AGRICOLA IN ZWICKAU Von KARL STEINMULLER, Zwickau Nach geläufiger Auffassung hat AGRICOLA zweimal längere Zeit in Zwickau geweilt, einmal als Schüler, zum andern, von 1518 bis 1522, als Lehrer. Für die Schul zeit konnten und können begrenzende Daten nicht angegeben werden; quellen mäßig ist sie überhaupt nicht belegbar. Die folgenden Ausführungen 1 müssen daher zunächst zu der Frage Stellung nehmen: Ist Agricola wirklich Schüler der Zwickauer Lateinschule gewesen? In der Literatur wird einheitlich die Auffassung vertreten, daß diese Schule schon um 1500 „weithin berühmt" war und „als köstlichstes Kleinod der Zwickauer in hohem Ansehen stand". Gegen 900 Schüler sollen sie jährlich be sucht haben. Diese Einschätzung muß bei näherer Betrachtung als weit übertrieben abgelehnt werden. Im Jahre 1479 errichtete der reiche Zwickauer Bürger MARTIN RÖMER einen Neubau der Schule, der bis 1880 auf der Südseite des Kirchhofes von St. Marien stand. Wenn vielleicht auch das bis zur Errichtung des neuen Baues als Unterrichts gebäude dienende weiterhin mit für schulische Zwecke benutzt wurde: kann man sich vorstellen, daß in diesen beiden Häusern täglich 900 Schüler Platz fanden? Daß darüber hinaus noch Platz vorhanden war für die Wohnung des Schulmeisters und die Kammern der zahlreichen von auswärts stammenden Schüler, d. h. für das Internat? Können 900 Schüler von einem Schulmeister und zwei oder drei Gehilfen betreut werden? Die vom Chronisten PETER SCHUMANN überlieferte Zahl ist glatt abzulehnen. Vielleicht ist mit ,,900" die Gesamtzahl der während der Amts zeit des Schulmeisters Mag. VALENTIN STRÖDEL (1476—1490) immatrikulierten Schüler gemeint. Diese Lesart wäre real, dem gesunden Menschenverstand anzu nehmen möglich. Die Schule könnte auch dabei noch berühmt gewesen sein. Aber für die Zeit von 1500 ab lassen die Quellen eindeutig erkennen, daß die Bürger schaft mit der Schule nicht zufrieden ist: die Gemeinde verlangt 1503, „über ben Sd)ulmeifter unb auf bie öcfjul (besser) aufjufefjen", die Tuchmacher beschweren sich 1507, daß der Schulmeister „feinen fjleifj tue", und die Schuster erklären offen, die Schule sei übel versorgt. Mehrfach wird verlangt, dem Schulmeister das pretium (Schulgeld) zu verringern! Wenn STRÖDEL noch als tüchtiger Schulmeister gerühmt wird, so fallen seine Nachfolger bedenklich ab. Von 1500 bis 1517 bekleiden nicht weniger als sieben Personen nacheinander das Schulmeisteramt. Dieser häufige Wechsel, die mangelhafte Disziplin, für die es Zeugnisse gibt, die Kritik von selten der Bürgerschaft passen nicht zu dem überlieferten Bild von der „berühmten" Zwik- kauer Schule. Das ist die Situation beim Eintritt der beiden Männer, die die Wende in der Schulgeschichte herbeiführen sollten: STEPHAN ROTH und GEORGIUS AGRICOLA. Aus einer Briefstelle von 1533 (Agricola an ROTH) spricht die Erinne- * Wegen Raummangel konnte dieser Beitrag nicht in vollem Umfang gebracht werden. Es mußte außerdem grundsätzlich auf den Abdruck der Belege und der zahlreichen Anmerkungen ver zichtet werden. Der ausführliche Originalbeitrag wird in dem Freiberger Forschungsheft D 18 veröffentlicht werden.