Volltext Seite (XML)
AGRICOLA ALS ARZT Von THEODOR BRUGSCH, Berlin AGRICOLA ist auch als A r z t in die Geschichte der medizinischen Wissenschaft eingegangen. Er gehört zwar nicht in die Reihe der großen medizinischen Reforma toren, die die neuzeitliche Medizin im 16. Jahrhundert begründet haben (es sind deren drei: VESAL, PARACELSUS und PARE), aber er gehört doch zu den deutschen Männern, die nicht nur im Rufe großer Gelehrsamkeit in ihrer Zeit gestanden haben, sondern die auf Grund ihrer philologischen Bildung und ihrer naturwissenschaft lichen Beobachtungsgabe imstande waren, die medizinischen Probleme nicht allein mit den Denkkategorien der griechisch-römischen Medizin des Altertums zu be trachten, sondern selbständig naturwissenschaftliche Grundlagen zu schaffen, die auch für die Medizin mittelbar oder unmittelbar von Bedeutung geworden sind. Es ist schon richtig, wenn man medizinhistorisch Agricola zu den philologischen Medizinern des 16. Jahrhunderts zählt, aber ebenso richtig wäre es, ihn darüber hinaus auf Grund der ersten systematischen Darstellung der Mineralogie als naturwissenschaftlichen Mediziner zu bezeichnen. Naturgemäß sind die mineralogischen Grundlagen für die Medizin nicht unmittel bar in die Augen fallend, aber man darf nicht außer acht lassen, daß im Laufe der letzten vier Jahrhunderte die Medizin nur durch die gesamten naturwissen schaftlichen Erkenntnisse die Grundlagen gewonnen hat, die uns berechtigen, die heutige Medizin als eine auf den Menschen angewandte Naturwissenschaft zu definieren. Mit dieser Charakterisierung tritt scheinbar die ärztliche Kunst in den Hintergrund, aber sie bleibt die notwendige Ergänzung zu der Grund lage naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in ärztlichen schöpferischen Händen, denn eine auf den Menschen angewandte Heilkunst bedeutet mehr als nur die Summe von erlerntem naturwissenschaftlichem Wissen. Sie bedeutet für den Arzt die Fähigkeit, am Menschen die Probleme von Krankheiten, deren Bekämpfung und Verhütung im weitesten Felde sozialer Gemeinschaft und natürlicher Gegebenheiten zu erfassen und entsprechend zu beobachten und mit seinem Wissen und seinen persönlichen Erfahrungen zu lösen. In diesem Sinne war Agricola auch ein echter Arzt, was sich dokumentarisch in seinem berühmten Werk über das Berg- und Hüt tenwesen zeigt, in dem er von den Krankheiten der Bergleute und deren Verhütung berichtet, aber auch in seiner Monographie über die Pest. Agricola war und blieb sein Leben lang Arzt, denn er hat die ärztliche Position bis zu seinem Tode nicht aufgegeben. Er war aber doch nur ein Arzt seiner Zeit, und es geziemt sich, ihn in bezug auf seine Zeit hier zu schildern. Es ist anzunehmen, daß Agricola bereits bei seinem zweiten Aufenthalt an der Universität Leipzig 1522 23 mit dem Studium der Medizin begonnen hat. 1523 reist er nach Italien, wo die Universitäten, vor allem Bologna und Padua, in besonderer Blüte standen. Während für Bologna eine klare Übersicht über die zahlreichen Dozenten der medizi nischen Fakultät zur Zeit Agricolas zu gewinnen ist, finden wir in Padua die große Blüte der dortigen Medizinschule verwelkt. Agricolas Freund, JOHANNES NAEVIUS, nennt nur zwei