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268 Das Böttgersche Erbe. Doch Pere d'Entrecolles hatte noch mehr getan, als bloß theoretische Unter weisungen aus China zu senden. Er hatte, um gleich auch die Praxis zu ermöglichen, Proben der beiden genannten Bestandteile des chinesischen Porzellans nach Europa gesandt, und diese waren dem berühmten französischen Physiker Reaumur in die Hände gefallen, der sie aufs eingehendste untersuchte. Das Resultat dieser Untersuchung war das gewünschte: eine klare Feststellung des wirklichen Prinzips des Porzellans. Er erkannte deutlich die Feuerbeständigkeit des einen, die Fließ barkeit des anderen, und stellte nun auf Grund dieses Prinzips nach Böttger in Europa zum ersten Male wirklich selbständig das echte Porzellan her 717 ). Damit war ein gewisses Ziel glücklich erreicht. Aber dann war es, als die aus China mitge brachten Stoffe aufgebraucht waren, auch wieder mit aller Weisheit zu Ende. Es' fehlte, wie bei diesen Bestrebungen jetzt so häufig, das Kaolin, obwohl Reaumur der festen Überzeugung war, diesen Stoff auch in Frankreich auffinden zu können, und auch er, der große Physiker, mußte jetzt nach Böttgers Erfindung noch seine Zuflucht nehmen zu einem Surrogat, einem sogenannten „entglasten“ Glase, einem Glase, das er künstlich weniger durchscheinend und unvollkommen machte 718 .) Es war wieder eine Art Frittenporzellan, das aber nicht wie bisher in Frankreich durch Herstellung eines schlechten Glases, sondern durch Umschmelzung eines guten gewonnen wurde. Er war die genaue Umkehrung des bisher in Frankreich auf diesem Gebiete verfolgten Prinzips. Doch irgend eine praktische Bedeutung hat diese neue und eigenartige Methode Reaumurs dann nicht gewonnen. Sie ist in keiner Weise weiter ausgenutzt worden und so nur eine interessante Methode mehr auf diesem Gebiete geblieben. Am planvollsten und energischsten aber ging in dieser Zeit, um von China das langgesuchte Geheimnis des Porzellans herauszubekommen, Rußland vor. Hier, wo es seit Peter dem Großen unter den Herrschern Sitte geworden war, alles zu tun, um eine einheimische Industrie ins Leben zu rufen, wurden in den Jahren 1743 und 1745 mit jenen Karawanen, die damals auf Kosten der Zaren zur Be lebung des Handels nach China geschickt zu werden pflegten, auch einige Leute mit gesandt, denen der Auftrag gegeben war, sich auf irgend eine Weise an Ort und Stelle in den Besitz dieses Geheimnisses zu setzen. Davon kam der erste Ausge sandte — freilich scheinbar nur wegen nicht genügender Unterstützung — völlig resultatlos wieder zurück, dem zweiten dagegen glückte es wirklich, von einem Werkführer der kaiserlichen Manufaktur gegen eine hohe Summe über das Wesen des Porzellans Aufklärung zu erhalten. Als er aber zurückgekehrt, sich ans Probieren machte, scheint er zwar etwas Porzellanartiges zustande gebracht zu haben, aber doch nichts, was sich als wirklich brauchbar erwies, und so war auch dies Attentat auf das Geheimnis des chinesischen Porzellans völlig vergeblich gewesen 719 ). Inzwischen jedoch war in Deutschland, dem Lande der Porzellannacherfindung Böttgers, ein neues keramisches Leben erwacht und eine Begierde, das Porzellan nachzumachen, wie man es vorher hier noch nicht gekannt hatte. Bald gab es hier kaum einen Fürsten mehr, der nur ein einigermaßen großes Land regierte,