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Dritte Anlage zu Ar. 146 des sächsischen Lrzäßlers. Bischofswerda, de« 14. Dezeurbee 1«V1.. - Deutscher Reichstag. L 110. Sitzung vom 11. Dezbr., Nachm. 1 Uhr. Lm Bunde»rath»tisch: Graf v. PosadowSky, Frhr. v. Rheinbaben, Möller, v. PodbielSki. Obwohl der Wunsch nach WeihnachtSsrrien bei den Abgeordneten immer wehr zum Durchbruch kommt und dieser Wunsch noch dem Ausbau dr- WrihnochtSmarktrS immer dringlicher wird, war da» Hau» heute besser besucht al» in den letzten Tagen. Die Säumigen sind hrrvorgrholt worden, damit sich beim Schluß der Debatte und dem Antrag auf KommilsionSbrrothung nicht etwa ein beschlußunfähige» Hau« ergiebt. Erster Redner war der Abg. Graf Kanitz (kons.)7 der unser zollpolitisches Berhältniß zu Amerika, England, Rußland, Oesterreich - Ungarn in ausführlichster Weise beleuchtete, den Widerstreit der Interessen klarlegte und zu dem Ergebniß kam, daß wir nur durch rücksichtslose Wahrung dieser eigenen Interessen zu nützlichen Handelsverträgen kommen. Die einseitige Forderung zum Industriestaat, die Preisgabe der Londwirthschast führen zum Ruin des Staatswesens, wie dies Mommsen bereits in seiner römischen Geschichte nachgewiesen habe. Erhalten Sie uns die ländliche Bevölkerung, darin gipfelt unsere VolkSkrast. Nach ihm sprach Abg. Singer (soz.), der in dem vorliegenden Entwurf den Ausfluß agrarischer Begehrlichkeit erblickte und meinte, daß die deutschen Fürsten als Groß grundbesitzer von dem Zolltarif einen Gewinn von vielen Millionen haben würden. Die Borlagr wolle die Besteuerung des Hungers, nieder mit dem Zolltarif! nieder mit dem Brotwucher! (Uh! rechts.) Nach dieser zweistündigen Rede kam der Vertreter des bairischen CentrumS, Abg. Heine, zum Wort, der mit gutem Humor die Stilblüthen Singers zerpflückte und für «ine nachdrückliche Förderung der landwirthschastlichen Interessen eintrat. Im einzelnen fordert er eine Erhöhung deS Mindestzolles und einen Einheitssatz für sämmtliche Hauptgetreidearten. Den Hofbauern müsse geholfen werden durch die Erhöhung deS Gerstenzolles. Die Sozialdemokratie wolle nur den Ruin deS Bauernstandes, Herr Singer kenne gornicht die Verhältnisse auf dem Lande, eine mäßige Erhöhung des Zolls werde den Bauern außerordentlich nützlich sein. Nachdem Redner im weiteren Verlaus unter größter Spannung deS Hauses und unter fortgesetztem nicht enden wollen dem Beifall die sozialdemokratische Agitation ausS schärfste gegeißelt und ins lächerliche gezogen hatte, nahm in vorgerückter Stunde noch der Land- wirthschaftSminister von Podbielski da« Wort zur Zurückweisung der Angriffe Singers, woraus die Debatte auf Donnerstag 11 Uhr vertagt wurde. * 111. Sitzung vom 12. Dezember, Vorm. 11 Uhr. Am BundesrathStisch: Graf v. Posa- dowSky, Frhr. v. Rheinbaben, Müller. Um die Generaldebatte zum Zolltarif heute beenden und in die Weihnachtsserien treten zu können, be gann die heutige Sitzung bereits um 11 Uhr. Die Aussicht aus baldigen Schluß war beim Br- ginn freilich sehr gering; das HauS war schwach besetzt, also von der Gnade der Gegner abhängig, die eS in der Hand hatten, durch Anzweifelung der Beschlußfähigkeit die Sitzung zu sprengen, zu dem waren noch 20 Redner vorgemeldet, von denen nur wenige Neigung »um Verzicht hatten. Den Reigen der Redner eröffnete heute der Abgeordnete Pachnicke (kr.Bg), der nochmals den bekannten Standpunkt deS HandelSvertragSvereia« vertrat. Unter dem Borgeben, den Abschluß neuer Handels verträge nicht zu gefährden, bekämpfte er die vor gelegten Entwürfe, insbesondere dir Minimalzölle für Getreide. Hierauf ergriff nochmals das Wort Staatssekretär Traf v. PosadowSky, um ver- fchiedene Unrichtigkeiten det Gegner zu widerlegen. Er stellte fest, daß bereits Frhr. v. Marschall, die Seele der Caprivi'schrn Handelspolitik, die Auf stellung eine» neuen Zolltarifs eingeleitet habe, daß die neuen Entwürfe zu Stande gekommen sind unter der Mitwirkung aller berufenen Fak toren und daß auch die Vertreter des Handels in ausreichender Weise gehört feien. Nochmals trat Redner süt eine erhöhte Fürsorge für die Land- «irthfchaft ein, warnte aber davor, die Forde rungen zu hoch zu spannen, damit nicht das Kind mit dem Bade auSgeschüttrt werde. Abg. vr. Arendt (Rp.) und Abg. Münch-Ferber (nl.) erklärten sich mit großem Nachdruck für größere Fürsorge für die Landwirthschaft und demzufolge für Mindestzöll« kür Getreide. Nach weiteren Red« der Abgg. Stolle (Sz.) und Argner (Cent ), der die Vorgänge de» bairischen Hopsen» und bairischen Biere» anscheinend au» ureigener Erfahrung schilderte und damit da» Hau» in eine aemüthliche Stimmung versetzte, sowie der Abgg. Faller (nl.) und Rösicke-Jessau (wildlib.) wurde die Debatte geschloffen und die Borlage an eine Commission von 28 Mitgliedern verwiesen. Damit ist die Tagesordnung erschöpft, das Hau tritt in die WrihnachtSserien ein. Nächste Sitzung Mittwoch, den 8. Januar, 2 Uhr. Tagesordnung 1. Lesung de» Etat». Schluß 6'/i Uhr. Vermischtes. — Deutsche Weihnacht auf hoher See. Aus einsamem Schiff aus der weiten See wird, soweit die deutsche Flagge fliegt, der Zauber der deutschen Christnacht doppelt empfunden, und rS ist ein schöner Brauch, daß auf den Schiffen eine Weihnachtsfeier nach der Sitte der Hrimath er möglicht wird. Zur Ausrüstung aller großen Seeschiffe, der Hamburg-Amerika-Linir, die bis Weihnachten nicht nach Hamburg zurückkehren, sonder« das Fest auf hoher See oder in fremden Häsen feiern, gehört schon seit Mitte November ein Tannenbaum mit Wurzeln und Erdbällen, die ihn frisch erhalten, und gehört der Christbaum schmuck mit Leuchtern, Lichtern, Guirlandrn, Baum- behäng und Konfekt. Die Passagierschiffe der Gesellschaft, die während der Weihnachtszeit unter wegs sind, erhalten eine entsprechend verstärkte Ausrüstung für jede Kajüte, für Zwischendeck und Mannschaft. Wer also seinen Freunden draußen auf dem Meere ein „frohes Fest" wünscht, der darf auch die Hoffnung hegen, daß sein Wunsch in Erfüllung geht. — Breslau, 9. Dezember, lieber eine ent setzenerregende Mordthat wird aus Guhrau ge meldet: In Nieder-Tschirnau hat ein Auszügler den Ehemann seiner Tochter im Bette überfallen, dem Schlafenden einen Strik um den Hals gelegt und ihn so durch's HauS geschleift. Als der Schwiegersohn zur Besinnung kam und Wider stand leistete, eilte die Tochter ihrem Vater zu Hilfe, und Beide erdrosselten den sich verzweifelt Wehrenden. Dann hängten sie die Leiche an die Decke des Kellergewölbes. Beide wurden ver haftet und haben die That bereits gestanden. — Berlin, 11. Dezember. Einen kostbaren Fund, den er lange Zeit für werthlos hielt, hat rin Straßenbahnbramter jetzt der Polizei übergeben. Der Mann fand vor drei Jahren an einer Weiche beim Umstellen eines Wagens einen Stein, der in Metall eingefaßt war. Er erkannte weder das Metall als Gold, noch den Werth des Steines, steckte ihn aber ein und warf ihn zu Hause in eine Schachtel mit alten Knöpfen. Bor einigen Tagen erhielt er zusällig Gelegenheit seinen Fund einem Toldarbeiter zu zeigen; dieser sah sofort, daß es ein in Gold gefaßter Brillant ist. Der Straßenbahner übergab jetzt den Fund der Polizei, die nun den Eigenthümer sucht. Der Brillant, der im Zimmer 37 de» Polizeipräsidium» besichtigt werden kann, wiegt 3^/, Karat und ist mindestens 1000 Mark Werth. Er scheint zu einer Nadel gehört zu haben. — Lehrte, 11. Dezember. Der Berliner Zug überfuhr bei Dollpbrrgen da» Fuhrwerk deS Hofbesitzers SefferS«Abbenrode. Seffer» wurde grtödtrt, beide Pferde zermalmt und da» Fuhr werk zertrümmert. Kattowitz, 10. Dezember. Die be schlossene gemeinsame Lohareduzirung auf sämmt- lichen Hüttenwerken Oberschlesten» soll Mitte Januar eintreten. — Merseburg, 11. Dez. Im Hause Neu markt V2 geriethen die beiden Kinder eine» Hand arbeiter», die am Ofen gespielt und dabei einen Stubenbrand herbeigrsührt hatten, in große Lebensgefahr. Andere Hausbewohner bemerkten zum Glück den au» der Wohnung dringenden Rauch und retteten die bereit» vom Rauche be täubten Kinder. — Gotha, 11. Dez. Der Prinzregent hat der Stadt 300 Mk. zur Beschaffung von Heiz- material für Arme überwiesen. Die Bertheilung soll kurz vor Weihnachten erfolgen. — Köln, 10. Dezember. Die verstorbene Iran Geheimrath v. Meviffe« hat der Stadt für die Kölner Hochschule 300,000 Mark vermacht. — Köln, 11. Dezember. Die Strafkammer verurthrilte den Schutzmann Dressel, der einen Schlosser bei dessen Verfolgung mit dem Säbel schwer verletzte, zu drei Monaten Gefäagaiß. — Frankfurt a. O., 12. Dezbr. Heute Nachmittag nach 4 Uhr stürzte ein Theil de» Neubaue» de» Gutsrld'schen WaarenhauseS ein. Sech» Arbeiter wurden unter der eingrstürzten starken Monierdrcke begraben. Bier Arbeiter find bisher schwer verletzt nach dem Krankrohause ge schafft worden. Die Feuerwehr arbeitet an der Befreiung der übrigen Verschütteten. — Als in München während einer Ehe schließung der Bräutigam die übliche Frage de» Standesbeamten mit ja beantwortete, erschoß sich im Züschauerraum ein junge» Mädchen. E» handelt sich um die That einer Verlassenen, welche noch während de» Fallen» den Namen de» Bräuti gams rief. Die Eheschließung fand trotzdem statt. — (Vermischte Nachrichten.) Die Rettungsstation Kvxhaven der Deutschen Gesell schaft zur Rettung Schiffbrüchiger telegraphiert: Am 10. Dezember von dem auf Scharhoern ge strandeten deutschen Schooner „Vorwärts- (Kapitän Kämpen) mit Schiefer von Nantes nach Harburg bestimmt, 6 Personen durch da» Rettungsboot des zweiten Elbe-Lloydschiffe» gerettet. — Eine furcht bare Feuersbrunst äscherte rin große» Bauergut -in Kritschen (Kreis OelS) ein. Die Schwester des Besitzers und ein Auszügler sind in den Flammen umgekommen. — Der Direktor BreSlauer in Breslau soll nach einer nun dreimonatigen Unter suchungshaft seine Mitschuld an der Millionen« Unterschlagung seine» MitdirektorS SchoStag gegen die Rherderri vereinigter Schiffer eingestandrn haben. — In dem Elbe-Trave-Kanal bei Büssau ist der Schleppdampfer „C. Bering" infolge einer Kollision mit einem Schlcppkahn untergegangen. Der Maschinist ist ertrunken. — Der Kassierer der Farmersbank in Los Angeles (Nordamerika) ist mit 100,000 Dollar in baar verschwunden — Daß trotz der schlechten Zeiten in gewissen Kreisen noch immer „gelebt" wird, mag die Thatsache be weisen, daß vor einiger Zeit der bekannte Berliner Bankier Georg Bleichrüder zu einer seiner Gesell schaften 2 Mitglieder der Großen Pariser Oper nach Berlin kommen ließ und ihnen für den Vor trag einiger Lieder 8000 Mark zahlte. — Der Musketier Nowacki vom 2. ostastatischrn Infanterie- Regiment wurde am Dienstag in Berlin wege» Gehorsamsverweigerung und thätlichen Angriffs auf einen Vorgesetzten, begangen aus der Rückreise von Ostasten nach Deutschland in Wien, zu drei Jahren Tefängniß verurtheilt, der der Beihilfe Mitangeklagte Gefreite Fischer zu 3 Wochen, rin dritter Soldat Kr-use wurde freigesprochen. — Budapest, 11. Dezember. Einige hundert Arbeitslose veranstalteten heute Kundgebungen vor dem Nationalkasino und vor dem Adelskasino. Die Polizei trieb die Ruhestörer auseinander und nahm 28 Verhaftungen vor. — (Cecil RhodeS in Italien.) Wie dem „Berl. Togebl." gemeldet wird, hat Cecil RhodeS — der zur Zeit zur Kur in dem Jod bade Salsomaggiore weilt — in Verona und anderen Städten eine sehr wenig freundliche Auf nahme gefunden. Cecil RhodeS und vr. Jamesou halten sich mit zahlreichem Gefolge im Grand Hotel deS genannten Badeortes auf und ver treiben sich, von der Kur abgesehen, die Zeit mit Spazierritten und Ausfahrten im Automobil. RhodeS verkehrt mit Niemand von der Badegr- sellschast und spricht höchsten» zuweilen mit den Arrzten und dem Personal einige Worte, er scheint — wie dir» nur allzu begreiflich — sehr schlechten Humor» zu sein und soll höchst verdrießlich und finster in die Welt schauen. — (Schwere Stürme im Kanal.) London, 12. Dezember. Im Kanal setzte heute Morgen plötzlich ein schwerer Orkan eia. Die nach dem Festlande gehenden Kanalpostdampfer hatten bereit» die Ueberfahrt gemacht und kamen glücklich in Calais und Hoek van Holland an. Dagegen sind andere auf der belebten Wasserstraße unterwegs befindlich« Schiffe schwer vom Sturm mitgenommen. Ein Ozeandampfer, der vor dem harten Sturm in der Nähe von Dover Schutz suchte und vor Anker gehen wollte, konnte keinen Grund fassen und treibt jetzt au» den Strand zu. Weiter draußen versank eia belgisches Fischer fahrzeug, vom Sturme leck geworden, so schnell, daß die gejammte Besatzung von IS Mann unter ging. Sämmtliche RettungSstationeu wurden alarmirt. Aus der Geschäftswelt. * Die feit nunmehr 2S Jahren mit bestem Erfolg« arbeitende gut renommirt« Dampf- Chocoladea- und Znckerwaaren-Fabrik von Nichmch