Chemnitz, die alte Markt- und Fernhändlersiedlung am Fuße des Erzgebirges, war im 16. Jahrhundert der Mittelpunkt eines dichten Verkehrsnetzes. Zwei Haupt handelswege überschritten hier den Chemnitzfluß: eine alte Salzstraße von Halle her nach Süden, die die Chemnitzer Kaufleute übers Gebirge nach Böhmen und böhmische Händler nach Chemnitz führte, und die von SW nach NO verlaufende sogenannte Frankenstraße. Auf beiden rollte ein beachtlicher Warenverkehr, beide hatten höchste Bedeutung für die Entwicklung der Stadt. Ver band die eine Chemnitz mit Prag und der Messestadt Leipzig, so stellte die andere die Verbindung sowohl nach den großen west- und süddeutschen Handelsplätzen Frankfurt a. M., Nürnberg und Augsburg als auch nach dem schlesisch-südpolnischen Osten mit Breslau und Krakau her. Im Schnittpunkt dieser Hauptverkehrswege liefen aber aus allen Himmelsrich tungen zahlreiche andere nicht unbedeutende Straßen zusammen, namentlich Ver sorgungsadern des menschenreichen Bergbaugebietes, das sich nicht aus eigener Scholle ernähren konnte. Damit trat Chemnitz, obwohl nicht selbst Bergstadt, zum Erzbergbau in nahe Beziehung. Infolge der verkehrsgünstigen Lage faßte der Frühkapitalismus in Chemnitz ver hältnismäßig zeitig Fuß. Bereits im Jahre 1357 war bei der Stadt eine vom Landesherrn privilegierte Bleiche für alles Bleich gut im Umkreis von 10 Meilen gegründet worden, und um 1470 entstand eine Saigerhütte, die mit Hilfe von Goslarer Blei das Kupfererz des Gebirges aufbereitete. Hinter der „Gesellschait des Chemnitzer Saigerhüttenhandels" verbarg sich die große Handelsgesellschaft der Welser, die die Hütte als Werk zeug ihrer Monopolbestrebungen auf dem Gebiet des Kupferhandels benutzten. Als Agricola in Chemnitz lebte, hatten beide Betriebe bereits stark an Bedeutung ein gebüßt. Doch war der Marktort Chemnitz, begünstigt durch das Bleichprivileg und unmittelbar beeinflußt von dem oberdeutschen Handelskapital, zum Mittelpunkt der westsächsischen Leineweberei und des Leinenhandels geworden. Das Han delskapital steigerte die Erzeugung von Textilien in bis dahin nicht gekannten Aus maßen. In der Stadt und in ihren kleinen Nachbarstädten wuchs die Zahl der Weber und der Webstühle beträchtlich. Da die Mehrzahl der Meister nicht kapitalkräftig genug war, um den wochenlang dauernden Bleichprozeß abzuwarten, kauften ver mögende Zunftgenossen sowie heimische und bald auch oberdeutsche Händler regelmäßig die Leinwand als Halbfabrikat auf und verdrängten auf diese Weise die Produzenten vom Markt. Uber den Einzel- und Zunftverlag brachten sie die Masse der Weber in ihre Abhängigkeit. Auf der Jagd nach Profit sorgten sie aber auch dafür, daß sich die Produktion den Erfordernissen des großen Marktes anpaßte, daß der Übergang von der Bleich leinwand zur Farbleinwand und von der Leinenerzeugung zur Barchentherstellung auch in Chemnitz erfolgte. Während sich damals einzelne Zunftgenossen zu Kauf leuten aufschwangen, sank die Masse der Webermeister zu abhängigen Heimarbei tern herab, die nicht selten ihren Verlegern tief verschuldet waren und ein ärm liches Leben fristeten. In der Tuchmacherei bildeten sich ähnliche Verhältnisse heraus, nur hatte dieses Gewerbe für Chemnitz bei weitem nicht die Bedeutung wie die Zeug- und Leine weberei.