Studienbehörde eine mehr oder minder lebhafte Fürsorge des Staates für die Blüte der Universität ab. Im großen und ganzen kann gesagt werden, daß gerade zur Agricola-Zeit die beauftragten Senatoren ihrer Aufgabe gewachsen waren und zahl reiche namhafte Kräfte für die Universität Padua gewonnen hatten. Nachdem wir etwas ausführlicher die allgemeine Situation auf den italienischen Universitäten am Beispiel Bolognas dargelegt haben, dürfte es statthaft sein, bei der Betrachtung Paduas nur einen ganz kleinen Kreis näher ins Auge zu fassen. Seit 1521 studierte in Padua REGINALD POLE, ein Vetter des Königs HEIN RICHS VIII. von England. Dessen Studium wurde aus der königlichen Schatulle gezahlt und die dem jungen Mann zur Verfügung gestellten Mittel erlaubten einen recht großzügigen Haushalt zu führen, so daß sich begreiflicherweise die in Italien studierenden Engländer dort sammelten. Vor allem die weniger gut gestellten Studenten fanden bei POLE ein offenes Haus und so bildete sich um den sehr be fähigten und offenbar auch sehr liebenswürdigen Verwandten des Königs ein großer Kreis von Landsleuten. Doch auch Fremde fanden Zutritt und sogar recht weit gehende Unterstützung. Der von den Engländern besonders bevorzugte akademische Lehrer war NICOLO LEON ICO TOMMEO, der sich vorwiegend mit den naturwissenschaftlichen griechi schen Traditionen beschäftigte. Zu diesem Kreis der in Padua studierenden Engländer hat Agricola Beziehungen aufgenommen. Er mag insofern leicht Anschluß gefunden haben, als er bereits in Leipzig Schüler des Engländers RICHARD CROKE gewesen war. Obendrein hatte sein Lehrer MOSELLANUS ihn auf den bedeutenden englischen Erasmianer THOMAS LINACRE hingewiesen, der als Arzt wie als Pädagoge eine gleich hervor ragende Rolle gespielt hat. Vor allem aber konnte sich Agricola selbst als tätiger Erasmianer ausweisen, und es gab wohl keinen englischen Humanisten, der nicht in ERASMUS VON ROTTERDAM die Inkarnation des eigenen Gelehrtenideals gesehen hätte. So umstritten ERASMUS schon damals in Deutschland, Frankreich, Spanien, in den Niederlanden und in Italien war, so fest hielten die Gelehrten in England, in Böhmen, in Ungarn und in Polen zu ihm 19 . Der damals (1524) versammelte Kreis von Engländern setzte sich aus Juristen und Medizinern zusammen, die über ihre verschiedenen Fachinteressen hinweg in politischen, religiösen und wissenschaftlichen Allgemeinanschauungen stark über einstimmten. Einige von ihnen hatten die sehr berühmte Kathedralschule zu St. Paul in London besucht, die 1509 eröffnet worden war. Deren Dechant JOHN COLET verwendete seine erheblichen Einkünfte darauf, ein gymnasium religionis Christia- nae zu schaffen, das eine bewußte Verbindung zwischen Antike und Christentum erstrebte. JOHN COLET und sein Freund WILLIAM LILLY, der Lehrer des Griechi schen, zeichneten sich durch hervorragendes pädagogisches Geschick aus: Indem sie auf das Beispiel des puer Jesus hinwiesen, der nach der Überlieferung im Alter von 12 Jahren im Tempel zu Jerusalem mit den Schriftgelehrten des Landes dispu tiert hatte, behandelten sie zum ersten Male das Kind — mindestens den Jungen — als gleichwertigen Gesprächspartner. Sie verzichteten auf das scholastische Ein- 19 Der sehr umfangreiche Brief des CASIBROTUS an ERASMUS (Nr. 1594 bei ALLEN) kann nur in Bd. V der Agricola-Gedenkausgabe umfassend behandelt werden. Das Nötigste in Gedenk ausgabe Bd. I, Kapitel Italien, Abschnitt Padua.