sind nicht im Original erhalten. Die Abschrift in der Sächsischen Landesbibliothek enthält seltsamerweise nichts über religiöse Fragen. Offenbar ist es eine Überarbeitung des FABRICIUS, seines Nachfolgers als Hofhistoriograph, der nach dem Zeugnis des ALBINUS u. a. Streichungen vornehm, „H>eiX Slftricola . . . biöiwilen etwas imgerermbtes von bem 9?eli$ionftreit mit eingcmenget" Die weitere Entwicklung verlief nicht so, wie Agricola es für wünschenswert hielt. Konnte man den Passauer Vertrag (1552) noch als Etappe auf dem Wege zu einer Einigung betrachten, so bedeutete der frühe Tod des Kurfürsten einen schweren Verlust. Kurfürst AUGUST hatte nicht das Format seines Bruders. Er beschränkte sich darauf, das Erbe zu sichern. Als praktischer Kopf schätzte er die Bedeutung des Begründers der Montanwissenschaft für die Wirtschaft seines Landes richtig ein. In seinem landesfürstlichen Egoismus untersagte er ihm die Herausgabe einer deut schen Übersetzung des Bergwerksbuches (De re m e t a 11 i c a) 2S . Für die religiöse Einstellung Agricolas hatte er kein Verständnis, und mit politischen Aufgaben hat er ihn sicher nicht betraut. Das neue, größere Kursachsen war eine Bastion des Luthertums, wo schon nicht mehr der Gegensatz Protestantismus — Katholizismus das religiöse Leben bestimmte, sondern wo bereits heftige Richtungskämpfe zwi schen den Protestanten verschiedener Färbung tobten. Aber das häßliche, kleinliche Theologengezänk mußte einen Menschen von Bildung und Charakter abstoßen. So blieb Agricola wie der ihm geistesverwandte ERASMUS VON ROTTERDAM Ka tholik. Der Augsburger Religionsfriede (1555), der die Spaltung zwischen Lutheranern und Katholiken sanktionierte, muß ihn hart getroffen haben. Er starb im selben Jahr, am 21. November, ohne vorher ernstlich krank gewesen zu sein. ALBINUS hebt hervor, daß er in der letzten Zeit die alte Lehre hartnäckig verteidigte. Das bestätigt FABRICIUS in seinem Brief vom 8. Dezember 1555 an MELANCFITHON, und er fügt hinzu: „Deswegen ist dem Verstorbenen auf Befehl des Fürsten, den dieser den Kircheninspektoren gegeben und den TETTELBACH als treuer Diener vollzogen hat, die Bestattung verweigert worden, und erst am 4. Tage ist er nach Zeitz übergeführt und im Dom beigesetzt worden". 20 Ob AUGUST diese Anordnung von sich aus als engherziger Lutheraner traf, oder ob sie nach einem Schritt des Chemnitzer Super- 27 ALBINUS, PETRUS: \Dici(jnifcf)c £anb t>nb 23crgd)ronica, Dresden 1589, S. 353/354 28 Sächsisches Landeshauptarchiv Dresden Cop. 259 Bl. 102a 29 BAUMGARTEN-CRUSIUS: a. a. O. p. 140