ZUM GELEIT LLJenn wir der Großen unseres Volkes gedenken, so dürfen wir uns nicht nur der Männer erinnern, die mit kühnem Geistesschwung das Volk aufgerüttelt und den Kampf gegen die Schwächen ihrer Zeit verkündet haben, wie FRIEDRICH SCHILLER, den wir in diesem Jahre ehrten, sondern wir müssen in gleicher Weise derer geden ken, die mit beiden Füßen im Leben stehend vorausschauend gewirkt und den Men schen gelehrt haben, sich die Arbeit zu erleichtern, die Natur zu beherrschen und die Kultur zu mehren. Zu diesen Männern gehört GEORGIUS AGRICOLA. Er war ein Kind seiner Zeit, des Humanismus, und war ihr verschrieben. Aber er erfaßte die Aufgabe des aufstrebenden Bürgertums anders als die meisten seiner Zeit genossen: er sah das Studium der Schriften des klassischen Altertums nicht als Selbstzweck und als Vorrecht der Gebildeten an, sondern er suchte die Lehren der antiken Wissenschaft im Interesse der Menschheit auszuwerten und weiterzuentwickeln. Als Arzt wollte er die verlorengegangenen Kenntnisse von Heilmitteln neu beleben. Zugleich stellte er die Forderung, daß der Arzt nicht nur heilen, sondern den Krankheiten vorbeugen solle-, er stieg in die Bergwerke hinab, um die Arbeit der ihm anvertrauten Menschen und die gesundheitlichen Gefahren dieser Arbeit kennenzulernen. Das führte ihn zur Nalurbeobachtung. Er wurde der „Vater der Mineralogie". Dabei erkannte er, daß der deutsche Berg- und Hütten mann trotz Fehlens aller wissenschaftlichen Erklärungen eine Fülle von Erfahrun gen gesammelt hatte, um in größere Teufe vorzudringen und aus den Erzen Metalle zu erschmelzen, daß diese Erfahrungen aber nur durch mündliche Überlieferung fortgepflanzt wurden und dadurch häufig wieder verlorengingen. So trug er die Kenntnisse nicht nur des erzgebirgischen Berg- und Hüttenwesens, sondern aller ihm erreichbaren Bergbaubezirke zusammen und schuf in- seinem Hauptwerk ,,D e re m e t a 11 i c a" das erste Handbuch des Berg- und Hüttenwesens, das weit über Deutschlands Grenzen hinaus Beachtung fand und für mindestens drei Jahrhunderte den Bergbau der Welt beeinflußt hat. Zum ersten Male in der Weltgeschichte grün dete ein Wissenschaftler von sich aus das Bündnis zwischen Intelli genz und Werktätigen, das sich als außerordentlich fruchtbringend erwies. Schon allein diese Tatsache berechtigt und verpflichtet uns, Agricolas An denken in der Nachwelt zu wahren, zumal er selbst ein aufrechter Mann und ein deutscher Patriot war, der zur Einheit des deutschen Vaterlandes rief. Berlin, November 1955 (Selbmann) Minister für Schwerindustrie