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238 Das Böttgerporzellan. Monumentalität entfalten, als es hier geschehen. Beide Arbeiten, sowohl die im Steinzeug, wie die in Porzellan, dürften die besten selbständigen Werke dieser Zeit in den von Böttger erfundenen Materialien darstellen und auch wohl trotz teil weiser Verschiedenheit der Auffassung von derselben Hand stammen. Dann aber tauchen wirklich seltsame Gebilde auf: man erblickt zunächst, immer noch in kleinem Maßstabe, auf ovalen, gedrehten Sockeln zwei fürstliche Persön lichkeiten, ein alter, ein wenig gebeugter Herrscher, wiederum mit langwallender Gewandung, der auf dem Kopf eine Art Ritterhelm mit starkem Federbusch trägt, in der Rechten dagegen einen Pokal hält, so daß er fast wie ein König von Thule erscheint; dann eine Königin, gleichfalls in weitwallender Gewandung mit der Krone auf dem Haupte (Abb. 103). Diese beiden Arbeiten können ihrem ganzen Stile, besonders aber der Gewandbehandlung nach, von dem Urheber der Königsstatuetten stammen. Was aber bedeuten sie ? Was besagt ihre so unklare Charakteristik ? Sind sie, die fast wie Karikaturen auf das damalige Fürstentum aussehen, nur kuriose Einfälle einer seltsamen Phantasie ? Oder sind sie Illustrationen zu irgend einem früheren geschichtlichen oder biblischen Ereignisse ? 829 ) Aber dann geht es noch seltsamer weiter. Eine steif aufgestellte, in einem langen Mantel gekleidete und mit einem spitzen, dreieckigen Hut bedeckte Figur gibt sich unverkennbar als Chinese (Abb. 103), ein Bauer in einer fremdländischenTracht, an den sich ein Kind in langen Hosen und mit langen, bis zu den Beinen herab fallenden Haaren klammert, erscheint fast wie ein Bewohner jener östlichen Ge genden, die August der Starke als König von Polen seinem Stammlande ange gliedert hatte. Beide fremdländischen Völkerschaften, für die sich damals Sachsen und seine Bewohner besonders interessiert haben müssen, würden demnach schon damals im Porzellan erschienen sein, wie sie es später im 18. Jahrhundert noch so oft tun sollten. Dann aber kommt als Eigenartigstes ein Geschlecht von Zwergen, häßlich, verwachsen und plump, in den seltsamsten Kostümen, mit den seltsamsten, meist aufgeregten, wie sprechenden Gebärden und viel zu großen Köpfen und noch größeren Kopfbedeckungen und Perücken 63 °). Es sind Männer und Frauen, mehrfach auf höheren, profilierten, auch ausgerundeten Sockeln stehend, die ersichtlich Kari katuren darstellen auf irgendwelche Charaktere, Berufe u. dgl., auf Fürsten wie Bürger und Bauern, selbst auch wieder auf fremde Völker. Man glaubt darunter Ratsherren zu sehen, dann Bürgersfrauen, Musikanten, biedere Handwerker, einen König in einer Art Schlafrock, merkwürdigerweise wieder mit einem Becher in der Hand, einen Indianer usw. (Abb.101, 102, 110). Derartige Figuren, ursprünglich eine Erfindung des seltsamen französischen Radierers des 17. Jahrhunderts Callot, der sie in einer Reihe von Stichen herausgegeben hat, sind damals, wie es ihr häufiges Vorkommen in dieser Zeit zu beweisen scheint, Mode gewesen, vor allem in der Plastik 631 ). Es waren auch Motive, so recht aus dem Geist des stets zum Absonder lichen, Ungewöhnlichen und Verblüffenden sich hinneigenden Barocks erfunden, zugleich auch solche, die wegen ihrer Niedlichkeit und Kleinheit gar wohl für