Volltext Seite (XML)
76 Die Steinzeugfabrik. nischem Geschick zurechtzufinden schien 200 ). So ward ihm jetzt, jedenfalls auf Böttgers Betreiben, durch den König zunächst mündlich, später durch besondere Instruktion anempfohlen, „der Porzellanfabrik hülfreiche Hand zu leisten und auf „solche Inventionen zu denken, damit außerordentlich große, teils andere Sorten sauberer und künstlerischer Geschirre möchten erzeuget werden“, und Irminger begann hierauf in der Tat „unterschiedliche Arten verzierter und un verzierter Modelle“ auszusinnen und die Modelle dazu, wie bereits erwähnt, sogar in Silber und Kupfer zu treiben, bei welcher Arbeit ihm wohl jene Gold schmiedegesellen geholfen haben, die nachweislich in dieser Zeit für die Manufaktur beschäftigt wurden, ein deutliches Zeichen, wie ratlos man damals noch diesem neuen Produkte gegenüberstand, doch auch, wie hoch seine Wertschätzung ging. Irminger ist dann oft Woche für Woche nach Meißen gefahren, um hier die Ausführung seiner Modelle im Steinzeug zu überwachen und den Ar beitern die dazu nötigen Handgriffe zu lehren 201 ). Er muß ein in jeder Beziehung gewissenhafter und fleißiger Mann gewesen sein, einer jener wenigen, deren Wahl für die Zwecke der Manufaktur der König und Böttger nie bereut haben werden 202 ). Von vornherein durch seine ganze Entstehungsgeschichte gegeben war aber als Hauptveredlungsmittel des roten Steinzeugs der Schliff, das alte Verzierungsmittel Tschirnhausens, das ja allein zur Auffindung des Prinzips des Porzellans und damit dieses selber geführt hatte. Er sollte hier nach wie vor die Glasur ersetzen, zu der schönen, tiefen, rotbraunen Farbe dieses Materials auch noch den festlichen Glanz hinzufügen, vor allem aber dies Surrogat eines edlen Naturprodukts diesem annähern, soweit es nur irgend möglich war. Diese Bestrebungen Böttgers hingen aufs engste mit der ganzen Geschmacksrichtung dieser Zeit des Barocks zusammen, die immer ein ganz be sonderes Gefallen an nicht bloß materiell, sondern auch ästhetisch wertvollen Materialien gefunden hat, wie kaum eine Zeit vor- oder nachher. Mit Leidenschaft griff man damals zum Elfenbein, zum Bergkristall, zu Edel- und Halbedelsteinen, Korallen u. dgl., verschleuderte Unsummen, um sie zu erwerben und ließ sie in die wertvollsten Materialien mit der höchsten Kunst, die zur Verfügung stand, fassen. Ganze Kabinette wurden von solchen kostbar verarbeiteten Materialien angelegt, man suchte sich in der Vermehrung derselben gegenseitig nur zu über bieten. Man hat eine solche Leidenschaft für derartig wertvolle Materialien vielfach als ein Zeichen künstlerischen Verfalls angesehen und jenen Zeiten, die ihr erlagen, wohl das wahre, selbstlose Kunstempfinden absprechen wollen; wohl mit Unrecht. Warum soll sich der Mensch nicht freuen an jenen edlen Produkten, die die Natur hervorbringt, warum durch sie nicht einen Genuß empfinden, dem ähnlich, den seine eigenen Werke, seine künstlerischen Arbeiten in ihm hervor zurufen pflegen? Eine wirklich verfeinerte Welt mit offenen Augen für alles Schöne kann nicht an derartigen Dingen vorübergehen: sie müssen sie reizen, müssen ihr gefallen und ihr begehrenswert erscheinen, und es ist nur ein trauriges Zeichen