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kameraden Georgius Agricola, obwohl der Chemnitzer wie der Glauchauer Gelehrte zweifellos mehrere Monate miteinander die gleichen Kollegs aufgesucht haben müssen, da beide den Doktortitel erreichen wollten. Wir glauben feststellen zu können, daß Agricola den von Basel aus üblichen Weg über den St. Gotthard genommen hat. Es wäre möglich, daß er den Simpion oder den Gr. St. Bernhard benutzte, aber es ist wenig wahrscheinlich. Doch könnte man auch an die drei vielbegangenen Pässe aus dem Rheintal, den Lukmanier, Splügen und Septimer denken,- über den Septimer führte die einzige im Mittelalter mit Wagen befahrbare Paßstraße — alle anderen konnten nur zu Fuß oder mit Saumtieren über schritten werden’. Zog er über den St. Gotthard, die Paßstraße mit dem stärksten Verkehr, kam er in das Tal des Ticino und hatte dann in der Ebene die große Land straße vor sich, der noch heute die Eisenbahn folgt: Mailand—Pavia—Piacenza— Parma—Reggio—Modena—Bologna. Und dessen Universität * * * 10 ist offenbar sein erstes Ziel gewesen, das er noch im Spätherbst 1523 erreicht haben wird. Das Studienjahr in Bologna lief nämlich vom 10. Oktober bis zum 8. September. Spätestens bis zur feierlichen Eröffnung am 2. November mußte man sich immatri kuliert haben. Er wird also unter dem Rektorat des BONIFACIO SIGISMONDO Dl CARPE, rector artium 1522/3, 1523/4, 1524/5, die alma niater studiorum Bononensium bezogen haben. Nach dem rotulus (Dozentenverzeichnis) boten damals etwa 90 Do zenten ihre Vorlesungen an, die unbedeutenden Magister neben den hochberühmten, weltbekannten Namen, die etwa die cathedra mattutina de digestis et codice (die „Vormittagsprofessur für Zivilrecht") mit dem märchenhaften Gehalt von 2100 Lire (nach der Kaufkraft von 1931 etwa 120 000 Reichsmark!) im Jahre inne hatten. 28 000 Lire warf die Stadt jährlich an Gehältern aus. Natürlich überwogen in den oberen und niederen Dozenturen die Juristen, doch auch die Medizi ner konnten sich sehen lassen. Ihre Spitzen verteilten sich auf die: 1. medicina ordinaria et extraordinaria 2. theoria medicinae 3. praxis medicinae 4. chirurgia 5. astronomia 6. cathedra de simplicibus et compositis Unter den Medizinern ragte hervor: BERENGARIO DA CAPRI (JACOPO BARI- GAZZI), der 25 Jahre den Lehrstuhl der chirurgia innehatte und als der bedeutendste Chirurg und Anatom galt. Seine Gegner warfen ihm ja sogar vor, er habe nicht nur Hunderte von Leichen seziert, sondern sogar Lebende! Er war 1460 geboren als Sohn eines tüchtigen Barbiers und Wundarztes, 1489 wurde er Dr. med. in Bologna und 1502 Professor der Chirurgie. LORENZO DI MEDICI ernannte ihn 1507 zu seinem Leibarzt, 1525 folgte er GIOVANNI DELLA BANDE NERE. Von 1527—1530 dozierte er in Ferrara. Er war ein Gewaltmensch, geprägt durch die Renaissance, daneben ein kunstverständiger Antikensammler, vor allem aber ein sehr klarer Denker, von ’ Am übersichtlichsten noch immer das in der theoretischen Position freilich unhaltbare Werk von W. SOMBART: Der moderne Kapitalismus — Münch en/Leipzig 1924 Bd. II, 1 264—268, 325—329. 10 zu Bologna vgl.: 1. A. SORBELLI — L. SIMEONI: Storia della Universitä di Bologna — Bologna 1940 2 Bde. 2. C. CALCATENA: L’universitä degli studi di Bologna — Bologna 1948 (die weniger gute Dar stellung).